Was ist eigentlich „Spontangärung“?

Rebgarten in Bordeaux (Château Pape Clemént) als Kultivierungsort für Apiculatuas-Hefen

In vielen Bereichen der Önologie gibt es eine Tendenz zur methodischen Nostalgie: alte, längst ersetzte – weil vermeintlich unzulängliche – Verfahren werden wieder ausgegraben und mit modernen Techniken kombiniert oder in ihrer alten Form einfach nur zum Leben wiedererweckt. Rebbau und Vinifikation sind Bereiche in denen diese Philosophie gegenwärtig Hochkonjunktur hat. Längst ausgestorbene Rebsorten, die Mostgewinnung durch Barfußtreten und die Spontangärung sind nur drei Beispiele für den Historismus beim Weinmachen. Über wiederentdeckte Rebsorten und das barfüßige  Traubenpressen sowie die frühe Geschichte der Weinbereitung habe ich mich an dieser Stelle bereits ausgelassen. Jetzt soll es um die „Spontangärung“ gehen! Was ist denn das wird sich mancher Weinliebhaber fragen? Für die etwas älteren Semester unter uns mag diese Frage tatsächlich berechtigt sein, denn bis in die 70-iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es nur eine einzige Art der Gärführung und diese beruhte auf den natürlichen Hefen, die auf den Traubenschalen und im Keller vorhanden sind und beim Zusammentreffen mit dem zuckerhaltigen Most temperaturabhängig spontan beginnen, unter Freisetzung von Kohlendioxid, den gewünschten Alkohol zu produzieren. Eine Sonderform davon ist die „Kohlensäuregärung“, die bei intakter Schale innerhalb der Beeren abläuft, deren Endergebnis, die Alkoholproduktion, aber das Gleiche ist. Bei dieser „maceration carbonique“ entstehen Weine mit sehr deutlichen Fruchtaromen. Der Prozess der spontan ablaufenden Gärung war für den Weinmacher im Großen und Ganzen nicht kontrollierbar. Das liegt daran, dass die natürlichen Hefen immer ein Gemisch unterschiedlichster Hefearten sind. Welcher Stamm sich bei der Vinifikation letztlich durchsetzt und seine Charakteristika auf den Most überträgt, ist ein Vabanque-Spiel der Natur. Es kann aber auch passieren, dass falsche Hefen oder Mikroben den Gärprozess an sich reißen und das Produkt damit verderben.  Wenn aber alles gut geht, ist es gerade das Aromengemisch der verschiedenen Mikroorganismen im Gärprozess, die das „Terroir“ des späteren Weins ganz wesentlich mitbestimmen.

In diesem Zusammenhang ist es notwendig sich kurz mit dem Begriff der „Apiculatus-Hefen“. zu beschäftigen. Man versteht darunter eine Ansammlung verschiedener Gattungen von wilden Hefen, die sich auf Fruchtschalen finden („Allerweltshefen“), unter ihnen befinden sich in mehr oder weniger starken Konzentrationen auch Stämme der Saccharomyces cerevisiae, der klassischen Bier- und Weinhefen.  Erst beim Maischen der Trauben werden die Bedingungen geschaffen, die es den gärstärkeren Saccharomyceten erlauben den Gärprozess, der den Alkohol aus Zucker entstehen lässt, zu dominieren. Bei der sog. Spontangärung bleiben die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Hefearten bestehen. Eine Überzahl von Apiculatushefen kann. z. B. die Alkoholproduktion der Saccharaomyceten deutlich herunterregulieren, umgekehrt kann die Alkoholproduktion durch eine geringe Beimengung mit Apiculatus-Hefen sogar über das Maß der Reinzuchthefen hinaus gesteigert werden.  Was für die Produktioin von Alkohol gilt, gilt mit Sicherheit auch für das Entstehen von Aroma- und Duftstoffe sowie für andere sensorische Merkmale des Weins. Hier liegt das Geheimnis der Spontangärung, die bekanntlich komplexere und charaktervollere Weine liefert.

Erst die Einführung von temperaturkontrollierten Gärtanks und die Verfügbarkeit von Reinzuchthefen halfen die Gärung des Mostes nicht mehr dem unkontrollierten Wachstum der Apiculatus- Hefen zu überlassen, sondern den Prozess plan- und zu steuerbar zu machen. Die Digitalisierung dieser Vorgänge unterstützt den Winzer dabei Fehler zu vermeiden und Jahr für Jahr die Dynamik der alkoholischen Gärung in gleicher Weise und mit gleichem Zeitablauf zu wiederholen. Eine besondere Rolle bei der modernen, industriellen Vinifikation spielen die erwähnten Reinzuchthefen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Hefeansatz aus den genannten, natürlichen „umwelteigenen Hefen“ ein  nicht kontrollierbares Gemisch aus verschiedenen Hefestämmen mit unterschiedlichen Eigenschaften war, lag es auf der Hand einzelne besonders gärfreudige Stämme zu isolieren, zu züchten und zu charakterisieren. Bei der Züchtung von Hefestämmen in großem Maßstab ist ganz besonders darauf zu achten, dass sie nicht mit Bakterien oder anderen Mikroorganismen bzw. mit anderen Pilzen kontaminiert sind. Steriles Arbeiten ist deshalb erforderlich. Später, in der Phase der Charakterisierung des jeweiligen Stammes, müssen alle potentiellen Möglichkeiten zum sinnvollen Einsatz dieser Hefen in der Vinifikation festgelegt werden. Es gibt Hefestämme, die sich besonders für Weißweine und solche, die sich für Rotweine eignen. Manche geben während der Gärung Aromen ab (sog. Aroma-Hefen), andere sind weitgehend geschmacksneutral. Trotz dieser Differenzierungsmöglichkeiten  ist die Gärung mit Reinzuchthefen einer der Faktoren, die für die Standardisierung des weltweiten Weingeschmacks mit verantwortlich ist. Um die Komplexität des Produktes Wein zu erhöhen, könnte man theoretisch Reinzuchthefen miteinander vermischen, ob diese Praxis tatsächlich angewandt wird entzieht sich meiner Kenntnis. Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe ist das „mikrobiologischen Terroir“ ein wesentlicher Grund für den regionalen Charakter eines Weins.

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