Wie kann es sein, dass frisch gepflückte Essweintrauben, auch Tafeltrauben genannt, neben ihrer Süße nur sehr verhalten fruchtige Aromen preisgeben? Manchmal kann man allerdings Muskat-, grasige Apfelnoten oder auch andere, vegetabile Geschmacksstoffe wahrnehmen. Dagegen bringt das Traubenprodukt Wein häufig eine ganz unerwartete Fülle von Aromen ins Glas. Das hat natürlich mit dem Prozess der Vinifikation und der anschließenden Lagerung des Weins zu tun. Entsprechend spricht man von drei Aromentypen: (1) den Primäraromen, die tatsächlich aus den Trauben stammen, (2) den Sekundäraromen, die während und rund um den Prozess der Gärung entstehen, und (3) den Tertiäraromen, die sich während der Tank- bzw. Flaschenlagerung bilden. Im Folgenden möchte ich mich auf eine ganz besondere Gruppe von Primäraromen und deren Hintergründe konzentrieren.
Betrachten wir den Duft der Rebsorte Sauvignon Blanc: schneidet man die Traube in zwei Teile wird man an den Schnittflächen den gleichen zarten Geruch wie an einer zerteilten , grünen Paprika feststellen. Es liegt nahe anzunehmen, dass in beiden Früchten der gleiche Duftstoff vorhanden ist. Die Biochemiker haben tatsächlich die chemische Gruppe der Pyrazine als gemeinsamen Bukettstoff für die Traube und für die Paprika identifiziert. Wichtigste Verbindung in dieser Stoffgruppe ist das sog. Methoxypyrazine (MP). MP ist allerdings meist nicht ausschließlich der Grund für die vegetativen Aromen in Wein und Paprika, da gibt es, wie man heute weiß, ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Duft- und Geschmacksstoffe, so dass die sensorischen Variationsmöglichkeiten beinahe unendlich sind. Schließlich kommen Duft- und Geschmackskoponenten zustande wie grüne Bohnen, grüne Stachelbeeren, frisch gemähtes Gras, Minze, rohe Kartoffeln, grüne Erbsen, frischer Koriander oder grüner Spargel und, Gott sei Dank selten, das „Katzenklo“. Pyrazine sind in der Pflanzenwelt sehr verbreitet. Ihre Konzentration in Weintrauben ist mit 10 – 16 ng/l allerdings eher gering und variiert dazu erheblich mit der Rebsorte. Wegen der großen Intensität des Aromas von MP können auch kleinste Mengen bereits zu unangenehmen, häufig intensiv gemüsigen Geschmacksempfindungen führen. Außerdem ist eine hohe MP-Konzentration auch immer ein Zeichen von Unreife der Trauben, da vorhandenes MP während des Reifeprozesses wieder abgebaut wird. Als Randbemerkung sei noch erwähnt, dass der sog. Marienkäferton auch durch Pyrazine verursacht wird.
Die verschiedenen Kellertechniken wie das Pressen oder die Maischestandzeiten beeinflussen die Spiegel von Pyrazinen im Wein so gut wie gar nicht. Eine Ausnahme bildet allerdings die sog. Thermovinifikation, wobei die Maische für eine kurze Zeit auf ungefähr 60°C bis 80°C gebracht wird um das Maximum der Extraktion von Farbe und Aromen zu erreichen, und wobei sich die MP Konzentration hitzebedingt stark verringert. Diese Methode der Erwärmung wird, wegen der häufigen und nur schwer kontrollierbaren Aromenverfälschungen im Wein, heute nur noch selten angewandt. Die Traubenstiele und Rappen enthalten zur Lesezeit viel Pyrazine, die vielfach praktizierte Vergärung mit diesen im Most, kann auch grüne Aromen in den Wein bringen. Das Gleiche gilt für die Blätter der Reben, die besonders bei der mechanisierten Ernte, ins Lesegut gelangen und dann mit vinifiziert werden.
Durch weinbauliche Maßnahmen im Rebgarten, kann man den späteren Pyranzingehalt der Trauben selbstverständlich auch manipulieren. Die bereits erwähnte Traubenreife spielt dabei eine wichtige Rolle. Die vom Weinmacher gewünschten vegetativen Noten bestimmen den Weinstil ganz wesentlich und erfordern eine am Reifestatus der Trauben orientierte, präzise Planung des Lesedatums. Eine weitere Möglichkeit der Modifizierung des Pyrazingehaltes im Lesegut ist die Ertragsregulierung durch den Rebschnitt. Ebenso vermindert das Entfernen von Seitentrieben, das Entblättern und Ausdünnen im Sommer das MP in den Trauben. Eine wichtige Erkenntnis ist auch, dass die Wetterbedingungen genau vor und während des Reifebeginns großen Einfluss auf die spätere MP Konzentration in den Trauben haben können.
Schließlich stellt sich die Frage welche physiologische Bedeutung den Pyranzinen zukommt. Vermutlich sind sie der Gegenspieler des Alkohols, der in kleinsten Konzentrationen den Tieren, die Trauben als Nahrung zu sich nehmen, ihre Verzehrbarkeit signalisiert. Die Pyrazine dagegen könnten ein Warnsignal sein: „Nicht zum Verzehr geeignet“! Auch manche Weinfreunde schätzen einen vegetativen Charakter in ihren Lieblingen nicht und ziehen stattdessen Weine mit konzentrierten Fruchtnoten vor. Diese Vorliebe insbesondere vieler Weinjournalisten hat, um genau das zu erreichen, zu verlängerter Reife im Rebgarten geführt, was den vegetativen Charakter in den Trauben verringert und das Fruchtaroma betont. Bedenkt man, dass es in den meisten Weinen über 500 Aromastoffe gibt, die sich addieren oder gar potenzieren können wird deutlich, dass die hier behandelten Pyrazine zwar wichtig und vor allem in einem gewissen Grad beeinflussbar sind, aber doch nur einen Bruchteil des ganzen Aromaspektrums darstellen. Diese Komplexizität macht den Weingenuss so spannend.
Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!