Der rätselhafte Kern in der Musik von Claude Debussy

Claude Debussy am Sommerstrand

Beim Hören von Debussys „La Mer“ hake ich mich gedanklich oft am Begriff „Impressionismus“ fest. Unweigerlich entstehen vor meinen Augen das Licht, die Farben und die schemenhaften Umrisse der Bilder von Gaughin, Monet oder Pissarro. Aber die Bilder reichen bei Weitem nicht aus das Gehörte zu erklären, dahinter verbirgt sich noch etwas anders, und mir fällt kein besserer Begriff dafür ein als  „Spiritualität“.  Der erste Satz von «La Mer» mit dem Titel, «Von der Morgendämmerung bis zum Mittag auf dem Meer», beginnt langsam, meditativ wie der Blick auf die Nebelschwaden im Zwielicht des Morgens über dem Wasser.  Dann wird die Geburt des Tages, der Aufgang der Sonne, eingeleitet, die mit dem ihr eigenen Lichtgetöse langsam als Feuerball am Horizont erscheint. Was dann folgt, ist weit mehr als Tonmalerei und lässt die Gedanken in eine flimmernd-farbige Welt voll üppig lebender Natur schweifen. Im zweiten, mittleren Satz („Spiel der Wellen“) nimmt man tatsächlich die Schaumkronen auf den kleinen, kurzen Wellen akustisch wahr, sie vollführen einen fröhlichen Tanz. Im letzten Teil, „Zwiegespräch von Wind und Meer“, vereinigen sich die Themen des Meeres aus dem ersten Satz mit den neuen Themen des Windes und spätestens zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass in Debussys Musik ein wunderbar orchestrierter, mystischer Kern steckt, den ich unbedingt kennenlernen möchte.

Um der Welt Debussys etwas näher zu kommen, muss man sich intensiv mit seiner Biographie beschäftigen. In ihr entdeckt man schnell die Verbindung des Komponisten zu den sog. französischen Symbolisten, wie zum Beispiel die Personen von Paul Verlaine (1844 – 1896) und Stéphane Mallarmé (1842 – 1898); auch die bedeutende Sängerin Emma Calvé (1858 – 1942)  – die gefeierte Carmen-Darstellerin der Belle Epoque  –  gehörte zu diesem Netzwerk. Insbesondere über sie kam Debussy schließlich mit dem Kreis der „Okkulten Erneuerung“ und dem „Ordre cabalistique de la Rose-Croix“ in Kontakt. Die „Rosenkreuzer“ sind, ähnlich wie die Freimaurer, ein Geheimbund, im 17. Jahrhundert gegründet und noch heute in vielen Facetten lebendig. Ziel des Bundes sei es ihre Mitglieder zum „kosmischen Bewusstsein“ hinzuführen, liest man auf seiner deutschen Internet Seite (www.rosenkreuz.de), dort erfährt man auch etwas über die geistigen bzw. spirituellen Hintergründe und beginnt vielleicht zu verstehen, warum im „Fin de siècle“ des 19. Jahrhunderts, so ein großes Interesse der Menschen an allem Esoterischen bestand und, besonders in Frankreich, zu einer Art Wiedergeburt von Geheimgesellschaften führte. Es ist überliefert, dass der geistig und offensichtlich auch spirituell interessierte Debussy dieser Faszination erlegen war. Ob er den Rosenkreuzern tatsächlich aktiv beigetreten ist (wie von diesen behauptet wird), ist nicht bekannt, aber im dortigen Freundeskreis befand sich Gérard Analect Vincent Encausse (1865 – 1916), genannt „Papus“, dieser war einer der bedeutendsten Vertreter der damaligen okkultistischen und theosophischen Denker des Landes und hatte enge Verbindungen zum russischen Zarenhof, wo er zum Gegenspieler Rasputins (1869 – 1916) wurde. Über ihn lernte Debussy Joséphin Péladan (1858 – 1918), einen französischen Schriftsteller und Okkultisten kennen, der mit seiner Frau eine Kunstgalerie führte und ein großer Musikfreund war. Mit ihm führte der Komponist offenbar einen regen Gedankenaustausch, u.a. auch über das Musiktheater Richard Wagners (1813 1883), dessen Einfluss sich noch in Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ findet. Die hier erwähnten Kontakte Debussys sind alle historisch verifiziert, nur gibt es offenbar kaum Dokumente über den geistigen Beitrag, den diese auf sein Werk hatten. Es dürfte selbstverständlich gewesen sein, dass man sich in diesen Kreisen insbesondere über die Theosophie sowie  die Kabbala, den Tarot, die Magie und die Alchemie austauschte.

Das, was man landläufig als impressionistische Klangbilder in der Musik Debussys bezeichnet, könnte auch das kompositorische Äquivalent seiner naturphilosophischen Betrachtungsweise sein, wie sie ja in „La Mer“ sehr deutlich wird. Wie sehr sich die Musik in Debussys Kopf abgespielt hat, bzw. aus seinem Geist heraus entstanden ist, erkennt man unschwer z. B. an dem Klavierstück „La Soirée dans Grenade“. Sein Schüler, der Spanier Manuel de Falla (1876 – 1946), soll Debussy enthusiastisch versichert haben, dieses Stück habe wirklich den Geist der Stadt getroffen, ohne jedes musikalisch-folkloristische Zitat und der Dichter Federico García Lorca (1898 – 1936), dessen Heimat tatsächlich Granada war, hat sich ganz ähnlich geäußert. Debussy war niemals in Granada, aber in die Poesie fremder Orte spirituell einzutauchen und ihr einen eigenen Ausdruck zu geben gehörte zu den großen Geheimnissen Debussys, von denen er eines in „La Mer“ nochmals wiederholt hat: diese Musik wurde weit weg vom Meer, zwischen den Weinbergen in Burgund, geschrieben.

Ich finde es nicht gerechtfertigt Debussy in die Schublade „Impressionismus“ zu werfen und ihm damit eine Stilrichtung aufzudrängen, die dem universellen Charakter seiner Musik nicht gerecht wird. Er selbst hat es immer abgelehnt seinen Musikstil in einem Atemzug mit den impressionistischen Malern zu nennen. Wohl mit Recht!

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