Der Traum von der „Convivencia“, dem friedlichen Zusammenleben verschiedener Religionsgemeinschaften war im maurischen al Andalus, wenigstens zeitweise, annähernd verwirklicht. Das Kalifat von Cordoba erreichte unter der Herrschaft der Umayyaden einen spektakulären kulturellen Höhepunkt , existierte aber nur knapp über hundert Jahre und war 1031 beendet. Einer seiner Totengräber war der ehrgeizige Kämmerer des minderjährigen Thronfolgers al-Hakam II. namens Abu Amir Muhammad ibn Abdallah ibn Abi Amir al-Mansur, im christlichen Spanien Almansor genannt. Nachdem er das Militär reformiert und mit meist streng Islamorthodoxen Berbern aus Nordafrika verstärkt hatte, begann er eine militärische Expansion sondergleichen. In mehr als 50 Feldzügen gegen den christlichen Norden des Landes wurden dessen Dörfer und Städte überfallen, geplündert und teilweise verwüstet. 981 wurde die Stadt Zamora zerstört und zum unbewohnten Grenzland zwischen al Andalus und den christlichen Königreichen erklärt. Erst unter Ferdinand I. wurde sie ein Jahrhundert später wieder aufgebaut und neu besiedelt. Nicht besser erging es 985 Barcelona. Unter den Nordafrikanischen Söldnern gab es eine starke Gruppe von ultraorthodoxen Muslimen und um deren Motivation für die Kriege und damit ihren Kampfgeist zu fördern wurde das Narrativ vom Glaubenskrieg erfunden. So wurden die „Razzien“ und „Eroberungsfeldzüge“ von Almansor die Blaupausen für die etwa ein Jahrhundert später folgenden Kreuzzüge der Christen in die muslimischen Länder des Orients.
Am 10. August 997 überfielen die Truppen des Almansor die Stadt Santiago de Compostela, dessen Kathedrale geschändet, geplündert und schließlich zerstört wurde. Christliche Bewohner wurden als Sklaven genommen und mussten die Glocken ihres Gotteshauses über 800 Kilometer auf ihrem Rücken nach Cordoba schleppen, wo sie als Leuchter und Symbol für den Sieg über die Ungläubigen in der Moschee verkehrtherum aufgehangen wurden. Dies war eine ultimative Demütigung, denn Santiago war bereits zur damaligen Zeit, neben Jerusalem, so etwas wie eine zweite Hauptstadt der Christenheit. Das Grab des Heiligen Jakobus des Älteren war das Ziel unzähliger Pilger aus allen europäischen Ländern die auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostella kamen. Der symbolische Wert von Kirchenglocken als Trophäen in muslimischen Eroberungskriegen auf spanischen Boden wurde vielfach dokumentiert. Dies galt auch für die Rückführung der von Almansor geraubten Glocken. Aus der Schrift „Historia de rebus Hispaniae“ des Erzbischofs Rodrigo Jimenez de Radas (gest. 1247) erfährt man von der Einnahme der Stadt Córdoba durch König Ferdinand III von Kastilien. Jimenez de Rada beschreibt wie die Glocken angeblich wieder auf dem Rücken von gefangenen Muslimen zurück nach Galicien an ihren Ursprungsort transportiert wurden.
„Unter Islamismus ist eine vom Islam zu unterscheidende, sich auf die Religion des Islam berufende Form des politischen Extremismus zu verstehen“, so definiert das Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz den Begriff. Wenn wir auf die Gräueltaten der Truppen Al-Mansurs auf seinen Eroberungszügen sehen, lässt sich mühelos eine Brücke zum Erscheinungsbild der zeitgenössischen Islamisten-Gruppen „Al Quaida“ oder „Hamas“ erkennen. Die Symbolkraft der Zerstörung der Kathedrale von Santiago de Compostela im Jahre 997 und die Zerstörung der „Twin Towers“ am 11. September 2001 oder das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 waren annähernd gleichwertig. Der Angriff auf die kulturelle Identität der mittelalterlichen Christen in Santiago und auf die kapitalistische Gesellschaft in New York sowie das Hassobjekt Israel war gleichermaßen heftig und nachwirkend. Ich glaube es ist durchaus gerechtfertigt von Islamismus zu sprechen, denn sowohl die Kämpfer des Abi Amir al-Mansur als auch die von Osama bin Laden oder die Hamas waren überzeugt den wahren Islam zu vertreten und nur dieser sollte in der Gesellschaft und ihrem Staat religiöse und politische Gültigkeit haben. Historiker und Politikwissenschaftler datieren die Entstehung des Islamismus meist in das 19. Jahrundert als Reaktion auf den westlichen Kolonialismus in den arabischen Ländern. Anfänglich waren diese Bewegungen weder politisch gewaltsam noch revolutionär. Das änderte sich erst mit dem Auftreten der Muslimbruderschaft im Jahr 1928. Diese religiös-fundamentalistische Bewegung war nicht nur antikolonialistisch sondern wollte auch die Einführung der Scharia, des islamischen Rechtssystems.. Damit war der politische Konflikt mit der herrschenden, westlichen Gesellschaft vorgeplant. Tatsächlich radikalisierten sich die modernen Vordenker des Islam und riefen schließlich großspurig zum bewaffneten Kampf gegen die „moralische Dekadenz und die atheistische Lebenseinstellung der abendländischen Welt“ auf. So ist es noch heute und wir im sog. Westen nennen diese Weltanschauung vereinfachend „Islamismus“ und ihre Methodik des global durchgeführten, gewaltsamen Kampfes, „Terrorismus“.
Zu den Zeiten von Abi Amir al-Mansur waren die geopolitischen und die religionsgemeinschaftlichen Verhältnisse natürlich anders als heute, aber der geistige und spirituelle Hintergrund, der zu den Glaubenskriegen des Mittelalters führte war offensichtlich kaum anders als heute. Muslime und Christen waren gleichermaßen motiviert für ihren Glauben in die Schlacht zu ziehen oder Elend und Unterdrückung in die jeweils gegnerischen Zivilgesellschaften zu bringen. Die technischen Fortschritte machen heute die Globalisierung von islamistischen Kampfhandlungen möglich, während sich Almansor mit vor Ort gesteuertem Terrorismus begnügen musste. Ich glaube, dass es bei der gewaltsamen Konfrontation von Religionen letztlich weniger um den Glauben an sich, als um die kulturelle Identität der miteinander kämpfenden Gesellschaften geht.
Bleiben Sie stets neugierig …und genussbereit durstig!