Weinkitsch und Kitschweine

An dieser Stelle habe ich mich schon mehrfach über das Thema Wein und Kunst ausgelassen (kürzlich z.B.: Bayreuth, Richard Wagner und der Wein oder Ist die Ästhetik des Weins Kunst?) aber noch nie habe ich ein Wort über ein quantitativ viel wichtigeren Bereich, nämlich „Kitsch und Wein“ verloren. Vielleicht weil es mich selbst so negativ berührt, dass ich am liebsten nichts damit zu tun haben will. Dennoch: jeder bekennende Weinfreund ist sicher schon mal Opfer einer Kitsch-Attacke von Freunden oder Verwandten geworden. Korkenzieher mit übergroßem Wurzelholzgriff oder Gartenzwergen als Aufsatz, Tropfenfänger mit herumgeschwungenen Meerjungfrauen, bunte, mit Reblaub verzierte Weingläser, oder gar Weinflaschen mit Hologrammetiketten auf denen bei einem bestimmten Gesichtswinkel eine Frau ihre Hüllen fallen lässt und auch T-Shirts mit allerlei recht geschmacklosen  Weinmotiven, gehören u.a. zu den beliebten Gastgeschenken oder  zu den einschlägigen Gaben zum Geburtstag und Firmenjubiläum. In den großen Weinorten gibt es ganze Straßenzüge an denen Geschäfte mit Ständern vor der Türe ihre Wein-Paraphrenalia den vorbeischlendernden Besuchern präsentieren. Zwischen dem kalifornischen Napa und der Drosselgasse in Rüdesheim sind alle Genres von Weinkitsch vertreten.

Was unterterscheidet nun den Kitsch von der Kunst? Darüber gibt es unzählige Abhandlungen und ich möchte jedem, der in dieses Thema einsteigen möchte, empfehlen die entsprechenden Schlagworte zu „googlen“, dann wird er oder sie schnell fündig. Abgesehen von den Produktionsmethoden, die  immer eine Massenherstellung beinhalten , enthält Kitsch regelmäßig ein mehr oder weniger verlogenes, bzw. verzerrtes Abbild der Wirklichkeit in einer süßlich-dümmlichen Darstellungsweise. Der Gartenzwerg ist der Prototyp dafür. Ausserdem hat Kitsch immer nur bestätigenden Charakter, d.h. er enthält niemals etwas unbekannt Neues. Der Weinkitsch versucht die Wirkung des Weins ausschließlich positiv darzustellen, der Rausch wird schöngeredet denn in ihm blühen Freundschaft, Freude, Trost, Liebe und Sexualität. Während die großen Weinliebhaber unserer Kultur, wie Lichtenberg, Lessing, Goethe, Schiller, Beethoven, Hesse und viele andere, immer von der Kreativität bzw. der schöpferischen Kraft geschwärmt haben, die ihnen der Wein bei verantwortlichem Genuß verliehen hat, berichtet die kitschige Volkspoesie nur von banalen „Wohlfühl-werten“ beim Weintrinken und damit diese möglichst lange anhalten sollte „das Wasser im Rhein goldener Wein sein“ – und man selbst ein Fischchen im Strom.

Übrigens, auch der Inhalt einer Weinflasche kann „kitschig“ sein. Der Geschmack eines breiten Publikums kann heute mühelos in fast jeder Kellerei reproduziert werden. Es gibt praktisch alle Aromen zu kaufen und so kann man jeden beliebigen Geschmack in den Wein bringen. Weinfreunde werden dann in den Supermärkten mit diesen „Limonadenweinen“ oder auch „Kitschweinen“ konfrontiert – leider sogar oft mit durchaus seriösen und unverfänglich aussehenden Etiketten.

Für mich ist der Wein eine durch menschlichen Fleiß errungene Gottesgabe. Das Getränk selbst ist völlig rational und ohne jede Mystik, seine Wirkung allerdings ist vielfältig und regt die Phantasie an. Entsprechend haben Architekten, Maler, Musiker und Schriftsteller versucht diesem Gottesgeschenk in ihrem jeweiligen Arbeitsbereich ein Denkmal zu setzen und wir, die Genießer, sind aufgefordert diese Kunstwerke  zu bewundern und uns nicht durch unsäglichen Weinkitsch oder Kitschweine verführen und verblöden zu lassen.

 

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