Die Geschichte, die ich erzählen will, beginnt im Badischen, nämlich im Städchen Zell im Wiesental. Ein gewisser Fridolin Weber wurde dort 1733 geboren und zum nahen Verwandten von zwei Ausnahmemusikern aus zwei einander nachfolgenden Generationen: er war der Onkel Carl Maria von Webers und der Schwiegervater von Wolfgang Amadeus Mozart. Die Witwe Mozarts war jene geborene Weber, deren Vater Fidolin sich mit seinem fürstlichen Arbeitgeber in Zell überworfen hatte und am Ende arm und mittelos für die Erziehung seiner vier Töchter aufkommen musste. Schließlich zog er mit seiner Familie nach Mannheim, wo seine von dort stammende Frau immer noch viele Kontakte, insbesondere in der Musikwelt, hatte. Weber wirkte an der Hofkapelle des Kurfürsten Karl-Theodor als Bassist, Souffleur und Notenkopist. Mannheim galt in jenen Tagen als eines der musikalischen Zentren Europas („Mannheimer Schule“). Zu jenen, die zu den Konzerten und Opernaufführungen in Mannheim pilgerten, gehörten neben den Mozarts auch Johann Christian Bach, Gluck, Klopstock, Goethe und Lessing. Im Hause Weber lernte Wolfgang Amadeus, der Mittzwanziger, die älteste Tochter, die Koloratursängerin Aloysia Weber kennen. Er verliebte sich in diese, aber seine Liebe wurde von ihr nicht erwidert und so heiratete er am 4. August 1782 in Wien deren 20-jährige, jüngere Schwester Constanze. Über sie kennen wir das schriftlich überlieferte Urteil ihres Vaters Fridolin, in dem er sie mit Aloysia vergleicht. Sie verfüge nicht über die körperliche Schönheit ihrer Schwester und war auch weniger intelligent, hatte aber, wie er explizit betonte, ausreichend gesunden Menschenverstand, „genug um ihre Pflichten als Frau und Mutter erfüllen zu können.” Alle Dokumente, einschließlich seiner zahllosen Briefe, bezeugen, dass Wolfgang sein „Stanzerl“, wie er Constanze nannte, tatsächlich sehr geliebt hat. Sie bekam fünf Kinder, von denen aber nur zwei, Carl Thomas und Franz Xaver Wolfgang, überlebten.
Nach nur neun Jahren Ehe starb Mozart im Dezember 1791 über seiner Arbeit am Requiem, es sollte sein letztes, unvollendetes Meisterwerk werden. Nach Mozarts Tod hat Constanze die musikalischen Arbeiten ihres verstorbenen Ehemanns gesichtet und gesammelt, sie hat damit der musikalischen Nachwelt das ungeheure Erbe des genialen Meisters bewahrt. Ein glücklicher Zufall half ihr dabei, nämlich als im Jahre 1798 der Geschäftsträger an der dänischen Gesandtschaft in Wien, Georg Nikolaus Nissen (1761 -1826), eine neue Unterkunft benötigte fand er nach langen Suchen im Hause von Constanze eine neue Bleibe. Die Witwe Mozarts hatte ein leichtes Spiel ihren musikinteressierten Untermieter für die Biographie ihres verstorbenen Ehemanns zu begeistern. Nach Jahren gingen die beiden eine Beziehung ein, die schließlich 1809 zur Hochzeit führte. Danach verließ Nissen den diplomatischen Dienst und das frisch vermählte Ehepaar begann eine ausgiebige Reisetätigkeit durch Deutschland, Italien und Dänemark. Um ihrem Studiensubjekt auch physisch näher zu sein, ließen sich Constanze und Georg Nikolaus 1824 in Mozarts Geburtsstadt Salzburg nieder. Hier begann Nissen, unterstützt von seiner Frau, mit der systematischen Erforschung und Dokumentation von Mozarts Biographie. Leider starb Nissen zwei Jahre nach der Übersiedlung nach Salzburg und so blieb auch die erste Mozart-Biographie unvollendet. Der unschätzbare Verdienst Constanzes war, dass sie, wie wir heute sagen würden, zwei „Ghost-writer“ (Feuerstein und Angermüller) engagierte um Nissens Werk auf der Grundlage ihrer eigenen Kenntnisse zu Ende zu führen*. Sie blieb bis zu ihrem eigenen Tod in Salzburg wohnen und hatte ihren Mann um 50 Jahre überlebt als sie im Alter von 80 Jahren starb. Nach der ersten Ehe mit einem häufig arbeitslosen und auf Aufträge wartenden Kapellmeister namens Mozart wollte Constanze in ihrer zweiten auch einen sozialen Aufstieg sehen. Um dies nach außen zu dokumentieren dichte sie ihrem Gatten den Adelstitel „von“ an. Als „Graf von Nissen“ soll sie ihn bezeichnet haben, die spätere Forschung konnte aber niemals eine Erhebung in den Adelsstand von Georg Nikolaus Nissen dokumentieren. Ganz ähnlich lag der Fall übrigens beim Adelsprädikat von Constanzes Vetter Carl Maria „von“ Weber.
Aus den Unterlagen des Kirchenmusik-Komponisten Max Keller, einem guten Freund von Nissen und seiner Frau, kennen wir eine frühe Daguerreotypie von Keller und seiner Familie in Altötting auf dem sich links im Vordergrund mit Kopftuch und vollem, mittelscheitlig gekämmtem Haar auch Constanze befinden soll. Ob sie es wirklich ist, wurde immer wieder bezweifelt, denn es müsste eines der ersten Bilder dieser Art sein, die Daguerreotypie wurde bekanntlich erst 1839 der Öffentlichkeit vorgestellt. Anthropologen sehen aber deutliche Ähnlichkeiten dieses Fotos mit gemalten Bildern der Witwe Mozarts und übrigens auch mit Bildern Carl Maria von Webers.
Auf dem romantischen Stadtfriedhof bei der barocken Salzburger St. Sebastian-Kirche findet sich an der Stelle des Grabes von Wolfgangs Vater Leopold Mozart, ein vom Geschäftsmann Johann E. Engl (1835–1921) errichtetes Schaugrab. Damit wollte der Mozart-begeisterte Engl offenbar den Familien Nissen/Weber/Mozart am Ort ihres Wirkens die in seinen Augen längst fällige Referenz erweisen. Die Musikfreunde in aller Welt danken es ihm!
*Nissen, Georg N, Feuerstein und Rudolph Angermüller: Biographie W.A. Mozarts. (4. Nachdruck der Ausg. Leipzig 1828), Georg Olms Verlag, 1991.
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