Auf dem Weg zur Kellerei „Los Barrancos“ in den Alpujarras habe ich für einen Tag in Granada Station gemacht. Es ist der Beginn der „Semana Santa“ (Karwoche) und in der Zeitung las ich heute Morgen, dass die Touristen 40 Millionen Euro in dieser Woche alleine in der Stadt Granada ausgeben werden. Tatsächlich, es herrscht hier beinahe soetwas wie ein mentaler Ausnahmezustand. Neben den unzähligen Fremden, die aller Herren Länder Sprachen sprechen, gibt es viele Menschen die sich in dieser Zeit frei nehmen und zu ihren Dörfern oder in die Städte ihrer Herkunft fahren, wo die Feierlichkeiten besonders in den Prozessionen ihren Ausdruck finden. Diese gibt es die ganze Karwoche über, der Höhepunkt ist dann fast überall am Karfreitag.
Die Bruderschaften, „Cofradías“ genannt, die einer bestimmten Kirchengemeinde angeschlossen sind, organisieren das Spektakel.. Die „Pasos“ sind entweder die Mutter-Gottes-Statue oder eine Christus-Figur aus der entsprechenden Kirche. Sie werden feierlich von den Trägern („Costaleros“) aus dem jeweiligen Gotteshaus getragen und von den „Nazarenos“ begleitet. Diese sind die bekannten Büßer in ihren langen Kutten mit den typischen Spitzhauben, wie wir sie von den Zeichnungen Goyas kennen. Sie tragen angezündete Kerzen. Davor oder dahinter kommt die Musikkapelle mit Trommeln, Trompeten und Hörnern, die langsame, getragene Marschmusik, gelegentlich aber mit schaurig dissonanten Tönen, spielt. Das Ganze macht auf jeden, der es zum ersten Mal sieht, einen recht gruseligen Eindruck. Man wird unweigerlich an die Zeiten der Inquisition erinnert, in denen die zum Tode Verurteilten in solchem Büssergewand zum Scheiterhaufen geführt wurden.
Heutzutage sind die „procesiones“ eigentlich nur noch eine folkloristische Tradition. Nur wenige der Zuschauer wissen vermutlich genau worum es dabei ursprünglich ging und es kümmert sie auch nicht. Man trifft sich mit Kind und Kegel auf der Straße, bewundert das Dargebotene und geht hinterher ein Bier oder ein Glas Wein trinken. Das versöhnt auch den Betrachter, der langsam die andalusische Mentalität zu verstehen beginnt: der Ernst, den wir Nordlichter oft in das spanischen Wesen interpretieren existiert in dieser Form überhaupt nicht. Ich persönlich habe gelernt, dass man in diesem Lande die Dinge viel öfter einfach spielerisch sehen muss. Dort wo nach aussen vieles sehr ernst erscheint, schimmert oft ein gerüttelt Maß quijotesker Ironie durch. Die Freude an der Ästhetik von Farben, an den Bewegungen menschlicher Körper und an den arabesken Tönen, die ja auch die Flamenco-Musik ausmachen, beherrscht die andalusische Seele und will von den Besuchern ergründet werden. Darum ist dieses Land so anders und so faszinierend.