In der modernen Architektur und beim Design von Gebrauchsgegenständen erkennen wir auch heute noch sehr häufig das große ästhetische Vorbild aus den 20/30er Jahren des vergangenen Jahrunderts: den sog. Bauhaus- Stil. Damals im Jahre 1919 gründete Walter Gropius in Weimar das „Bauhaus“. Dies bestand aus einer Gruppe junger und herausragender Künstler, Architekten und Gestalter, die aus der Zusammenführung von Handwerk, Kunst und Technik eine ästhetische Kultur für das 20. Jahrhundert schaffen wollten. Mit modernen, teils revolutionären Unterrichtsmethoden, wollte man dem Nachwuchs die Forschung und künstlerische Entwicklung des Bauhauses nahe bringen. Das Bauhaus wurde zu einer hervorragenden Lehranstalt und schaffte sich innerhalb kürzester Zeit ein enormes internationales Renomée. Dafür standen in den frühen Jahren Namen wie Wassily Kandinsky, Paul Klee, Laszlo Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer, Lyonel Feininger, Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe.
Unter dem Leitgedanken „form follows function“ sollten Gegenstände für die künftige Gesellschaft entworfen und letztendlich auch produziert werden, bei denen die Funktionalität ganz im Vordergrund stand. Mit ihren häufig einfachen und sehr schlichten Formen sind viele Produkte zu Design-Klassikern geworden, die noch heute in manchen Haushalten der Welt zu finden sind und sogar wieder hergestellt und über die großen Möbel-Supermärkte weltweit vertrieben werden. Man denke z. B. an den Freischwinger-Stuhl von Marcel Breuer, den immer noch schön anzusehenden Barcelona-Sessel von Ludwig Mies van der Rohe und Lily Reich sowie an die Tischlampe von Wilhelm Wagenfeld! Als genaue Kopie oder in etwas abgewandelter Form sind all diese und viele andere Gegenstände auch heute noch scheinbar Ausdruck eines nicht vergehenden Zeitgeistes. Kann es ein schöneres Kompliment für die Bauhaus-Künstler geben? Auch auf vielen anderen Bereichen, wie z.B. im Theater und als Fotografen waren sie damals erfolgreich tätig.
Im Mittelpunkt der künstlerischen Anliegen des Bauhauses stand von Anbeginn die Architektur. Man wollte alle Künste an der Errichtung eines modernen Baus beteiligen, gleichsam als eine Art „Gesamtkunstwerk“, und so entstanden dann Gebäude wie das Lehrgebäude und die Meisterhäuser des Bauhauses in Dessau. Dorthin ist das Bauhaus nämlich im Jahre 1925 von Weimar kommend umgezogen. In Dessau erlebte die Künstler- Gruppe um Walter Gropius ihren Schaffenshöhepunkt. Dessau ist durch das Bauhaus zu einem Ort der Avantgarde geworden. Das berühmte Hochschulgebäude, mit Bühne, Mensa und Ateliergebäude sowie die Meisterhäuser sind auch heute noch zu besichtigen. Von besonderem Interesse ist die Glasfassade, die sich wie eine Schürze über alle Stockwerke zu stülpen scheint. Als sie errichtet wurde, verursachte sie viel Bewunderung aber auch Ablehnung, denn Glas als Baumaterial war damals etwas ganz Neues und Fragwürdiges. U. a. auch die Frankfurter Hochhäuser zeigen mit aller Vehemenz, dass sich dieser Baustil heute durchgesetzt hat. Als die NSDAP im Dessauer Stadtrat an die Macht kam, forderte sie den sofortigen Abriss des gesamten Gebäudes. Dies konnte, Gott sei Dank, verhindert werden und eine Schule für Nazi-Kader zog schließlich in das Haus ein. Der schwerere Luftangriff auf Dessau richtete immense Schäden auch an den Bauhaus-Bauten an, die im Laufe der folgenden Zeit Schritt um Schritt repariert werden konnten.
Ich möchte jedem Kunstinteressierten dringend empfehlen, z. B. auf einem Weg in Deutschlands Hauptstadt den kleinen Umweg über Dessau zu machen und sich vom Zauber der Avantgarde aus der Zeit unserer Groß- und Urgroßeltern mitreißen zu lassen. Man kann sogar im Bauhaus in einem der ehemaligen Studentenzimmer relativ preiswert übernachten (unterkunft@bauhaus-dessau.de) und vor dem Hauptgebäude fährt die Buslinie 10 ab, die zu den vielen architektonischen Bauhaus-Dokumenten innerhalb der Stadtgrenze von Dessau fährt.
Eine der bedeutenden Aufgaben, die sich die Bauhaus-Architekten gestellt hatten war der soziale Wohnungsbau in der Weimarer Republik. In vielen deutschen Städten wurde Projekte dieser Art unter der Federführung von ihnen lanciert. Dadurch wurde der Bauhaus-Stil auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Das brachte selbstverständlich nicht nur Anerkennung, denn konservativen Kreisen waren die eher linken und vor allem international ausgerichteten Mitglieder des Bauhauses von Anbeginn an suspekt und so wundert es nicht, dass das Bauhaus sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 aufgelöst wurde. Anders als ihre Schriftsteller- und Musikerkollegen, die emigrieren mussten und häufig brotlos blieben, fanden die ehemaligen „Bauhäusler“ in Frankreich, Großbritannien, in der Schweiz oder in den USA neue Aufgaben und konnten im Geiste ihrer früheren Arbeitsstätte weiter arbeiten. Trotz aller Kritik und massiven Anfeindungen konnten sich die Prinzipien des Bauhauses durchsetzen und üben ihren Einfluss auf Künstler, Architekten und Designer bis auf den heutigen Tag aus. Das ist in der Tat bewundernswert!