Wer von den kanarischen Inseln redet hat mit hoher Wahrscheinlichkeit Gran Canaria oder Teneriffa im Sinn und verbindet damit verstopfte Flughäfen und zubetonierte Strände. Den scheußlichen Charakteristika des modernen Massentourismus kann man aber noch einigermaßen entkommen, wenn man sich auf eine Fähre begibt oder ein kleines Flugzeug der Binter-Canarias nach Gomera nimmt . Schon am Hafen von San Sebastian de Gomera empfangen den Besucher die Chiringuitos und verbreiten durch den Duft von in Öl frittiertem Fisch das richtige Inselgefühl. Von Schickimicki keine Spur! Unter Jahrhunderte alten Lorbeerbäumen sitze ich kurze Zeit später auf der Plaza de la Constitución und schlürfe einen kühlen Insel-Weißen aus Tamargada, dessen Cuvée aus den mir bisher unbekannten Forastera und Listán blanca besteht. Frisch und süffig! Um mich herum höre ich vornehmlich englische und deutsche Laute. Die nächsten Schritte führen mich zur nahe gelegenen Taxistation und ich bitte den freundlichen Fahrer mich zum Parador Nacional zu fahren.
Es geht einen kurzen Weg bergauf und man steht vor dem ausgedehnten Gebäude, dessen Architektur angeblich dem typischen Baustil von Gomera nachempfunden ist. Durch die Eingangshalle hindurch betritt man den Garten und die Üppigkeit der Pflanzen und Blüten vor der überwältigenden Landschaft im gleißenden Sonnenlicht, deren Hintergrund das stahlblaue Meer und die ebenmäßige Form des Vulkans Teide auf der gegenüberliegenden Insel Teneriffa bildet, ist schlichtweg atemberaubend. Ich muss mir bewusst machen, dass ich mich im Januar – also mitten im tiefsten Winter und nur vier Flugstunden von der gegenwärtig meteorologisch tristen Heimat entfernt – befinde, um das ganze Ausmaß dieses visuellen Naturschauspiels mental richtig einzuordnen. Als dann lange nach Sonnenuntergang an gleicher Stelle der Vollmond eine glitzernde Straße auf dem Wasser bildet und der Berg auf Teneriffa sich im tief-dunklen Blau der Nacht verhüllt, sagt mir meine romantische Seele, dass ich hier mal wieder ein Stück Heimat gefunden habe – und ich bleibe auf der Bank sitzen bis die fallenden Celsius-Grade ein leichtes Frösteln in mir erzeugen.
Die ersten Stunden auf Gomera haben meine Liebe zu dieser Insel begründet und so waren die nächsten Tage eigentlich nur noch Bestätigungen bzw. Vertiefungen dieser Zuneigung. Die Insel ist rund wie ein Teller und hat etwa 24.000 Einwohner, die auf den 370 qkm leben. Auf der Fahrt in eine der unzähligen Schluchten der Insel, ins Valle Gran Rey, wo wir uns mit einem alten Freund nach langen Jahren wieder treffen wollten, ging die Reise durch den Parque Nacional de Garajonay. Man fährt am höchsten Berg der Insel vorbei durch immergrüne Wälder aus uralten Lorbeerbäumen. Das dunkle, satte Grün sowie die bizarren Formen der Bäume haben mich begeistert. Die ganze Gegend hat die UNESCO zum Welterbe deklariert. Auf den zahlreichen Parkplätzen am Rande der Straße stehen unzählige Autos mit hochgeklappter Heckklappe oder offenem Kofferraum und davor Menschen, die sich ihre Wanderschuhe anziehen. Da wird mir klar, was die Touristen auf die Insel Gomera zieht: die reizvollen und gut ausgeschilderten Wanderwege. In der Ortschaft namens Valle Gran Rey, unten an der Küste, fühlt man sich zunächst nach Deutschland versetzt. Die vielen Konditoreien mit Sahne-Torten und Apfelkuchen sowie die Restaurants werben mit deutschen Slogans für Kunden (die ewige Bundeskanzlerin soll ja auch regelmäßig hierher zum Wandern kommen).
Die Fahrt auf der gut ausgebauten Straße auf die nördliche Seite der Insel zeigt wie sich in diesen Breitengraden selbst auf kleinstem Raum die meteorologischen Verhältnisse schlagartig verändern können. Bei der Abfahrt und Ankunft in San Sebastian herrschte großartiges Hochdruck-Wetter, aber an der Nordküste regnete es gelegentlich aus den tief hängenden Wolken. Die kleinen Städtchen Hermigua, Agulo und Vallehermoso bieten außer ihrer direkten Umgebung, die mit Banansträuchern und Dattelpalmen bewachsen ist, wenig Aufregendes. Selbstverständlich gibt es überall Touristen, die in den Straßencafés herumhocken, oder die dörflichen Supermärkte bevölkern, aber es ist ein „sanfter“, unprätentiöser Tourismus, der sich geräuschlos gibt.
Der Hedonist kommt auf Gomera nur bedingt auf seine Kosten. Über den Wein habe ich mich bereits eingangs ausgelassen und viel mehr gibt es auch nicht zu sagen, außer vielleicht, dass auch rote Sorten vorkommen, aus denen trinkbarer Alltags-Rotwein gekeltert wird. Unter den absoluten Spezialitäten, die man in jedem Restaurant angeboten bekommt, sind die „papas arrugadas con mojo“, jene typisch kanarischen Salz-Schrumpfkartoffeln (papas arrugadas = faltige oder runzelige Kartoffeln) mit einer grünen oder roten Sauce. Die Vielfalt der Kartoffelarten ist auf den Kanaren ganz enorm und es gibt überall die spezielle kleine Sorte für dieses lokale Gericht zu kaufen. Die sehr würzige Schale mit ihrer zarten Salzkruste wird mitgegessen. Wirkliche Feinschmecker drängen darauf, dass die „papas“ in frischem Meerwasser gegart werden! Sie sollten nach dem Kochen nicht zu weich aber für die Saucen trotzdem saugfähig bleiben. Die „mojo verde“ ist eine grüne Sauce auf der Basis von Koriander und Petersilie, während die „mojo rojo“, wie der Name schon sagt, rot ist und rote Paprika, Tomate, Chili als Grundbestandteile enthält. Beide Saucen können noch Olivenöl, Weinessig, Knoblauch, Pfeffer und Kreuzkümmel enthalten. Es gibt so viele „Mojo“-Geschmäcker wie es kanarische Köchinnen und Köche gibt!