Kann man über so etwas vermeintlich Alltägliches wie die Kartoffel überhaupt schreiben? Ihr haftet die Behauptung der dümmste Bauer hätte die dicksten Kartoffeln wie ein ewiger Makel an, und der „Kartoffelfresser“ (Bezeichnung für uns Deutsche) ist auch nicht gerade der Ausbund an Freundlichkeit. Und trotzdem war die Geschichte ihres Siegeszuges durch die Welt mit sehr viel kulinarischer Phantasie durchwoben. Preußenkönig Friedrich der Große hat den Grundstein für die Liebe der Deutschen zu den Kartoffeln gelegt. Auf seine Anordnung musste im Königreich jedes verfügbare Brachland mit
Kartoffeln bepflanzt werden und Zuwiderhandlungen wurden geahndet (der sog. „Kartoffelbefehl“)! Niemand liebte anfangs diese merkwürdigen „Erdäpfel“, die aus der transatlantischen Fremde hergebracht wurden. Für einen anständigen Christen-Menschen war es sowieso eher Teufelszeug, denn in der Bibel wurden Kartoffeln nirgends erwähnt, und wenn man die oberirdischen Früchte zu sich nahm, bekam man schreckliche Bauchschmerzen (von dem darin enthaltenen, giftigen Alkaloid namens Solanin) Erst als erhebliche Getreide-Missernten im 18. Jahrhundert die Bevölkerung an den Rand des Verhungerns brachten, erkannte man die Weitsicht des mittlerweile verblichenen Königs, denn die jetzt reichlich vorhandenen, unterirdisch wachsenden Engergiespender halfen zu überleben.
Das Wissen um die Kartoffeln wurde von den spanischen Eroberern Südamerikas im 15. Jahrhundert nach Europa gebracht. Bei den Inkas gab es sie schon seit Jahrtausenden als Nahrungsmittel. Die Rückkehrer aus den Kolonien hatten ja als Zwischenstation ihrer Reise in die iberische Heimat fast immer zuerst die Kanarischen Inseln angelaufen. Folglich wurden dort in den Höhenlagen von Gran Canaria und Teneriffa tatsächlich die ersten europäischen Kartoffelplantagen angelegt. Noch heute sind die „papas arrugadas“ (Schrumpel-Kartoffeln) mit der dazugehörigen grünen und roten Sauce (span. = mojo verde und mojo rojo) ein kanarisches Nationalgericht. Von den über 3.000 Kartoffelsorten, die in den Anden-Regionen Südamerikas gedeihen, haben es nur ein paar Dutzend in unsere gastronomischen Gefilde geschafft. Da sie von Anbeginn als „Ersatz“ für das vermeintlich höherwertige Getreide dienten, war ihr Ruf eng mit Armut verknüpft (noch heute heißt ein traditionelles spanisches Gericht „patatas a lo pobre“ = Armen-Kartoffeln). Von der iberischen Halbinsel aus haben die Kartoffeln, die bekanntlich wie die ebenfalls aus Lateinamerika stammenden Tomaten, sog. Nachtschattengewächse sind, zusammen mit diesen in der Mitte des 16. Jahrhunderts den europäischen Kontinent erobert. Erstaunlicherweise war die Kartoffelpflanze anfänglich besonders wegen ihrer schönen weißen bis zartvioletten Blüten als Zierpflanze in den Barock-Gärten der europäischen Adeligen begehrter als in deren Küchen.
Ein Blick in Rezeptbücher der internationalen Küche lässt sofort erkennen, dass es in allen Ländern spezielle, lokale Rezepte für Kartoffelzubereitungen gibt. Dabei haben es einige, wie z. B. die „pommes frites“ aus Belgien (bei uns auch einfach „Pommes“ genannt) oder die „potato chips“ (Kartoffelchips) aus den USA zu globaler Bedeutung als schmackhafte und süchtig machende Kalorienspender gebracht. In Spanien, der eigentlichen europäischen Heimat der Kartoffeln, wurde die „tortilla española“ (auch: tortilla de patatas) zur Mutter aller Kartoffelgerichte und zum iberischen Nationalgericht schlechthin. Das klassische Original besteht aus Kartoffeln, Eiern, Olivenöl und Salz sowie vielfach auch mit der Beigabe von klein geschnittenen Zwiebeln. Das klingt im Grunde so einfach, dass es kaum vorstellbar ist warum es gute und schlechte Tortillas geben sollte. Aber die gibt es tatsächlich, die Spanne zwischen einem paradiesischem Gaumenkitzel und schwer verdaulichem junk food ist nirgends so groß wie bei der tortilla española. Mittlerweile kann man industriell hergestellte, Cellophan-verpackte Tortillas im Supermarkt kaufen und ich möchte nicht wissen wie viele spanische Schulkinder diese zwischen zwei Scheiben Weißbrot geklemmten Produkte, in der Schulpause verdrücken müssen und dadurch geschmacklich für den Rest ihres Lebens falsch programmiert werden.
Eine alte Küchenweisheit der Spanier besagt, dass nur Frauen wirklich gute Tortillas machen können, denn nur diese hätten die Geduld die Eier richtig zu schlagen. Es gibt in der Tat so viele unterschiedliche tortillas wie es Köchinnen und Köche gibt, die diese anfertigen. Jeder Freund spanischer Küche hat seine persönliche tortilla-Favoritin und meine ist die Tortilla meiner Frau! Diese ist mit einem Durchmesser von ca. 20 cm ist etwa zwei Zentimeter dick, mit in Scheiben geschnittenen, nicht mehligen gebratenen Kartoffeln und braun gerösteten Zwiebel-Streifen sowie etlichen, geschlagenen Eiern in der Pfanne mit bestem Olivenöl bei niedriger Hitze nur gerade so lange gegart bis sie im Kern noch zart cremig und saftig ist. Es ist wahrlich eine bemerkenswerte Speise die u. a. unter freiem Himmel und mit einer kühlen Flasche Chardonnay oder Godello auf dem Tisch genossen, ein Mahl für die Götter ist.