Im großartigen Schelmenroman eines anonymen, spanischen Autors aus der Mitte des 16. Jahrhunderts mit dem Titel seines Protagonisten, des „Lazarillo de Tormes“ erfahren wir von einigen Kohlstrünken, die dieser zum Frühstücke verzehrt hatte. Später, zu Mittag, teilte er sich einen „Kuhfuß“ mit seinem Herrn und schrieb: „Ich gab ihm den Kuhfuß und drei bis vier Stücke von dem weißesten Brote in die Hand. Er setzte sich neben mich und fing an zu essen wie einer, der sehr guten Appetit hat, indem er jedes Knöchelchen abnagte, besser als ein Windhund es würde getan haben. Mit einer Knoblauchbrühe, sagte er, ist dies ein ganz köstliches Essen.“ Die von Miguel de Cervantes (1547 –1616) beschriebenen Mahlzeiten des Don Quijote und seines Begleiters Sancho Pansa, eines vehementen Verfechters sinnlicher Freuden, sind nicht minder frugal und ein historisches Zeugnis der früheren Einfachheit spanischer Gastrosophie. Darauf ist man heute, in einer Zeit raffinierter Sterneküche, sehr stolz und zelebriert überall im Land die „Armeleuteküche“ am heimischen Herd und in den Luxusrestaurants der spanischen Metropolen. Brot spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle, denn es ist zuhause und in der Gastronomie die Grundlage der spanischen Ernährung. Weißes Brot ist, wie beim Lazarillo von Thormes so auch in der gesamten Historie, ein ganz wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens auf der iberischen Halbinsel. Da Brot im Rahmen einer Mahlzeit nur frisch gebacken gegessen wird, fällt in allen Haushalten und Restaurants immer viel älteres Brot an, was zu weiteren Speisen verarbeitet werden kann und so als eine der Hauptingredienzien der „Armenküche“ dient.
Das Gericht par exzcellene der Bauernküche sind die sog. „Migas“, in Olivenöl gebratene, mit süßer Paprika gewürzte Brotstückchen, deren weitere Zutaten so vielfältig wie die Phantasie der zubereitenden Köch:innen sein können. Im süd-östlichen Andalusien wird statt altem Brot Weizengries genommen. In jedem Fall sind Migas eigentlich immer eine außerordentlich nahrhafte und geschmackvolle Speise. Eine weitere Verwendungsmöglichkeit von altem Brot sind die sog. „Torrijas“, eine Art arme Ritter, die in Milch eingeweicht und anschließend in Olivenöl gebraten und mit reichlich Zucker und Zimt bestreut werden.
Ein anderer Bereich der Bauernküche sind mit sehr einfachen Mitteln konservierte Nahrungsmittel. Allen voran gebührt dem Schinken besondere Erwähnung. Seine Qualitätsstufen reichen vom schlichten „jamón serrano“, dem in der trockenen Luft der spanischen Sierras gereiften, bis hin zur „pata negra“ der von einer mit Eicheln gefütterten, schwarzen Schweinrasse herstammt und das Non-Plus-Ultra der Schinkenkultur darstellt. Auch der Trockenfisch bietet in der Bauernküche ein breites Spektrum an Köstlichkeiten die vom „bacalao“ (Stockfisch) bis hin zur „mojama“, dem getrocknetem Fischrogen, reichen. Obwohl vom Durchschnittsbürger kaum mehr bezahlbar, seien der Vollständigkeit halber auch die Anchovis-Filets aus Kantabrien und der in Olivenöl eingelegte „Bonito del Norte“ (weißer Thunfisch aus dem Golf von Biscaya) als konservierte Delikatesse erwähnt.
Die vielen Kriege, die im maurischen Spanien mit den christlichen Nachbarn geführt wurden, schränkten häufig auch die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln ein, so dass man darauf angewiesen war aus sehr wenig viel und schmackhaft zu kochen. So kam es, dass die Schale von Orangen und Kartoffeln frittiert oder gebraten als Beilage und Geschmacksbringer in den Paellas verwendet wurden. Die Mauren hatten aus dem Reis, der in den Flußdeltas gedieh ein sehr schmackhaftes Gericht, nämlich die Paella – heute ein Nationalgericht -, entwickelt . Aale und Wassermuscheln waren neben wildem Fenchel und wildem Spargel ursprünglich weitere Paella-Zutaten. Sogar vom zweiten Nationalgericht, der Tortilla, einem dicken Omelett mit Kartoffeln und Zwiebeln, gab es eine „Sparversion“ ohne Ei und Kartoffeln, dafür wurde eine Mischung aus Mehl, Wasser und Natron verwandt.
Auch die „morcilla de guerra“, die Kriegsblutwurstist ein uraltes entweder von den Mauren oder gar von den ersten jüdischen Einwanderern überliefertes Rezept. Eine Renaissance erlebte dieses seither immer wieder in Krisenzeiten. Verwendung findet die Kriegsblutwurst, die aus Auberginen, Zwiebeln, Pinienkernen, Olivenöl, Salz, Paprikapulver, Oregano und Pfeffer besteht, als Brotaufstrich oder auch mit Kartoffeln.
Erwähnung gebührt noch der „Sopa de ajo“, der Knoblauchsuppe. Sie stammt aus der Mancha und ist tief in deren Geschichte verwurzelt. Das Original wird über einem Holzfeuer gekocht und besteht aus Knoblauchzehen, einem Ei pro Person, Scheiben von altem Brot, etwas Serrano-Schinken oder ähnlichem, Brühe oder Wasser, etwas Bier oder Sherry, süßes Paprikapulver, Salz, Pfeffer und Olivenöl. Sorgfältig mit viel Zeit zubereitet ist sie eine der ganz großen Köstlichkeiten der spanischen Armenküche. Ähnliches gilt auch für den „Cocido madrileño“ bzw. einfach nur „Cocido“. Dies sind große Eintöpfe, die etliche Wurst- und Fleischsorten und viele Gemüse beinhalten. Basis sind meist Kichererbsen (garbanzos) oder Kartoffelstückchen. Aber man kann natürlich alle möglichen Reste, darin verarbeiten. Dazu kommen noch Zwiebeln, Paprikapulver, Knoblauchzehen und Olivennöl.
Ich hoffe, dass es deutlich geworden ist, in welchem Maße gerade in der spanischen Küche viele traditionelle Gerichte aus der sog. Armeleuteküche überlebt haben. Sie haben sich über Jahrhunderte des Hungerleidens bewährt und sind wegen ihres wunderbar deftigen Geschmacks auch heute noch, bzw. wieder, beliebt.
Bleiben Sie stets neugierieg … und genußbereit durstig!