Horaz und der Wein – die Übersetzung macht´s!

Aussichten von dem Landhause des Horaz in den Sabiner Bergen (Jacob Philipp Hackert, 1737 – 1807)

Von Horaz wusste ich bislang nur, dass er ein römischer Dichter zur Zeit des Kaisers Augustus war und Verse in mir nur sehr schwer zugänglichen, daktylischen Hexametern schrieb.  Erst in meinem schon sehr fortgeschrittenen Alter schenkte mir ein lieber Freund eine aktuelle Ausgabe der Briefe (Epistulae) in der völlig neuen und zeitgemäßen Übersetzung von Christoph Schmitz-Scholemann  (Horaz: „Und zum Glück fehlt mir nichts – nur Du“, Elsinor Verlag, Coesfeld 2020). Diese 115 Seiten habe ich im andalusischen Herbst regelrecht verschlungen. Das Gedankengut eines wahrhaft großen Mannes war in eine Sprache gegossen, die nichts mehr mit der starren literarischen Form des römischen Vorbildes in der Übersetzung von Johann Heinrich Voss aus dem 19. Jahrhundert gemein hatte, sondern spannungsreich und klar ihre Inhalte in einer modernen Sprache übermittelte.

Horaz, sein kompletter Name ist „Quintus Horatius Flaccus“, wobei flaccus „der Schlappe“ bedeutet, ist eines der frühen Beispiele für einen aus einem extrem bildungsfernen Milieu stammenden großen Denker und Schriftsteller: Sein Vater war ein freigelassener, römischer Sklave. Auf eigenen Wunsch ging Horaz als junger Mann nach Athen, wo er an der Akademie griechische Philosophie und Dichtung studierte. Dabei kam er mit der Gedankenwelt des Philosophen Epikur und des Dichters Anakreon in Kontakt, beide haben ihn ein Leben lang beeinflusst. Zurück in Rom schrieb er, lange vor den Briefen, seine Oden und Epoden in lyrischen Versmaßen sowie seine  Satiren. Mit den „Carmina“ wurde er zum kreativen Begründer der römischen Lyrik. Sein Gesamtwerk in einer Reclam-Ausgabe von 1899 umfasst sage und schreibe insgesamt nur 230 Seiten im bekannten A6-Kleinformat! Seine Schaffenskraft war also quantitativ nicht gerade überwältigend. Horaz starb im Alter von 57 Jahren, damals ein durchaus langes Leben!

Zwei Freundschaften waren bestimmend für Horazens Leben: Der „Poeta laureatus“ Vergil und der Staatsmann und Kunstfreund Gaius Maecenas. Vergil, Autor der „Aeneis“, dem römischen Nationalepos,  machte Horaz mit Maecenas bekannt, dieser war das, wofür sein Namen bis heute steht: ein Kunstmäzen. Er verschaffte Horaz nicht nur Kontakt zu den literarischen und politischen Persönlichkeiten Roms sondern spendierte ihm im Jahre 33 v. Chr. ein Landgut in den Sabiner Bergen, das für Horaz der geliebte Rückzugsort fürs Schreiben und Nachdenken wurde. In seinem 14. Brief bekennt er in den Worten Schmitz-Scholemanns: „Auf dem Land verfolgt mich niemand mit schiefen Blicken, und keiner vergiftet mir mein Vergnügen mit hinterhältigen, bissigen Reden. Die Nachbarn lachen, wenn sie mich sehn, wie ich grabe und pflüge und schwitze…“ So kann nur jemand sprechen, dem das Leben auf dem Lande viel bedeutet und das war bei Horaz ganz sicher so. In den stillen Stunden in der Natur muss ihm sein berühmtester Aphorismus „carpe diem quam minimum credula postero“ eingefallen sein. Die dem Inhalt genau entsprechende Übersetzung wäre „Pflücke den Tag denn man kann nicht sicher sein, dass es noch einen nachfolgenden gibt“.  Das „Carpe diem“ ist gleichsam zum Schlachtruf der Hedonisten in aller Welt geworden. Im vierten Brief der „Epistulae“ wiederholt Horaz diesen Ausruf, der in den Worten Schmitz-Scholemanns lautet: „…denke von jedem Tag, der Dir leuchtet, es sei Dein letzter: Glücklich erscheint die Stunde dem, der sie nicht erhofft hat.“ Ich persönlich finde den Nachsatz eigentlich das Bedeutsamste der gesamten Aussage: Verplane Deine Zeit nicht, lass sie unvoreingenommen auf Dich zukommen, dann hast Du die Chance auf spontanes Glück.

Um die Leistung des Übersetzers für unser Verständnis der Texte des Horaz zu illustrieren, werde ich im Folgenden die alte Voss´sche Version eines kurzen Textabschnittes der neuen gegenüberstellen. Es handelt sich dabei um einen Teil des fünften Briefes, in dem das epikuräische Loblied auf den Wein zu finden ist:

„… O gezecht und Blumen gestreuet!
Was wagt Trunkenheit nicht für Entwurf? Das Geheimnis enthüllt sie,
Hoffnungen leiht sie Erfolg, in der Feldschlacht treibt sie den Feigling,
Müdebeladenen hebt sie die Last ab, Künste gewährt sie,
Wen nicht schuf der Pokal mit gesegneter Fülle zum Redner?
Wem nicht unter dem Drucke der Armut gab sie Erlösung?“

Und jetzt zum Vergleich der entsprechende neue Text von Christoph Schmitz-Scholemann:

“Ich streue Blumen und fange schon an zu trinken, und wer mich deshalb für unklug hält – nun gut, ich werde es wohl zu tragen wissen. Der Wein hat schon viele Wunder vollbracht: Er öffnet, was verschlossen ist, und spendet Verzweifelten Hoffnung, Zaghafte führt er zum Kampf, den Niedergedrückten nimmt er die Last von der Seele und lehrt uns neue Wege zur Kunst. Die fruchtbaren Becher – wem lassen sie nicht die Worte leicht von den Lippen perlen, und wen, selbst wenn er arm ist, erlösen sie nicht, und sei es auch nur auf kurze Frist?“

Über die jeweilige Verständlichkeit der beiden Übersetzungen zu debattieren erspare ich mir. Auf keinen Fall möchte ich ein literarisches Urteil über die beiden Versionen abgeben, sondern lediglich die Aussage machen, dass meine Leselust beim modernen Text um ein Vielfaches grösser ist, zumal mich der von Horaz gedachte Inhalt des Textes auch sehr anspricht.

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