Die Titelfrage kann man nur mit „so gut wie nicht existent“ beantworten. Warum wird eine der charaktervollsten und weltweit verbreiteten Rebsorten in Spanien so vernachlässigt? Das dafür immer wieder angeschuldigte Klima kann es nicht sein. Spanien ist, nach der Schweiz, das höchstgelegene Land Europas und es finden sich ausreichend „cool climate“-Zonen in denen der Pinot Noir gute Wachstumsvoraussetzungen hätte. Sogar kalkhaltige Böden, die Lieblingsstandorte des Pinot Noir, sind dort vorhanden. Was also ist der wahre Grund für die stiefmütterliche Behandlung dieser Rebsorte? Ich glaube, dass es am spanischen Charakter liegt, der mit dem Pinot Noir nichts anzufangen weiß. Um das zu erläutern muss ich etwas ausholen:
Das Wort „Machismo“, häufig als Männlichkeitswahn übersetzt, stammt aus dem Spanischen. „Macho“ ist, völlig wertfrei, mit maskulin bzw. männlich zu übersetzen. Aber als „-ismo“ bekommt es einen negativen Zungenschlag: übertriebene Männlichkeit. Allerdings auch Frauen können sich für den Machismo begeistern und bewundern manche der macho-Stars. Obwohl der Besucher der Iberischen Halbinsel meist nur wenig davon spürt, lebt der Machismo in Spanien, trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten, unverändert weiter. Er äußert sich z.B. auch in häuslicher Gewalt, immer noch ein brandaktuelles Problemthema in Spanien. Aber auch viele gelebte Rituale wie der Flamenco-Tanz und der Stierkampf drücken Machismo aus. Der Pinot Noir ist die „weiblichste“ aller Rebsorten, die Weine sind von zarter Farbe, duften verführerisch, sind komplex und gleichzeitig filigran und mit weichen Tanninen ausgestattet, sie sind eben genau das was man gemeinhin „feminin“ nennen würde. Dafür kann sich weder der Spanier noch die Spanierin wirklich begeistern. Auch Weine müssen an ihren Gaumen stark und überwältigend, eben „macho“, sein, d.h. Extrakte und Tannine enthalten, wie ein junger Priorat- oder ein Toro-Wein.
Der spanische Weinbau hat eine lange Tradition von Kontakten ins Nachbarland Frankreich. Die Renommierregion Rioja war in ihrer ersten Blüte gleichsam ein Ableger von Bordeaux. Von dort, wo die Reblaus wütete, kamen die Techniken der Vinifikation und der Barrique-Reifung, die heute noch der Standard sind. Auch die bordelaiser Rebsorten wurden punktuell nach Spanien gebracht. Vega Sicilia z.B. pflanzte bereits im 19. Jahrhundert Cabernet Sauvignon, Merlot und Malbec. Zu Burgund gab es keinerlei derartigen Verbindungen und so schaffte der Pinot Noir den Weg über die Pyrenäen nicht. Die Legende, dass der spanische Tempranillo vom Pinot Noir abstamme, kann man getrost ad acta legen! Heute gibt es einige wenige Weinmacher, die mit dem Pinot Noir experimentieren. Miguel Torres war mit dem „Mas Boras“ auch auf diesem Gebiet ein Pionier, allerdings längst nicht so erfolgreich wie mit seinen anderen Weinen aus französischen Sorten. Alta Pavina unweit des Duero-Flusses und Enrique Mendoza in der Nähe von Alicante sind andere Pinot Noir-Protagonisten, aber auch sie sind, trotz guter Qualitäten, mit ihren „Burgundern“ eher erfolglos geblieben. Daher ist es wohl nicht vermessen zu behaupten „der Pinot Noir gehört nicht zu Spanien“.