Kurz vor seinem Tod, im Jahr 1872 kündigte der Berliner Fabrikant Johann Heinrich Grüneberg in Zeitungsannoncen an, dass ab sofort sein von ihm erfundenes „Nahrungs- Präparat“ unter der Bezeichnung DEUTSCHE ERBSWURST im Handel sei. Bereits 1867 hatte er sie erfunden und für annähernd 35.000 Thaler (ca. 120.000 €) an die preußische Armee verkauft. Diese nutzte die Erbswurst als Ernährungszusatz für ihre Soldaten im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Auf dem Höhepunkt des Krieges sollen täglich 65 Tonnen (65.000 Kilogramm!) davon produziert worden sein. Ist der deutsche Sieg und die folgende Vereinigung zum Deutschen Reich im Spiegelsaal von Versailles etwa der Erbswurst zu verdanken? Nach dem Ableben von Grüneberg übernahm die Firma Knorr in Heilbronn die Produktion des wohl erfolgreichsten Fertiggerichtes aller Zeiten. Später landete es beim britisch-niederländischen Konzern Unilever.
Die Erbsensuppe aus der Erbswurst war nahrhaft, einfach zuzubereiten und billig – und die materia prima in Form der Wurst war praktisch unbegrenzt haltbar. Noch in meiner Jugend gab es sie, und immer dann wenn es schnell gehen musste kochte meine Großmutter Erbsensuppe aus Erbswurst mit Wiener Würstchen. Ich habe dieses Gericht geliebt, aber es war eine Liebe, die leider in Vergessenheit geriet. Eine feuchte Masse aus Erbsenmehl, Fett, Salz, Speck, Zwiebeln und Gewürzen wurde in einen Naturdarm gepresst und getrocknet – fertig war die Erbswurst. Später hat man den Naturdarm dann durch eine Art Pergamentpapier ersetzt und noch diverse Geschmacksverstärker zugefügt.
Nach Jahrzehnten der Erbswurstabstinenz habe ich sie bei einem Internet-Versender wiedergefunden. Das Wiedersehen mit dem jetzigen Unilever-Produkt war ganz der nostalgischen Art: sie sah mit dem „Knorr-Schriftzug“ aus wie früher und roch auch so. Nachdem ich mir entsprechend der Vorschrift eine Schale Suppe gemacht und ein Paar Frankfurter Würstchen (eine Hommage an meinen gegenwärtigen Wohnsitz) hineingeschnitten hatte, kam es zur lang ersehnten Geschmacksbegegnung: Na ja, wie frisch gemachte Erbsensuppe ist das gastronomische Monument aus der Zeit unserer Urgroßväter natürlich nicht, aber sie hat einen irgendwie authentischen, sehr speziellen Geschmack bei sämiger Konsistenz, der mir gefällt. Vielleicht hätte ich sie mit Bouillon und/oder Butter bzw. Milch/Sahne verfeinern können, aber mit der Wursteinlage hat es mir dennoch gemundet.
Dann habe ich mir noch überlegt was ich wohl dazu trinken könnte und bin beim staubtrockenen Amontillado namens „Carlos VII“ aus Montilla hängen geblieben. Karl der VII. (1848 – 1909) war Herzog von Madrid und rechtmäßiger Anwärter auf den spanischen Thron. Er war zwar ein Zeitgenosse Grünebergs aber von irgendeiner Beziehung zur Erbswurst berichten die Historiker nichts. Die zarten Feuerstein- und Nußtöne auf leicht bitterem Hintergrund gepaart mit feiner Säure, fügten sich perfekt in die rauchigen und salzigen Noten des charmanten Erbswurstgerichts, aber sie haben sie vielleicht doch etwas übertönt. Genuss kann manchmal so fürchterlich banal daher kommen – weil er sich nicht nur am Gaumen sondern gelegentlich auch im Kopf abspielt!