Wein – ein Fetisch der Konsumgesellschaft

Wäre auch heute exotisch und selten:ein Weinstock in Palästina, aus: Calwer Bilderbuch, Tafel 20., 1883

Schon oft habe ich, auch auf diesen Seiten, von der „Seele“ des Weins gesprochen und mich damit, für mich selbst gänzlich unbewusst,  in die lange Reihe der Weinfetischisten eingereiht. Definitionsgemäß ist nämlich ein Fetisch ein lebloser Gegenstand, dem transzendente Eigenschaften zugeschrieben werden; in meinem gerade erwähnten Fall ist es der Wein, dem ich eines der menschlichsten Attribute, nämlich die Seele, zuteilwerden lasse. Bei der Wertschätzung einer Flasche Wein kann es sich möglicherweise auch um ein klassisches Beispiel von „Warenfetischismus” handeln. Der Wein, eigentlich ein Konsumgegenstand par excellence, wird in den Augen derer, die ihm huldigen, über seine eigentliche Bestimmung, nämlich den Genuss, erhöht. Seine Bedeutung für die Person geht dann weit über den Gebrauchscharakter hinaus und erreicht einen hohen Grad von Irrationalität, wie am Beispiel der „Seele“ deutlich wird. Die kapitalistische Maxime vom „Preis-/Leistungsverhältnis” wird außer Kraft gesetzt oder gelegentlich zu einem emotionalen „Preis-/Genuss-Verhältnis” stilisiert und entzieht sich dadurch ganz absichtlich jeglicher objektiven Bewertung. So können die Phantasiepreise für die hochgejubelten Weine zustande kommen. Für ihre Eigentümer werden diese Flaschen zu veritablen und innig geliebten Fetischen, die höchstes Glück allein durch ihren Besitz versprechen. Beim Genuss ist dann für den Nicht-Profi die Enttäuschung fast immer vorprogrammiert: die hochgeschraubte Erwartungshaltung kann eigentlich gar nicht  befriedigt werden. Zugegeben, gelegentlich spielt auch der schnöde Mammon beim Kauf von Weinen eine Rolle, etwa im Sinne einer lukrativen Geldanlage.

In der heutigen Konsumgesellschaft ist der Warenfetischismus eine mächtige Triebfeder für das Wohlergehen des Handels bzw. der Produktion und da daran u. U.  viele Arbeitskräfte hängen, gibt es auch eine soziale Komponente für die Etablierung von Waren-Fetischen. Insbesondere  Luxusgütern ereilt dieses Schicksal häufig und Wein gehört an ganz vorderer Stelle mit  dazu. Der Jahrtausende dauernde Weg des Weins vom einfachen Nahrungsmittel zum exklusiven Luxus-Getränk ging mit der zunehmenden Urbanisierung der Bevölkerung in den Industrieländern einher. Die städtische Kultur mit ihren ganz eigenen Lebensstilen und Milieus hat den Wein dem landwirtschaftlich geprägten Image entrissen. Der Winzer ist nun zum Weinmacher bzw. gar zum Künstler und der bäuerliche Weingutsbesitzer zum modernen Unternehmer geworden. Der einst vielgeliebte „Landwein“ ist zum Billigprodukt verkommen und erhält in machen Weingegenden schon überhaupt kein Qualitätszertifikat mehr. Im Kontrast dazu sind die großen Weinnamen zu Kultobjekten avanciert und der Umgang mit ihnen erfordert ein bestimmtes Ritual. Weinpäpste und deren Bücher bzw. Artikel in der Tagespresse vermitteln die Kenntnis von der Liturgie des Weingenusses. Weinfreunde in aller Welt haben sich zu regelrechten Stammesgesellschaften zusammengeschlossen in denen ihr Fetisch Wein angebetet wird. Die skurrilen Weinbruderschaften sind ein, vielfach belächelter, farbenfroher Ausdruck davon.

Es stellt sich die drängende Frage des „Warum“. Warum kann ein Getränk derartige Macht über seine Freunde ausüben und warum werden ihm so häufig magische Eigenschaften angedichtet? In den allermeisten Fällen hat die Freude an ihm mit Sucht im medizinischen Sinne überhaupt nichts zu tun. Trotzdem: Wein ist eine grandiose Camouflage des Rauschmittels Alkohol und ich bin mir einigermaßen sicher, dass alkoholfreier Wein, selbst wenn er die bekannten sensorischen Eigenschaften zeigte, niemals die heutige Verbreitung und Verehrung des alkoholischen Weins erreicht hätte.  Der Kult um den Wein hat aber ganz bestimmt auch ein weiteres wichtiges Merkmal: er schafft Identität bei den Mitgliedern seines „Stammes“. Die Verehrung des Fetischs Wein zeigt, dass man einen Lebensstil hat, oder vorgibt zu haben, in dem Exklusivität, guter Geschmack und Kultur eine wichtige Rolle spielen. Dadurch kann man sich von anderen abgrenzen und sich etwas bedeutender machen als man wirklich ist. Kurzum, Wein macht, in der Selbsteinschätzung seines Anbeters, einen Menschen anziehend und attraktiv. Frei nach Berlins ehemaligem Bürgermeister Klaus Wowereit könnte man sagen: Wein macht zwar arm ist aber sexy!

Viele der großen Namen wie Rothschild,  Romanée-Conti oder Sassicaia erreichen wie die Kunstwerke von Delacroix, Caspar David Friedrich oder Picasso auf großen Auktionen Höchstpreise. Die enorme Wertschätzung von Weinen mit bekannten Namen erhöht auch den sozialen Status seiner Besitzer und daher tanzen diese gerne im Reigen der Eitelkeiten mit. Der wirkliche Weinfreund muss die Wandlung seines Lieblings zum Kultobjekt bzw. zur Fetischfigur, nicht nur wegen der ständig steigenden Preise, mit großer Skepsis sehen sondern auch wegen der Gefahr, dass der Bezug zum eigentlichen Produkt verloren geht. In anderen Worten: die Flasche wird wichtiger als ihr Inhalt. Diese Erkenntnis hat aber auch ihre positiven Seiten, denn sie kann ein Umdenken bewirken und wieder zurückführen zu einem genügsamen, am kulinarischen Alltag orientierten Genuss-Niveau. Auch der gegenwärtige Hype der Natur- und Orange-Weine ist vermutlich der sehnliche Wunsch der Genießer den sensorischen Zwängen unserer narzisstischen und fetischisierten Konsumgesellschaft zu entkommen.

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