Über einen Stolperstein gestolpert

Stolperstein auf dem Kettenhofweg im Frankfurter Westend

In der Mittagszeit an einem Altweiber-Sommertag ging ich durch das Frankfurter Westend. Vor einem Haus auf dem Kettenhofweg sah ich einige Menschen stehen, zwei oder drei der Männer trugen eine Kippa. Als ich näher trat nahm ich ein paar Rosen auf dem Boden verstreut wahr und schließlich entdeckte ich den neu ins Pflaster eingemauerten „Stolperstein“ mit seiner blitzenden Messingoberfläche. Ein etwas älterer Herr und eine jüngere Dame bemerkten mein Interesse und stellten sich namentlich vor. Sie seien Geschwister und aus Amerika gekommen um bei der Einweihung dieses Stolpersteins, den sie beide gesponsert hätten, dabei zu sein. Wohin denn der ehemalige Bewohner des Hauses vor dem wir standen deportiert wurde, wollte ich wissen. Er sei nicht deportiert worden sondern hätte sich diesem Schicksal durch Selbstmord entzogen. Dann erzählten sie beide abwechselnd die traurige Geschichte des Dr. Karl Gumbel, während in mir wieder jene Gefühle von Trauer und tiefer Scham aufkamen, genau wie ich sie einst in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz erlebt hatte.

Der hier geehrte Dr. Gumbel war jüdischen Glaubens und lebte von 1936 bis zu seinem Tod als Anwalt und Notar im Frankfurter Westend. Er hatte die Drangsalierung und Entrechtung der Juden nach der unseligen Machtübernahme der Nazis miterlebt und, da er eine sog. „Mischehe“ führte, muss er ganz ähnliche Erlebnisse gehabt haben, wie sie einst Victor Klemperer ergreifend in seinen Tagebüchern beschrieben hatte. Nach dem nationalen Novemberpogrom, der sog. „Kristallnacht“, wollten ihn Nazi-Häscher aus seiner Wohnung abholen. Er erlitt einen schweren Herzanfall, der ihn in diesem Augenblick transportunfähig machte und daher verschwanden die Menschenjäger wieder. Vorerst. Die Demütigungen gingen allerdings weiter und er musste seine Sekretärin, die Großmutter der beiden Stolperstein-Sponsoren aus den USA, entlassen und wurde schließlich aufgefordert sich der Gestapo zu stellen. Auch Dr. Gumbel hatte versucht durch Emigration ins Ausland seine Ruhe und seinen Frieden wiederzufinden und er hatte sich voller Zukunftshoffnung im französischen Nizza eine Immobilie gekauft. Mit Beginn des Krieges im September 1939, als Frankreich wieder zum Feind wurde, wurde auch die Illusion einer Auswanderung zerstört. Die Ausweglosigkeit seiner Situation kann man heute sehr gut nachvollziehen und Verständnis für seine „Flucht in den Tod“, wie es auf der Plakette auf dem Bürgersteig vor seinem einstigen Wohnhaus heißt, haben.

Jede einzelne Geschichte, die hinter den mittlerweile über 70.000  in über 20 Ländern angebrachten Stolpersteinen steht, ist vermutlich ähnlich berührend. Wenigstens einige der 6 Millionen Opfer einstigen deutschen Rassenwahns haben durch die Messingplaketten vor ihren ehemaligen Häusern wieder einen Namen und ein Gesicht bekommen. Dank dafür muss dem Künstler Günter Demning gezollt werden. „Über Stolpersteine sollen Menschen mit dem Kopf und mit dem Herzen stolpern“ mit dieser Aussage wird er bei Spiegel Online zitiert.  Genau das ist mir mit Karl Gumbel passiert. Was mich tief berührt bewirkt bei anderen Menschen völlige Ablehnung: man könne doch nicht ein erneutes Mal die Opfer mit Füssen treten bzw. über sie hinweggehen! „Gedenktäter“ wurden Demning und seine Freunde  von jüdischen Organisationen, wie ich finde zu Unrecht, apostophiert und das Anbringen ihrer Gedenksteine in Münchens Straßen hat man deswegen kurzerhand verboten. Dem Initiator bzw. seiner heutigen Stiftung, wurden  sogar ökonomische Interessen als Grund für die Stolperstein-Aktionen vorgeworfen. Anfangs waren die „Stolpersteine“ sogar völlig illegal, erst Jahre später bewegten sich die örtlichen Behörden und erteilten, mit der Ausnahme Münchens, die offizielle Erlaubnis zu ihrer Verlegung.

Die Initiative „Stolpersteine Frankfurt am Main“ hat, in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsdezernat der Stadt schon über 1000 kleine Erinnerungsplatten in die Trottoirs  eingelassen. 120 Euro zahlen die Sponsoren je Stein, die Kosten der Anbringung werden aus Steuergeldern finanziert. Nicht nur Juden, auch andere Verfolgte des NS-Regimes wie Sinti, Roma, Homosexuelle oder politisch Verfolgte, werden bei der Auswahl  berücksichtigt und zweimal im Jahr erfolgt ein Aufruf der Initiative die kleinen Messingplatten zu putzen. Die Namen der Geehrten sollen erkennbar bleiben! „Das grösste dezentrale Mahnmahl der Welt“ nennt es der Künstler laut Spiegel Online, und an vielen Orten sind die kleinen gold-glänzenden Hingucker auf dem Trottoir bereits Teil des selbstverständlichen Stadtbildes geworden. Die komplette Dokumentation zu jedem Namen, der auf den Messing-Täfelchen erscheint, ist im Internet abrufbar.

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