Nach Ansicht mehrerer Experten währte die Epoche der Romantik in der Kunst vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhundert und prägte sowohl die Literatur und die Musik als auch die bildende Kunst und die Philosophie. Neben der Musik ist es vornehmlich die romantische Malerei, die mich an diesem Zeitalter so fasziniert und bei der ich sehr häufig die geistige Nähe zur Musik der gleichen Epoche spüre. Unter den romantischen Malern ist schon seit Jahrzehnten Caspar David Friedrich (1774 – 1840) mein Favorit, an dessen Geburt vor 250 Jahren wir uns am 5. September 2024 erinnern werden. Auf einer um 1830 entstandenen Kreideskizze setzt Friedrich eine Harfenspielerin vor eine gotisch inspirierte Fantasiekathedrale und ich stelle mir vor, dass der Künstler damit, vielleicht unbewusst, eine Hommage an die Architektur im Sinne hatte, etwa analog zu Arthur Schopenhauer, der die Architektur mit der Metapher „gefrorene Musik“ bezeichnet hatte. Und tatsächlich, Caspar David Friedrich und die Musik ist ein Thema welches mir beim Betrachten seiner Bilder sofort in den Sinn kommt. Man muss keinen ausgeprägten Sinn für farbiges Hören haben, also für das Visualisieren von Tönen in Farbe oder umgekehrt für das Hören von Farben oder Formen, um den Zusammenhang von Friedrichs Bildern mit der Musik zu verstehen. Es wird nicht schwer sein beim Zuhören vom Adagio sostenuto aus Beethovens Hammerklavier-Sonate Op. 106 sich den Mönch am Meer, den einsamen Strand und den riesigen Himmel an dem die dunklen Wolken aufziehen, vorzustellen. Das Vorspiel zur Götterdämmerung von Richard Wagner lässt den Wanderer über dem Nebelmeer vor meinem geistigen Auge erscheinen. Dies ist keine Synästhesie im klassischen Sinne, dies sind nur deckungsgleiche Gefühle ausgelöst durch das Betrachten eines Bildes und das Hören von Musik.
Zu den Protagonisten der musikalischen Romantik zählt zweifelsfrei Richard Wagner. Er versuchte Dichtung, Musik, bildende Kunst, Schauspielkunst und Tanz zusammen als Gesamtkunstwerk in der Oper darzustellen. Beispielhaft sei in diesem Zusammenhang der „Fliegende Holländer“ erwähnt: Die erste Aufführung dieser Oper fand 1843 in Dresden statt, da war Friedrich schon drei Jahre tot. Das Bühnenbild wurde von dem Maler und Architekten Gottlob Friedrich Thormeyer entworfen, der sich an den Bildern von Caspar David Friedrich orientierte. Die Kulissen zeigten eine stürmische Meereslandschaft, eine norwegische Küste mit einem Leuchtturm und einem Dorf, und das Innere eines Schiffes, also Szenen, die vermutlich Friedrich so ähnlich auch gemalt hätte.
Die größten deutschen Künstler der damaligen Periode, der Maler Caspar David Friedrich und der Komponist Richard Wagner haben sich in Dresden nur um Haaresbreite verfehlt. Wagner wurde 1813 geboren, als Friedrich schon 39 Jahre alt war. Als Wagner, damals hieß er noch Richard Geyer, 1814 nach Dresden kam lebte Friedrich schon dort und es ist vorstellbar, dass sich das Kind Geyer und der etablierte Maler Friedrich auf der Straße oder im Milchladen begegnet sind. Als Wagner im Alter von 16 Jahren Dresden wieder verließ war Friedrich 53 Jahre alt. Selbst wenn es eine nachweisliche Begegnung gegeben hätte, hätten sich die beiden Kunsttitanen damals vermutlich noch wenig zu sagen gehabt. Es ist aber recht wahrscheinlich, dass Wagner die Kunst von Friedrich kannte, denn er war mit einigen von dessen Bewunderern, wie z.B. Ludwig Tieck, Heinrich Heine oder Franz Liszt befreundet und die revolutionären Ölgemälde Friedrichs waren in Künstlerkreisen häufig Gegenstand eines kontroversen Diskurses. Eine Schlüsselrolle in der geistigen Beziehung von Friedrich und Wagner spielt vermutlich Carl Gustav Carus, dessen Name heute die Universität Dresden schmückt. Dieser Naturwissenschaftler und gleichzeitige Malerfreund Friedrichs gründete zusammen mit Gerhard von Kügelgen den Dresdner Romantikerkreis, dessen beliebter Treff das Kügelgensche Haus war. Diese beiden Maler wurden enge Vertraute Friedrichs und mit ihnen entdeckte er auf langen Wanderungen die Landschaft der Sächsischen Schweiz in der sich auch Richard Wagner während seiner zweiten Dresdner Tage (1842 -1849) als er Hofkapellmeister dort war, Inspiration für sein Musiktheater holte.
Wagner zählte auch zu den Mitgliedern des Romantikerkreises, Friedrich lebte aber in jenen Tagen schon nicht mehr. Carl Gustav Carus war ein Freund und Arzt von Wagner, der ihn in seiner Autobiographie „Mein Leben“ mehrmals erwähnt. Carus, der Universalgelehrte, schrieb auch eine Abhandlung über die Musikästhetik, die Wagner stark beeinflusste. Carus und Friedrich, die künstlerisch viele Gemeinsamkeiten hatten, haben sich sicher auch über Wagner und sein Musiktheater ausgetauscht. Es gibt jedoch keine direkten Beweise dafür, dass Wagner ein konkretes Bild von Friedrich gesehen oder kommentiert hat. Die beiden Künstler hatten außerdem sehr unterschiedliche Auffassungen von der Rolle der Kunst in der Gesellschaft. Friedrich war eher ein stiller und zurückgezogener Maler, der seine religiösen, mystischen und nationalen Gefühle in seinen Werken ausdrückte. Wagner war dagegen ein leidenschaftlich revolutionärer Komponist, der seine aus dem bürgerlichen Rahmen fallenden politischen und philosophischen Ideen in seinen Opern zu vermitteln versuchte. Das Traurigste an der Wahrnehmungsgeschichte beider Künstler war, dass sie von den Nationalsozialisten für deren ideologische Zwecke schrecklich misbraucht wurden.
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