In der griechischen Mythologie waren die Musen Göttinnen der Künste und Wissenschaften. Später, im 19. Jahrhundert wurden sie zu, meist weiblichen, Wesen, die Künstler zu Kunstleistungen veranlassten bzw. inspirierten. Ihr künstlerisches und menschliches Einfühlungsvermögen bestimmte ihren Charakter und die Dynamik ihrer Beziehung zum jeweiligen Partner. Eine erotische Komponente spielte dabei fast immer eine wichtige Rolle. Die Kunstgeschichte zeigt uns, dass manche Musen selbst über ein hohes Maß an Kreativität verfügten und Frauen wie Bettina von Brentano, Lou Andrea-Salomé, Camille Claudel, Yoko Ono u.v.a. waren selbst überragende Künstlerinnen, die es in vieler Hinsicht mit ihren Partnern aufnehmen konnten, selbst wenn diese Achim von Arnim, Friedrich Nietzsche, Auguste Rodin oder John Lennon hießen.
In die Gruppe dieser starken Power-Frauen gehört unzweifelhaft auch Alma Mahler-Werfel. Ihre Autobiographie „Mein Leben“ liest sich wie ein Streifzug durch die Kunstgeschichte eines ganzen Jahrhunderts. Allerdings spürt der Leser streckenweise das unstillbare Verlangen der Autorin sich für manche Tat oder Beziehung in ihrem Leben zu rechtfertigen. Alma war eine schwierige Frau mit Stärken und Schwächen. Ihre Ehe mit Gustav Mahler war zwar so konfliktbeladen, dass der Meister deswegen zur psychoanalytischen Beratung Sigmund Freud aufsuchte. Letztlich war die Beziehung aber doch von Liebe getragen: der Komponist widmete seiner Frau eines seiner größten Werke, die achte Symphonie („Symphonie der Tausend“). Selbst das konnte Alma nicht davon abhalten kurze Verbindungen mit anderen Männern einzugehen. Der Komponist Hans Pfitzner, der Bauhaus-Architekt Walter Gropius und der Maler Oskar Kokoschka waren die Namen ihrer bekanntesten Liebhaber. Gropius hat sie nach dem Tode Mahlers geheiratet, bevor sie ein Jahrzehnt später den 11 Jahre jüngeren Schriftsteller Franz Werfel ehelichte.
In der amerikanischen Emigration zusammen mit Franz Werfel wurde ihr unterschwellig immer vorhandener Antisemitismus manifest, auch machte sie keinen Hehl aus ihrer Sympathie für die Nationalsozialisten. Sie aß und trank sehr gerne, was sich in immer fülligeren Körperformen niederschlug. Als gleichgesinnter Hedonist bei ihren Gelagen im Alter, die auch von reichlich Wein begleitet waren, bot sich immer wieder der feinsinnige Erich Maria Remarque als Begleitung an. Wie viele der Musen großer Künstler, war auch Alma Mahler-Werfel schöpferisch tätig. Sie schrieb Musik, allerdings weniger im Stile ihres ersten Ehemanns sondern eher neoromantisch, mal an Richard Wagner, mal an Johannes Brahms und mal an Richard Strauss erinnernd. Leider sind von ihren Werken nur noch 16 Lieder erhalten und diese wurden von der finnischen Sängerin Lilli Paasikivi zusammen mit dem Philharmonischen Orchester Tampere unter Jorma Panula hinreißend auf CD eingespielt (ONDINE ODE1024-2). Eines der schönsten und ausdruckstärksten ist „Der Erkennende“ nach einem Text von Franz Werfel. Das „Erntelied“, ein vertontes Gedicht des Hamburger Poeten Gustav Falke, schäumt über von sinnlicher Freude und Übermut; hier vermittelt die Komponistin pure Lebenslust. Auch alle anderen Lieder auf dem Tonträger lassen den musikalischen Genius dieser überaus interessanten Frau erkennen.