An der Wand gegenüber des Kamins reflektiert in impressionistischen Mustern das Fackeln des Feuers und aus dem Schlitz hinter dem dort angebrachten Bild ist ein Gecko hervorgekrochen und klebt jetzt an der weißen Wandfläche. Da sich dieses Reptil an allen Mauern, egal ob horizontal oder waagrecht hängend, gut fortbewegen kann wird es Mauergecko (Tarentola mauritanica) genannt. Seine Bevorzugung von Gemäuer als Habitat hat vermutlich auch mit dessen höherer Wärmespeicherkapazität zu tun. Geckos lieben die Wärme, selbstverständlich auch am Kamin! Sie sehen aus wie ein Spielzeugkrokodil mit Schuppen auf dem grau-braunen Körper. Da sie vorwiegend nachts aktiv sind kann man ihre Farbe als eine Art „Tarnfarbe“ ansehen. Die fünf Riesenfinger an den „Füßen“ enthalten auf ihrer Unterseite Lamellen mit unzähligen kurzen, dünnen Haaren die mit Widerhäkchen versehen und für die Haftfähigkeit an rauhen Oberflächen verantwortlich sind und dem Tier die dreidimensionale Beweglichkeit geben. Seit wir ungezählte Mauergeckos bei uns in Andalusien als eine Art von Haustiere beherbergen gibt es in keinem Zimmer des Hauses Spinnen, Mücken oder andere kleinere Insekten mehr.
Der Mauergecko wurde 1758 vom schwedischen Naturforscher Carl von Linné (1707 – 1778), Begründer der noch heute gültigen Nomenklatur in Zoologie und Botanik, als „Lacerta mauritanica“ erstmalig beschrieben (daraus wurde im Spanischen “lagartija”). Der schwedische Konsul in Algier hatte dem Wissenschaftler, der schon zu Lebzeiten eine Legende war, einen Gecko aus Nordafrika nach Stockholm mitgebracht. Daher rührt die Bezeichnung „mauretanica“ (aus Mauretanien, dem Land der Mauren). Die heutige Verteilung des Mauergecko konzentriert sich immer noch auf den afrikanischen und europäischen, westlichen Mittelmeerraum. In Andalusien findet man sie selbst in Höhenlagen bis etwa 2.000 m. ü. M. In den anderen Verbreitungsgegenden mit gemäßigtem Klima von Nord- und Südamerika bzw. dem östlichen Mittelmeerraum, wurden die Tiere vom Menschen angesiedelt.
Der Mauergecko erwacht erst bei Einbruch der Dunkelheit zum richtigen Leben um sich dann nach Mitternacht wieder zur Ruhe in sein Versteck zurückzuziehen. Im Haus trifft man ihn nachts häufig in der Nähe von Lichtquellen, wo er den von dort angelockten Insekten auflauert. Hat er ein Beutetier ausgemacht schleicht er sich zunächst langsam heran, beobachtet die Situation und schätzt vermutlich die Abstände ab um dann plötzlich mit einem Satz auf das Insekt loszugehen und zuzuschnappen. Häufig sieht man den Gecko auch einfach am Licht wartend, denn er weiß, dass irgendwann eine Mücke oder Spinne vorbeikommen wird. Dabei gibt er u. u. Laute von sich, die sehr verschieden sein können und von regelrechten Rufen bis zu gurrenden Seufzern reichen können. Weibchen sind meist etwas kleiner und – im Gegensatz zum Menschen – deutlich ruhiger, d.h. sie „quatschen“ erheblich weniger. Zu was die Laute dienen, ob sie Sprache zur Kommunikation mit anderen Geckos oder zur Abwehr potentieller Feinde benötigt werden, ist unbekannt. Weibchen lassen sich vornehmlich zur Paarungszeit vernehmen.
Unter den Mauergeckos, die sich im Haus versteckt halten, sehe ich gelegentlich etwas komisch aussehende, schwanzlose Tiere. Sie können nämlich bei Gefahr einen Teil ihres Schwanzes abwerfen, der dann nach einiger Zeit nachwächst. Diese „neuen“ Schwänze sind kürzer und massiger als die Originale. Das Schwanzabwerfen ist eine sehr gute Vorrichtung der Überlebensstrategie, denn die Feinde laufen dem, meist langsameren Gecko hinterher und müssen sich, wenn sie ihn erwischen, mit dem deutlich weniger nahrhaften Schwanz begnügen. Das ist vielleicht der ganze Zweck des ansonsten so offensichtlich sinnlosen Schwanzes. Die natürlichen Hauptfeinde der Geckos sind manche Vögel, insbesondere Raben, und die Spitzmäuse. Die Weibchen der Mauergeckos legen vier- bis sechsmal im Jahr zwei hartschalige Eier. Die nach etwas mehr als zwei Monaten geschlüpften Jungtiere sind zwischen zwei und drei Zentimeter lang und wiegen zwischen 25 bis 45 Milligramm. Mauergeckos können bis zu zwölf Jahre alt werden.
Das Faszinierende an diesen Tieren ist ihr phylogenetisches Alter. Mit etwas Phantasie kann man in jedem Gecko noch die Merkmale eines Dinosauriers erkennen. Wie diese gehören Geckos und ihre zoologische Familie zu den Reptilien und bevölkern seit über 50 Millionen Jahren immer noch einen großen Teil unserer Erde. Das Alter seiner Art kann man dem Tier förmlich ansehen, gelegentlich erscheint es nämlich wie aus einem altem verwittertem Stein gemeißelt. Da sie wegen ihrer wesentlichen geringeren Größe offenbar viel anpassungsfähiger als die Saurier waren, haben sie bis heute überlebt und geben uns einen sehr lebendigen Blick in die Entwicklungsgeschichte unserer belebten Natur. Im Vergleich dazu sind wir Menschen mit einem Alter der Menschheitsgeschichte von knapp zweieinhalb Millionen Jahren noch Embryos und können, wie in den Sternenhimmel über uns, nur mit Demut auf den Gecko und sein immenses Artenalter blicken.
Bleiben Sie stets neugierig… und durstig!