Blühende Rebstöcke – eine Untertreibung der Natur

Blühender Tempranillo-Stock auf dem Cerro de la Retama (Andalusien)

„Die Bescheidenheit ist eine Eigenschaft, die vom Bewußtsein der eigenen Macht herrührt“. Dieser Aphorismus stammt von Paul Cézanne (französischer Maler 1839 – 1906) und lässt sich auch auf die Natur anwenden. Der spektakuläre aber schrecklich aufgeblasene Pfau ist ein absoluter Nichtsnutz und der kümmerlichen Frucht der selbstbewußten und meist wunderbar duftenden Rose kann man nur mit einiger Mühe Genussfähigkeit zugestehen. Dagegen weiß die Rebe mit ihrer äußerst bescheiden geratenen Blüte um ihre Macht über den Menschen, der aus ihren Früchten das schönste Getränk unter dem Sternenzelt zu machen versteht.

Die Weinblüte kann, abhängig von den klimatischen Schwankungen in den jeweiligen Weinbaugebieten, zwischen Juni und Ende Juli stattfinden. Ein zarter, leicht süßlicher Duft liegt zur Blütezeit über den Rebgärten. Er erweckt keine Assoziationen, weder mit anderen Blüten der Jahreszeit noch mit Wein. Ehrfürchtig steht der Liebhaber vor dem blühenden Rebstock und ist gerührt von der äußerlichen Bescheiden- und Schlichtheit dieser Pflanze, die sich gerade auf dem ersten Höhepunkt ihres Vegatationszyklus befindet. Sie kennt ganz offenbar ihre Macht und hat es nicht nötig sich durch protzige Üppigkeit bemerkbar zu machen. Trotzdem ist sie immer wieder zum Gegenstand romantischer Schwärmereien geworden. Obwohl ihr zarter Duft in den üblichen Kategorien der olfaktorischen Sinnlichkeit des Menschen kaum zu fassen ist, haben phantasievolle Parfümeure versucht ihn aus weißer Rose, rotem Pfeffer und anderen Ingredienzien nachzukreieren bzw. neu zu erschaffen. Wenn man allerdings den Original-Duft kennt,  ist die Nachschöpfung ein Geruchsdesaster sondergleichen. Eine gute und schmackhafte Idee ist allerdings eine Bowle mit Weinblüten herzustellen. Zwar sind diese nicht so aromatisch wie die klassischen Waldmeister-Bowlen, aber allemal so erfrischend und wesentlich origineller. Mystischen Pflanzen werden oft Heilkräfte zugeschrieben, so geschehen z.B. mit dem asiatischen Bambus oder der Lotusblüte. Aber auch die heimische Weinblüte soll pharmakologische Wirkungen entfalten, die denen des Weines ähnlich sind.

Die Weinblüten sind in zusammengesetzten, dichten Rispen angeordnet, die dem späteren Traubengerüst – in der Winzersprache auch „Gescheine“  genannt – entsprechen und die sog. Rappen darstellen. Beim späteren Entrappen werden sie von ihren Früchten getrennt und gelegentlich zusammen mit den Traubenschalen als Trester zu Schnaps weiter verarbeitet (z.B. „Grappa“). Die Kelch- und Kronblätter fallen früh ab und dann ist es noch schwieriger die Weinblüte überhaupt als Blüte zu erkennen, was die Bescheidenheit ihres Auftritts noch unterstreicht. Es gibt nur jeweils fünf Staubgefäße auf je einem Stempel, der in Wirklichkeit der Fruchtknoten ist und im weiteren Verlauf der Reifung zur Beere heranwächst. Der Rebstock bestäubt sich übrigens selbst und benötigt deshalb keine Insekten für seine Befruchtung. Die Zahl der Blüten ist ein guter Hinweis auf die Menge der Trauben zum späteren Lesezeitpunkt. Die Winzer nennen die Zeit von der Blüte bis zur vollen Reife am Lesezeitpunkt gelegentlich auch „die Schwangerschaft des Rebstockes“.

Die Weintrauben sind im strengen botanischen Sinne tatsächlich Rispen und keine Trauben; in der Umgangssprache werden sie allerdings Trauben genannt, deren einzelne Früchte die Beeren darstellen.  Die Rispen-Struktur kann man zur Zeit der Wein-Blüte besonders gut erkennen. Die Blüte ist auch ein wichtiges Indiz für den Fortschritt der Weinreifung. Abhängig von den klimatischen Gegebenheiten gibt es in jedem Weingarten eine Faustregel, die besagt wieviel Tage oder Wochen nach dem Blühen die Lese zu erwarten ist (meist wird der Zeitraum um die 100 Tage angegeben). Während der Blüte reagiert  der Stock ganz besonders empfindlich auf Wettereinflüsse, Frost in dieser Zeit kann zum totalen Ernteausfall führen und Wind bzw. Hagel oder intensiver Regen, der die Blüten zerstören kann, führt ebenfalls zu späteren Ernteausfällen. Besonders schöne Trauben bekommt der Winzer, wenn er vor der Blüte und dem sog. Sommerschnitt das „Entspitzen“ durchführt, was eigentlich nichts anderes ist, als die langen Triebe zu entfernen. Dadurch kommt es zu einem Saftstau und die Blüten entwickeln sich üppiger und die späteren Trauben werden kräftiger und saftiger.

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