Alterspyramide und die Weinblase

Nach der Reifung im Barrique folgt die ebenso wichtige Flaschenreifung

Volle Fässer: wird am Bedarf vorbei produziert?

Die sog. Alterspyramide ist eine graphische Darstellung der Altersstruktur der männlichen und weiblichen Mitglieder einer Bevölkerungsgruppe. Der Begriff entstand am Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Verteilung des Alters der deutschen Bevölkerung tatsächlich noch pyramidenförmig war. Dies bedeutete, dass die jungen Menschen die Basis und zahlenmäßig die große Mehrheit der Bevölkerung darstellten. Je älter die Menschen wurden, desto weniger gab es von ihnen, daher wurde die Pyramide nach oben immer enger. Die Graphik sagte etwas über die Geburtenrate, die Sterberate und schließlich die Lebenserwartung der Gruppe aus. Heute ist die Pyramide durch die Form einer Urne ersetzt worden, was besagt, dass es verhältnismäßig weniger Junge als Älteren gibt, die für den Bauch der Urne verantwortlich sind. Tatsächlich prognostiziert die Statistik für das Jahr 2050 doppelt so viele ältere wie junge Menschen in Deutschland. Diese bereits heute gut sichtbare „Überalterung“ hat nicht nur für die späteren Renten der heutigen Jugend Bedeutung sondern verändert auch das Konsumverhalten der Gesellschaft.

Die hier schon zitierten Zeilen Wilhelm Buschs: „Rotwein ist für alte Knaben / Eine von den besten Gaben.” treffen einen wahren Kern und lassen vermuten, dass der Weinkonsum in der älteren Generation unserer Gesellschaft am höchsten ist. Die Statistik bestätigt diese Tatsache und zeigt auch, dass die Jüngeren insgesamt einen eher geringen Bezug zum Wein haben und signifikant weniger davon konsumieren. Als Konsequenz davon wird die in Richtung „Urnenform“ veränderte Bevölkerungsverteilung von Marketing-Experten euphorisch als „Marktchance“ für den Wein interpretiert, einfach deshalb, weil es mehr ältere, potentiell weinkonsumierende, Leute gibt. Tatsache ist aber, dass in vielen westlichen Industrieländern, trotz ständiger Zunahme der Älteren sich der Weinkonsum rückläufig entwickelt. Dieser Bruch in der vermeintlichen Logik muss durch zusätzlich einwirkende Faktoren verursacht werden.

In vielen, insbesondere in den Wein produzierenden, Ländern gab es bis vor relativ Kurzem eine breite Bevölkerungsschicht, bei der Wein ein Alltagsgetränk war und entsprechend viel, nämlich täglich in üppigen Maßeinheiten, konsumiert wurde. Diese Leute gibt es kaum noch. Gesundheitliche Probleme, die negative Beziehung von Alkohol und Straßenverkehr und die Forderung nach erhöhter kognitiver Präsenz bei der zunehmenden Komplexität der digitalen Welt, könnten Gründe für den Rückgang des Weinkonsums bei den Älteren sein. Auch die Veränderung des persönlichen Geschmacks mit einer damit einhergehenden Entmystifizierung des Weins, kann ein triftiger Grund sein sich vermehrt anderen Getränken zuzuwenden. Trotzdem gibt es nach einer Publikation der Forscher Szolnoki und Hoffmann (Hochschule Geisenheim) in der Altersklasse ab 50 Jahren eine kleine Gruppe „Häufig-Weintrinker“. Sie gehören soziologisch zur sog. „Oberschicht“ mit guter Ausbildung und sind wohl identisch mit der dritten Gruppe der kürzlich hier zitierten Bourdieu-Studie (siehe blog: Wein schenken), fallen aber, wegen ihrer schieren Kleinheit, statistisch kaum ins Gewicht.

Unter dem Strich muss man wohl, entgegen vielen euphemistischen Äußerungen von Getränke-Fachleuten, festhalten, dass der Wein in einer älter werdenden Gesellschaft trotz seiner immer wieder beschworenen literarischen Gewalt, wohl keine besonders rosige Entwicklungsaussichten hat. Sind die von Jahr zu Jahr größer werdenden Wein-Messen, wie die Düsseldorfer ProWein 2017 mal wieder exemplarisch vorgeführt hat, Ausdruck des frommen Wunsches einer aufgeblähten Wein-Industrie und wird die offensichtliche „Wein-Blase“ demnächst auch einmal platzen? Wenn man beispielsweise die übervollen Weintanks in Australien, die Absatzschwierigkeiten in Spanien und die geringen Qualitätsansprüche der Massenproduktion in den USA ansieht, könnte man glauben die Krise sei bereits im Anmarsch. Oder wird die Überproduktion von den gegenwärtig noch wachsenden Märkten in der Asien-Pazifik-Region vorerst tatsächlich noch aufgesogen? Vielleicht – aber sicher nicht mehr lange.

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