Porno im Prado?

Die bekleidete Maja von Francisco de Goya (Prado, Madrid)

Manchem Leser bzw. mancher Leserin dieses Blogs mag schon das Wort Pornographie obszön klingen und diesen Begriff an einer Stelle zu thematisieren, an der es eigentlich um Wein und andere schöne Dinge unserer Kultur gehen sollte, mag wie ein Tabubruch erscheinen. Die Herkunft des Wortes Pornographie liegt in der griechischen Sprache: „porne“ ist auf deutsch die Dirne  und „graphia“ die Beschreibung. Im Sprachgebrauch hat sich aber eine wesentlich explizierte Bedeutung durchgesetzt: im Allgemeinen bezeichnet man mit Pornographie direkte Beschreibungen oder Darstellungen sexueller Handlungen. In vielen Kulturkreisen ist oder war Pornographie verboten und mancherorts sogar strafbar, was nicht selten zur Einrichtung einer Zensur geführt hat. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit von pornographischen Darstellungen im Internet ist die Pornographie  heute zu einem gesellschaftlichen Faktor ersten Ranges geworden. Die Statistiken sagen, dass sich in Deutschland 25 % aller Anfragen im Internet um Pornographie drehen, das sind täglich 68 Millionen Suchanfrage-Klicks ! Der tägliche pornographie-vermittelte Internet-Umsatz beträgt 12,6 Millionen Euro (nach: „Netzsieger“ vom 16.05.18). Selbst Kinder aller Altersstufen kommen heute über ihre Smartphones  ohne Schwierigkeiten an pornographische Seiten. Trotz dieser offensichtlich immensen Verbreitung in allen Gesellschaftsschichten wird die Pornographie in den Medien noch immer weitgehend totgeschwiegen.

Die Pornographie hat über die Jahrhunderte, vielleicht sogar über die Jahrtausende, immer das gleiche Ziel verfolgt: die Anregung des Sexualtriebes. So haben sich im Verlauf der Menschheitsgeschichte die Darstellungsarten, dem jeweiligen Zeitgeist und den technischen bzw. künstlerischen Möglichkeiten angepasst. Gerade die Kunst hat sich häufig erotischer bzw. pornographischer Inhalte bedient. Wobei die darstellerische Spanne zwischen den vorzeitlichen Höhlenmalereien und Gustave Courbets (1819 – 1877) „Der Ursprung der Welt“ die enorme Bandbreite aufzeigt.  In Zeiten in denen die Prüderie Hochzeiten hatte, galt schon alleine die Darstellung nackter Körper als pornographischer Akt, denn sie konnten die Kriterien der Pornographie, nämlich die Stimulation sexueller Begierde, durchaus erfüllen. Der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler (1857 – 1939) hat den Begriff „Ambivalenz“ in die Sexualwissenschaft eingeführt um die Dualität der Gefühle in Paarbeziehungen zu beschreiben. Gemeint sind damit gleichzeitig vorhandene emotionale Gegensätze, wie Liebe und Hass, Lust und Unlust, Triebhaftigkeit und Scham. Diese Ambivalenz ist ein typisches Phänomen hierarchisch patriarchalischer, also männlich dominierter, Gesellschaften. Sigmund Freud (1856 – 1939) hat darauf hingewiesen, dass das Frauenbild des Mannes häufig von der ambivalenten Sichtweise auf die Frau, einerseits als Königin bzw. andererseits als Hure, getrieben wird. Der Mann sucht beides in der gleichen Person und schwankt konfliktträchtig zwischen den beiden Verlangen hin und her! So kann ein zunächst unverdächtiges Bild im Einzelfall als Pornographie empfunden werden.

Wenn ich in Madrid bin und über ausreichend Zeit verfüge, ist immer ein Besuch des „Prado“ angesagt, der weltberühmten Kunstsammlung der spanischen Könige,  so auch wieder vor etlichen Wochen. Dabei fiel mir erstmals die recht große Zahl an Bildern auf, auf denen nackte Haut zu sehen war. Der Entstehungszeit der Kunstwerke geschuldet, waren es vorwiegend weibliche Körperteile, die zu betrachten waren. Fast immer geschah die Darstellung weiblicher Nacktheit hinter dem Schleier der Mythologie  oder Religion. Neben der Venus waren es die Mythen der Diana, der Danae und vieler anderer Frauengestalten. Im Bereich der Kirchengeschichte fielen mir ebenso viele weibliche Figuren mit erotischen Attributen auf: allen voran die Mutter Gottes mit entblößten Brüsten (Pedro Machuca Ende 15. Jh. – 1550) und weibliche Heilige.

Die Beziehung zwischen Kunst und Erotik, und darum handelt es sich bei den angesprochenen Bildern, ist in der Kunstgeschichte fest verankert, wobei der Übergang von der Erotik zur Pornographie sehr fließend sein kann und in hohem Maße von der jeweiligen gesellschaftlichen Beurteilung abhängt. An die Kunst werden oft so hohe Ansprüche gestellt, dass sie droht in einem Elfenbeiturm zu verhungern. Erotik wird meist als lebensbejahend sinnliche, menschliche Äußerung akzeptiert, wo sie aber eine schwer zu definierende Grenze des Zeitgeschmacks überschreitet wird sie als schmutzig und peinlich angesehen, eben „pornographisch“, weil sie vermeintlich unsere animalischen Instinkte fördert.

Francisco de Goya y Cifuwentes: die nackte Maja

Die nackte Maja von Francisco de Goya (Prado, Madrid)

Auch einen der absoluten Höhepunkte der erotischen Kunst kann man im Prado genießen: die bekleidete und die nackte Maja von Francisco de Goya y Lucientes (1746 – 1828). Es sind zwei von der Entstehungsgeschichte mysteriöse Bilder. Wer ist die junge Frau, die sich und ihren Körper scheinbar selbstverständlich und mit großer Gelassenheit dem Betrachter zeigt? Und das zu einer Zeit in Spanien, in der die Zurschaustellung jeder Nacktheit strafbar war? Als mutmaßlicher Auftraggeber gilt Manuel de Godoy y Álvarez de Faria (1767 – 1851), erster Staatsminister unter Karl IV und Geliebter der Königin. Es gibt die Überlieferung, dass in dem Palast von Godoy in einem besonderen Zimmer die beiden Majas durch einen Mechanismus verbunden waren, mit dem man durch Knopfdruck die bekleidete Maja verschwinden lassen konnte und die nackte zum Vorschein kam. Alleine dieses „Peep Show“-Arrangement zeigt, wie anzüglich dieser wunderschöne Akt, mit seinem verführerischen Lächeln und den geröteten Wangen, zur Zeit seiner Entstehung empfunden wurde. Noch heute gehören die beiden Majas zu den schönsten Werken des Prado.

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