Es ist nicht verwunderlich, dass chemische Substanzen, die eine pharmakologische Wirkung auf den menschlichen Organismus haben, diesen in vielfältiger Weise beeinflussen können. Medikamente, die eine hochspezifische Aktivität ausüben binden nicht selten an genau definierte Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Hormone und manche Blutdrucksenker sind dafür gute Beispiele. Andere wirken eher unspezisch indem sie mit dem Zellstoffwechsel in der einen oder anderen Weise interferieren. Zu diesen letzteren gehört das, an dieser Stelle schon vielfach erwähnte Resveratrol. Zur Erinnerung: diese Substanz gehört zu den sog. Polyphenolen, die sich z. B. auch in den Schalen der roten Trauben befinden. Sie soll für eine Vielzahl von den positiven Wirkungen des Weingenusses auf die Gesundheit verantwortlich sein sein (siehe auch Blog: Resveratrol: Rotwein in der Tablette?)
Vor kurzem ist eine Arbeit erschienen in der von einer Forschergruppe unter der Leitung von Estefanía Cabello an der Universität von Oviedo gezeigt wurde, dass Resveratrol, zumindest im Tierexperiment, die Fertilität erhöhen kann (E. Cabello et al.: Effects of resveratrol on ovarian response to controlled ovarian hyperstimulation in ob/ob mice, Fertility and Sterility 103:570-79, 2015). Es wurde postuliert, dass eine Interaktion mit der Hormonbildung für diese Wirkung verantwortlich sein könnte. Es gibt sehr ernsthafte Historiker, die immer wieder behauptet haben, der Wein sei eine der treibenden Kräfte für die Entwicklung unserer westlichen, abendländischen Zivilisation gewesen. Sie begründen dies damit, dass Trinker von Wein, selbst wenn sie vielleicht öfter etwas benebelt waren, auf Grund seiner gesundheitsfördernden Effekte länger lebten und sich wegen intensiverer sexueller Aktivität (Wein als Aphrodisiakum) auch mit größerem Erfolg fortpflanzen konnten. Die Steigerung der Fruchtbarkeit durch den Weinbestandteil Resveratrol würde sich zwanglos in diese Theorie einfügen. Das Genießen von Wein als Überlebensstrategie in der Entwicklungsgeschichte unserer Gesellschaft – was für eine faszinierende Idee!
Wie ich schon einmal hier an dieser Stelle bemerkt habe, ist eines der Probleme von Resveratrol dessen schlechte Bioverfügbarkeit nach oraler Aufnahme durch den Menschen, d.h. dass die zu erwartenden Blutspiegel des vermeintlichen Medikaments zu gering sind um eine pharmakologische Wirkung ausüben zu können. Weil so wenig davon ankommt ist dies vermutlich auch die Erklärung für die gute Verträglichkeit von Resveratrol. Ein weiterer Kritikpunkt von Untersuchungen an Ratten und Mäusen ist die sehr fragliche Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen. Die biologischen Systeme von Nagetieren und Menschen sind ausreichend unterschiedlich um auch eine unterschiedliche Pharmakologie von potentiellen Medikamenten bei den beiden Spezies annehmen zu können. Das Fazit bleibt: Resveratrol ist eine interessante Substanz, ihre Bedeutung für die Humanmedizin bleibt aber weitgehend umstritten.