
Sieht so die Zukunft der klassischen Weinberge aus? (Foto Pixabay, mit Dank an Wolfgang Hasselmann)
Mit großer Besorgnis sehen Winzer und Weinmacher auf die möglichen Konsequenzen des Klimawandels für das Endprodukt all ihrer Bemühungen, den Wein. In den traditionellen Weinbaugebieten sind zunehmende Hitze, veränderte Niederschlagsmuster und extreme Wetterereignisse, wie Starkregen oder Hagel, eine echte Herausforderung für die Kultivierung und Qualität der Reben. Das Gebot der Stunde ist ganz offensichtlich die Entwicklung eines Spektrums von Methoden zum Umgang mit den meteorologischen Stresssituationen. Dabei spielen Innovationen im Rebbau eine zentrale Rolle: die Bepflanzung der Weinberge mit Schatten spendenden Bäumen und/oder eine gezielte Bewässerung sind Beispiele dafür. Daneben erlangen neu gezüchtete Rebsorten, die klima- und krankheitsresistenter als die herkömmlichen sind, eine zunehmende Bedeutung. Die Lösung des Problems wird von vielen Spezialisten und Winzern allerdings in der Erschließung neuer, bislang kaum genutzter Anbaugebiete gesehen, in denen der Klimawandel zu einem für den Weinanbau adäquaten Temperaturniveau geführt hat, oder in absehbarer Zeit führen wird.
In diesem Zusammenhang wird häufig Großbritannien genannt. Dort existiert bereits in den südlichen Regionen des Landes ein expandierender Weinbau. Immerhin lassen archäologische Funde vermuten, dass bereits die Römer, bei einem damals wärmeren Klima, in England Weinbau betrieben haben. Die neue Weingeschichte beginnt aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Etliche englische Weingüter produzieren Jahrgangsschaumweine aus den klassischen Sorten Chardonnay, Pinot Noir und Pinot Meunier und diese „sparklings“ haben mittlerweile z.T. Weltklasse-Niveau erreicht und motivieren die ganze Branche im Vereinigten Königreich in neue Kellereien zu investieren. Ähnlich geht es auch auf der kontinentalen Seite des Ärmelkanals zu: auch hier, im Norden Frankreichs, gibt es eine Weinbautradition. Insbesondere Winzer aus dem mediterranen Süden des Landes sehen in dem kühleren Norden ihrer Heimat eine Chance zum Erhalt ihrer Jahrhunderte alten Weinbautradition.
Erste Experimente mit dem Anbau und Keltern von Weintrauben finden auch in Norddeutschland und Skandinavien statt, denn diese Regionen werden vermutlich auf eine moderate Klimaerwärmung mit ausreichend langen und stabilen Vegetationsperioden antworten. Eine Herausforderung hier könnten allerdings Spätfröste und die völlig anderen Bodenverhältnisse werden. Die Insel Sylt ist seit 2009 der nördlichste Weinbauort Deutschlands! In Skandinavien wird in allen drei Ländern mittlerweile Wein angebaut, wobei PIWIs und andere Neuzüchtungen ganz im Fokus des Interesses stehen. In Schweden wachsen die Hektare unter Reben rasant und die anvisierten 10.000 Ha sind schon längst keine Utopie mehr. Die Qualität der mittlerweile rund 250 in Schweden produzierten Weine scheint, so liest man in den einschlägigen Verkostungsnotizen, recht gut zu sein. Auch Polen ist ein aufstrebendes Weinland, mit einer ins Mittelalter reichenden Tradition. In den Klöstern der Zisterzienser und Benediktiner wurde Wein insbesondere für liturgische Zwecke hergestellt. Heute gibt es bereits wieder über 500 produktive Weinberge in Polen, auf denen vielfach Neuzüchtungen gepflanzt wurden.
In den USA sind es die nordwestlichen Staaten Oregon und Washington, die sich durch ein moderates Klima auszeichnen und als Produzenten hochklassiger Rot- und Weißweine bereits viel Lorbeeren geerntet haben, die eine Alternative zu den südlicher gelegenen, klassischen Regionen bieten. Gleiches gilt für die Insel Tasmanien mit ihrem „cool climate“ gegenüber den Betrieben auf dem vom Klimawandel stark gebeutelten australischen Festland.
Neben der geografischen Verlagerung in unbekanntere Gegenden verschiebt sich der Weinbau auch deutlich in die kühleren Höhen. In Regionen, wo es ausreichend Berge gibt, wie z. B. in der Rioja, auf Teneriffa, in Andalusien, in der Schweiz oder in Argentinien hat man begonnen Rebgärten in höheren Lagen zu pflanzen. Da unsere Kellerei „Los Barrancos“ mit 1.300 m.ü.M. eine typische Höhenlage darstellt, hatten wir die Möglichkeit einige der Probleme dort selbst kennenzulernen. Extremes Wetter, bedingt durch die Klimaveränderung, kann genauso in den Bergen zu einem gravierenden Problem werden, nicht anders als die sommerliche Trockenheit. Am wenigsten bekannt sind die Effekte der erhöhten UV-Strahlung. Bekanntlich wird mit steigender Höhe die Atmosphäre dünner, sodass weniger UV-Strahlen durch Luftmoleküle und den Ozonschild gefiltert werden. Dadurch ist in Bergregionen die UV-Bestrahlung deutlich intensiver als im Flachland. Als grobe Faustregel gilt, dass die UV-Intensität pro 1000 Höhenmeter um etwa 10–12 % zunimmt. Andere Berechnungen kommen sogar auf Werte von bis zu 20 % pro 1000 Meter. Ultraviolette Strahlung ist für Pflanzen nicht nur lebensnotwendig, sondern kann auch wegen ihres hohen Energiegehaltes Schäden in deren Stoffwechsel verursachen. Die Flavonoide und Anthocyane der Weintrauben absorbieren zwar einen Großteil der UV-Strahlung und machen ihn unschädlich. Das chlorophyllhaltige Weinlaub, was für die Synthese von Aromastoffen und Zucker erforderlich ist, kann aber Schaden nehmen und dadurch den Charakter des späteren Weins erheblich beeinflussen. Diese Zusammenhänge sind zwar biochemisch durchaus plausibel, aber noch weitgehend unerforscht. Resultiert tatsächlich derselbe Wein, wenn identische Traubensorten verarbeitet werden, die entweder im Flachland oder auf den Bergen gewachsen sind?
Ich glaube fest, dass die Zukunft des Weinbaus wohl letztlich aus einer Kombination der hier kurz dargestellten Faktoren bestehen und damit Winzer, Weinmacher, Weinhändler und Weinliebhaber kreativ herausfordern wird. Mehr Details zum Thema finden Sie in diesem englischsprachigen Beitrag: https://www.internationalwinechallenge.com/Canopy-Articles/the-wine-regions-in-danger-due-to-climate-change.html
Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!