Es ist heutzutage nicht besonders „cool“ einzugestehen, dass man Süßweine mag. „Wie kannst Du bloß so eine süße Plörre trinken?“ Mit dieser Frage wird man auch gelegentlich konfrontiert wenn man von einem Pedro Ximenez aus dem fernen Andalusien schwärmt. “Alkoholstark und klebrig süß“ sei der mahagonifarbige, dickflüssige Wein. Das Überraschende an dieser Aussage ist, dass sie zum großen Teil stimmt, den Wein jedoch dadurch nicht diskreditiert. Der Alkohol schwankt zwischen 15 und 22 Vol.-% aber mit einem Zuckergehalt vom 220 g/l und mehr, gehört der Pedro Ximenez (PX) wohl zu den süßesten Weinen der Welt. Trotzdem muss er nicht klebrig sein, denn eine Säure zwischen 4 und 6 g/l bildet meist ein gutes sensorisches Gegengewicht zur Süße und sorgt bei den Spitzenprodukten für eine grandiose Harmonie am Gaumen. Da entfalten sich im bernsteinfarbenen bis fast schwarzen Wein Aromen von Trockenfrüchten wie Rosinen, Feigen, Datteln, die eingebettet sind in weitere Süßnuancen von Honig, Most, Marmelade, Orangenschalen und kandierte Früchte. Bei länger gereiften Weinen treten noch zarte Bitternoten, Schokolade, Kaffee, Kakao und Lakritze hinzu. Alles in Allem: ein Pedro Ximenez kann eine einzigartige Geschmacks- und Geruchssymphonie in Süß sein.
Vielleicht kann uns ja ein ein guter PX wieder an die Wurzeln unseres Geschmacksbewusstseins bringen. Die Sinnesphysiologie, d.h. die Lehre von den körperlichen Wahrnehmungen, unterscheidet zwischen dem primären und dem erworbenen Geschmack. Praktisch alles was auch Säuglinge und Kleinkinder mögen, gehört zur ersten Kategorie und das sind natürlich die süßen Dinge in flüssiger und später in fester Form. Wir erkennen es an der Mimik: nach dem Genuss von süßen Substanzen zeigt uns der Säugling einen freundlichen, lächelnden Ausdruck im Gesicht. Saure und bittere Dinge im Mund verursachen die typische mimische Abwehrreaktion. Erst im Laufe der Adoleszenz erlernen wir ein positives Geschmacksempfinden bei der Aufnahme nicht-süßer Genussmittel wie Kaffee, Tabak, Kaviar und vielen anderen. „Acquired taste” nennt man dies in der englischen Fachsprache. Wie bei vielen Geschmäckern, die wir erst im Erwachsenenalter so richtig zu schätzen beginnen, bedarf es sehr viel Übung und Wissen um in die Höhen der Geschmackswelt vorzudringen. Der PX verkörpert dabei die ganze Bandbreite des Süßgeschmacks. Gelegentlich erinnern mich die beruflichen Qualitäten eines PX-Weinmachers an die Arbeit eines Pâtissiers bzw. einer Pâtissière. Die Komposition und Harmonie der schier unendlich vielen süßen Nuancen im Wein hat tatsächlich Ähnlichkeit mit der Kunst des Konditors. Wen kann es da noch wundern, dass der PX für sich genommen ein ganz großartiges Dessert nach einem opulenten Mahl darstellt?
Der Pedro Ximénez wird aus der gleichnamigen Rebsorte hergestellt. Nach der Lese werden die Trauben im sog. Asoleo-Verfahren auf Holzgestellen an der Sonne getrocknet, bis der Zuckergehalt stark konzentriert und die Trauben zu Rosinen geworden sind. Früher erfolgte das Trocknen auf Strohmatten, was dem Wein die Bezeichnung „Strohwein“ einbrachte. Der Most mit seinem hohen Zuckergehalt wird vergoren, dieser Prozess wird dann meistens durch die Zugabe von Weinalkohol gestoppt. Sein weiterer oxydativer Ausbau bringt schließlich zusammen mit der langen Lagerung, die Monate bis Jahrzehnte dauern kann, in den „botas“ (500-Liter Holzfässer) die Konzentration und Komplexität des Aromas. Das von der üblichen Sherryproduktion her bekannte „Criadera-Solera-System“ der Jahrgangsmischung findet auch bei der PX-Herstellung Anwendung.
Vor etlichen Jahren hat der Kontrollrat der garantierten Herkunftsbezeichnung Sherry eine besondere Kennzeichnung für PX-Weine, deren durchschnittliches Alter über 20 bzw. über 30 Jahre im Fass beträgt, eingeführt. Man nennt die zwanzigjährigen Kreszenzen V.O.S, was so viel wie “Vinum Optimum Signatum – Very Old Sherry“ bedeutet. Die über 30 jährigen tragen das Etikett V.O.R.S. “Vinum Optimum Rare Signatum – Very Old Rare Sherry“. Nur eine Handvoll Kellereien erzeugen derartige Pedro Ximenez-Weine. Unter diesen seltenen und gelegentlich auch teuren Tropfen findet man die wahren Aroma-Offenbarungen!
Schließlich soll noch ein Sherry-Typ Erwähnung finden, der bei vielen Liebhabern der andalusischen Weinkultur ein Gefühl des Unbehagens hervorruft: der Cream Sherry. Dieser Wein ist ein im 19. Jahrhundert in England erfundenes Kunstprodukt, nämlich eine Cuvée aus Oloroso und Pedro Ximenez. Warum dieser Sherry so in Verruf geraten ist, liegt an der großen Popularität seiner Billig-Varianten, die zu den weltweit meist verkauften Sherrys gehören. Bei diesen wird nicht mehr edler PX für die Mischung verwandt sondern rektifiziertes Mostkonzentrat. Wie bei allen guten Cuvées der Weinkultur hängt die sinnliche Befriedigung des Geniessers von der Qualität und gegenseitigen Harmonie der Verschnitt-Partner ab. Nicht anders ist es beim Cream. Der Charakter eines Cream ist ganz unterschiedlich von dem eines Pedro Ximenez: er wird vom Oloroso dominiert und die Süße ist nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt des Geschmackserlebnisses. Er ähnelt in dieser Hinsicht einem guten Portwein und es scheint sogar, dass ein Qualitäts-Cream, wie ein guter Port, auch in der Flasche reifen kann und damit auch etwas von seiner Süße verliert. Ein Cream ist meist heller als ein PX und verfügt über 16 bis 18 Vol-% Alkohol, sein Zuckergehalt ist gegenüber dem PX deutlich niedriger und schwankt zwischen 115 und 140 g/l. Einen genussvollen Cream-Sherry erhält man nicht beim Discouter und muss im Fachhandel ggf. tief ins Portemonnaie greifen.
Bleiben Sie neugierig … und durstig!