Der Hexer vom Entlebuch: Stefan Wiesner

Frühlingskräuterstrauß angerichtet auf Zwiebelpüree und aufgegossen mit Zwiebelsuppe, heißer Eisenerzstein In Nussschale.

Frühlingskräuterstrauß angerichtet auf Zwiebelpüree und aufgegossen mit Zwiebelsuppe, heißer Eisenerzstein in der Nussschale.

Von Luzern ist es mit der Regionalbahn etwas mehr als eine halbe Stunde Fahrt durch malerische voralpine Landschaft in das Entlebuch, ein Naturpark, der 2001 zum UNESCO-Biosphärenreservat gekürt wurde. Mitten drin liegt das Dorf Escholzmatt mit seinem Gasthof Rössli. Dort begrüsst uns bereits am Eingang Stefan Wiesner mit einem sympathischen Lächeln. Der uns überreichte Aperitif zum bevorstehenden Mittagsmenü besteht aus Huflattich-Sirup mit Rosmarin-Nadeln, aufgegossen mit einem moussierenden, erfrischenden Wein aus der Region um Luzern.

Wir befinden uns an diesem Sonntag-Mittag im Rössli am Beginn der sog. „Uhr-Aufführung“, einer kulinarischen Zeitreise von der Steinzeit zur 14.000 Jahre späteren Neuzeit. Entsprechend sind die Ingredienzien gewählt: die Skala reicht von der Gletschermilch, über Kiefernadeln und Schwefelblüten bis zu den  Entdeckungen der spanischen Eroberer in Südamerika: Chili, Mais sowie essbare Silber- und Goldplättchen. Daneben werden reichlich Naturprodukte aus der unmittelbaren schweizer Umgebung, wie verschiedene Wiesenkräuter, Mohn, Raps, Bockshorn, Birkensaft, Brennesseln, Klee, Lavendelblüten u.v.m. verwandt. Auch Rost, Kohle, Asche, Holz, Steine und Leder finden Platz in Wiesners kulinarischem Repertoire.

Stefan Wiesner während der Erläuterung seiner Kreationen

Stefan Wiesner während der Erläuterung seiner Kreationen

Serviert werden die einzelnen „Akte“ des Menüs, auf bzw. in Terracotta-, Holz- Stein- oder Glasbehältern. Stefan Wiesner bezeichnet sein Menü als „innovatives und kreatives Gesamtkunstwerk“. Zu jedem der acht Akte (Gänge) dieses Gaumenschauspiels gab es hervorragend abgestimmte Schweizer Weine, ausgesucht von Jasmin Caspar, der Somelière und Service-Chefin. Der „Hexer vom Entlebuch“ hat seit über einem Jahrzehnt die geschmacklichen Besonderheiten der Wiesen und Wälder im Naturpark studiert und seine Kenntnisse in die avantgardistische Naturküche des „Rössli“ eingebaut. Erwähnenswert auch der „Käsewagen“, auf dem mehrere Dutzend vorwiegend Hartkäse aus dem geographischen Umkreis von 20 km um Escholzmatt zu finden waren. Auch in diesen gustatorischen Preziosen teilte sich das Terroir der Gegend dem Gaumen auf ganz faszinierende Weise mit.

Wiesner hat auch in Büchern über seine Kochideen  geschrieben ( z.B.: Stefan Wiesner u.a., Gold Holz Stein: Sinnliche Sensationen aus Wiesners alchemistischer Naturküche, AT Verlag, Aarau 2008), sogar bevor der Kopenhagener Koch René Redzepi mit seinem Gourmettempel „Noma“ die Gastrofreaks in aller Welt mit einem ähnlichen Konzept begeisterte. Der gesprächige Stefan Wiesner war im wahrsten Sinne des Wortes ein Trendsetter und wurde dafür auch schon mehrfach international ausgezeichnet. Die Aromenwelt und die Geschmäcker, die er aus seiner eigentlich eher unspektakulären Wald- und Wiesenwelt zaubert, spiegeln ein  vielschichtiges und reizvolles „terroir“ wider, womit er sich auch einen Michelin-Stern verdiente.

Mein persönlicher Eindruck nach der spannenden gastronomischen Mittagsvorstellung im „Rössli“ war, dass die klassische Molekularküche eigentlich schon längst in der Rumpelkammer der kulinarischen Geschichte verschwunden sein müsste. Es lebe die Naturküche, in der geschmackliche Verfremdungen oder Stilisierungen nicht mehr nötig sind weil die Natur selbst dem Koch ihr randvolles Aromen-Füllhorn zur Verfügung stellt! Danke, Stefan Wiesner, für diese einfache aber gerade deswegen so grandiose und äußerst köstliche Einsicht!

 

 

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