Lasst Euch nicht lumpen, hoch mit dem Humpen!

Für einen pensionierten Eisenbahner geschaffener (und geschmacklich fragwürdiger) Jubiläums-Humpen (Pixabay)

Unsere Trinkkultur hat über die Jahrhunderte in ihrer Entwicklung ein kleines Wunder vollbracht: die Größe der Trinkgefäße hat sich sehr genau an den vorgesehenen Inhalten orientiert. Schnapsgläser sind kleiner als Weingläser und diese wiederum kleiner als Bierkrüge. Setzt man den Alkoholgehalt der jeweiligen Getränke in Relation zum potentiellen Inhalt der Behältnisse, kommt man zu dem Schluss, dass in allen ungefähr die gleiche Menge Alkohol vorhanden ist. Deswegen können Gesundheitsbehörden bei ihren Trinkempfehlungen heute von „Alkoholeinheiten“ reden und meinen damit jeweils ein entsprechendes Glas. Einzig und allein die Biergläser machen eine häufige Ausnahmen von der Regel. Das berühmte bayerische „Maß“ – 1-Liter-Standardgröße, z.B. beim Münchner Oktoberfest –  enthält dreimal so viel Bier wie die klassische Einheit von 0,3 Litern. Das mag mit der Soziologie der Biertrinker zusammenhängen, bei denen häufig mehr der Akt des Trinkens und die konsumierte Alkoholmenge als der Genuss des Getränks im Vordergrund stehen. Neben der außergewöhnlichen „bayerischen Maß“ mit ihrem historisch festgelegten 50 Kubikzoll-Inhalt (genau genommen 1,07 Liter) gibt es, sozusagen als „Reichsantwort“ den ebenso großen, deutschen „Humpen“ (gelegentlich auch „Seidel“ genannt) , über den ich im Folgenden berichten möchte. Ein Humpen bezeichnet ein zylindrisches Trinkgefäss aus Glas oder Steingut, welches fakultativ über einen Deckel und einen Griff verfügt und praktisch ausschließlich dem Trinken von Bier dient. Häufig werden sie für besondere Gelgenheiten, wie Jubiläen, Geburtstage oder Pensionierungen individualisiert hergestellt. Es ist  nicht verwunderlich, dass gerade Studenten, wahrscheinlich zuerst in Leipzig, dieses Gefäß für ihren, oft wohl ans Maßlose grenzenden Biergenuss auserkoren hatten. In der Studentensprache des 16. Jahrhunderts war die ursprüngliche Bezeichnung „die Humpe“ sehr populär, vermutlich eine Verballhornung des griechischen „Kymbe“ (Schale, Becken, Trinkgefäss). Aus der Studentenszene stammt sicher auch der obige Titel dieser Zeilen. Der Humpen ist entweder aus dickem Glas oder aus Steingut, beides Materialen, die eine gute Isolationsfähigkeit besitzen und somit die Temperatur des kellerkühlen Bieres länger bewahren können.

Die temperierten Keller spielten für die Lagerung des fertigen Bieres in Fässern einst eine große Rolle und um die Wege zum Konsumenten kurz und das Bier kühl zu halten, stellten die Braumeister Tische und Stühle vor ihre Bierkeller und servierten ihre Durstlöscher in der frischen Luft. Der berühmte, deutsche Biergarten war geboren!  Da war es natürlich kein Nachteil, wenn der Humpen einen Deckel hatte, der verhinderte, dass Mücken und Blätter oder Blüten der Bäume des Biergartens in den Hopfensaft fielen. Ob er auch die Kohlensäure daran hindern konnte sich aus dem Bier zu verflüchtigen bleibt dagegen fraglich.  Die Ursprungsgeschichte des Bierkrugdeckels ist in Wirklichkeit etwas komplexer: sie geht nämlich auf eine Pestepidemie im 14. Jahrhundert zurück. Heute wissen wir, dass die Pest von einem Bakterium namens Yersinia pestis verursacht wird, das vorwiegend von Ratten als Träger von infizierten Flöhen und Läusen auf den Menschen übertragen wird. Vor sieben Jahrhunderten wusste man noch nichts von Infektionen durch Bakterien, aber man nahm intuitiv an, dass Mücken irgendwie in der Übertragung der Pest eine Rolle spielen könnten. Daher kam es zu der Vorschrift, dass beim Außerhausverzehr sämtliche Essens- und Getränkebehälter abgedeckt werden mussten. Die Pest wurde durch Antibiotika bezwungen, der Bierkrugdeckel blieb! Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine echte Tradition der Bierkrugherstellung, wobei jede nur denkbare Verzierung von den Fabrikanten angeboten wurde und noch heute in den Souvenir-Läden an Flughäfen und Bahnhöfen als typisch deutsches Design verkauft wird. Entsprechend der veränderten Trinkgewohnheiten sind diese „dekorativen“ Krüge auch kleiner geworden: neben den Originalen erhält man heute solche von 0,5 und 0.3 Litern Inhalt.

Aber auch der Deckel entwickelte ein Eigenleben. Die Materialen aus denen er hergestellt wurde, sind zum Statussymbol des Inhabers geworden. Porzellan, Zinn und Silber, mit entsprechenden Inschriften bzw. Gravuren versehen waren teuer und nur einer wohlhabenderen Schicht von Biertrinkern zugänglich.  Die ärmeren Bevölkerungsschichten benutzten dafür Deckel aus Filz. Diese Filzdeckel wurden sowohl als Untersetzer als auch zur Abdeckung des Behälters verwendet. Aus heutiger Sicht waren sie ganz offensichtlich nicht das hygienische Optimum, insbesondere wenn sie durch verschütteten Inhalt feucht wurden.. Anhand des Materials, aus dem der Deckel eines Humpen bestand, ließ sich also der gesellschaftliche Stand des Biertrinkers gut ablesen.

In meinem andalusischen Domizil stand seit vielen Jahren ein Halbliter-Steinzeug-Humpen mit einem dezenten blauen Muster auf dem Regal. Dabei handelte es sich um ein Mitbringsel eines deutschen Freundes. In den Hundstagen des vergangenen Sommers wusste ich nicht so recht wie ich meinen abendlichen Schlaftrunk unter dem leuchtenden Sternenhimmel kühl halten sollte. Da erinnerte ich mich des bislang völlig unnütz herumstehenden Geschenks, legte es am Nachmittag in den Eisschrank und, nachdem ich den Zinndeckel geöffnet hatte, füllte ich es des Abends mit dem spanischen Hopfensaft. Tatsächlich blieb das Bier lange kühl und als Nebeneffekt schwammen diesmal keine zappelnden Mücken oder Nachtfalter mehr auf der Oberfläche. Blöde waren unsere Vorfahren nun wirklich nicht!

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