Les Nuits d´Eté (Sommernächte) von Hector Berlioz

Theophile Gautier: Autor der in „Les Nuits d´Eteé“ zusammengestellten und von Berlioz komponierten Lieder

Es geschieht schon recht selten, dass ich eine CD-Einspielung zum Anlass nehme ein Essays über ein beeindruckendes Stück Musik zu verfassen. Aber vor einiger Zeit konnte ich im Radio Bekanntschaft mit Berlioz´ großartiger Lied-Komposition „Les Nuit d´Eté“ (Die Sommernächte) machen. Es sang die wunderbare Veronique Gens. Ich war hingerissen von der Musik und ihrer Interpretin! Am nächsten Tag begab ich mich zu einem „Record store“, wie es neudeutsch heißt, und versuchte einen Tonträger mit den „Nuits“ zu bekommen. Die einzige CD, die vorrätig war, war die mit Janet Baker als Mezzosopran unter dem Dirigat von John Barbirolli. Die Aufnahme stammte aus dem Jahr 1967. Das machte mich sehr skeptisch, denn ich hatte ja vermutlich eine deutlich geringere Tonqualität zu erwarten. Was später aus den Lautsprechern kam, war jedoch allerhöchster Musikgenusss und übertraf das Erlebnis meiner ersten Radiobekanntschaft mit dem Liederzyklus bei Weitem!

Bei den „Nuits“ handelt sich um eine Zusammenstellung von sechs, nicht zusammenhängenden Orchesterliedern, die in vieler Hinsicht vergleichbar mit Gustav Mahlers Rückert-Liedern sind. Die Texte hat Berlioz der Gedichtsammlung mit dem widersprüchlichen Titel „La comédie de la mort – Die Komödie des Todes von Théophile Gautier entnommen. Dieser interessante Autor war ein guter Freund des Komponisten (seine Tochter Judith wurde übrigens die späte Muse des 32 Jahre älteren Richard Wagner). Gautier hat sich mit seiner Poesie, die gelegentlich der schwarzen Romantik zuzurechnen ist, einen festen Platz in der französischen Literaturgeschichte erobert. Die Überschrift „Sommernächte“ weckt zunächst die Assoziation eines „Sommernachtstraumes“, aber das Gegenteil ist eigentlich der Fall: die Lieder sind, bis auf das erste und letzte, mit tiefer Melancholie erfüllt und reden von Traurigkeit, verschmähter Liebe und Tod. Das erste Lied heißt „Villanelle“, was eine Gedichtform bezeichnet, die sich vom italienischen „Villano“ ableitet und einen bäuerlich-bukolischen Charakter beschreibt. Genau das hat Berlioz in Töne gesetzt: Ein eher leichtes, beschwingtes Bauern-Lied dessen erste Strophe lautet:

Quand viendra la saison nouvelle,
Quand auront disparu les froids,
Tous les deux, nous irons, ma belle,
Pour cueillir le muguet au bois;

(Wenn die neue Jahreszeit kommt,
Wenn die Kälte verschwindet
Dann gehen wir beide, meine Schöne
Im Wald die Maiglöckchen pflücken.)          

Diese und die folgende, leider sehr holprige Übersetzung stammt vom Autor dieses Beitrags. Hoffentlich möchte man beim Anhören der Villanelle trotzdem fröhlich mitsingen und mittanzen. Den romantischen Höhepunkt erreicht der Zyklus dann bereits im zweiten „Le spectre de la rose“ betitelten Lied:

Soulêve ta paupière close
u’effleure un songe virginal ;
Je suis le spectre d’une rose
Que tu portais hier au bal.

(Öffne Deine geschlossenen Lider,
die von einem keuschen Traum berührt wurden
Ich bin der Geist einer Rose
Die Du gestern beim Ball getragen hast.)

Die Worte beschreiben den Traum einer Rose, die am Busen ihrer Trägern nach dem nächtlichen Ball verwelkt ist. Berlioz gelingt es hier Melancholie, Leidenschaft und Erotik so eng miteinander zu verflechten, dass einem Schauer der Erregung über den Rücken laufen. Gleichzeitig spürt man die tiefe Innigkeit und die unendliche Zärtlichkeit in der Musik. Die Stimme und der Ausdruck von Janet Baker übertrifft gerade in diesem Stück alles was ich in diesem Genre bisher gehört habe! „Sur les lagunes: Lamento“ heiß das dritte Lied. Ein Fischer am Strand von Venedigs Lagune klagt über den Verlust seiner Geliebten. Das vierte Lied („L’absence“)  besingt die Abwesenheit von der Geliebten und dann folgt „Au cimetière: clair de lune“, wo wir im Mondlicht eine morbide, ja beinahe gespenstische, Friedhofsstimmung erleben. Dies ist schwarze Romantik in Reinform. Am  Ende unter dem Titel „L’île inconnue“ hellt sich die Stimmung wieder auf. Eine Frau will das Ufer der Treue finden, wird aber von einem Schiffer aufgeklärt, dass sie dorthin niemals gelangen werde. Die Musik ist, wie am Anfang des Zyklus, humorvoll, spielerisch und leichtfüssig.

Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass „Les Nuits d´Eté“ autobiographische Züge trage und Ausdruck der Auflösung von Berlioz´ Ehe mit der englischen Schauspielerin Harriet Smithson sei. Da er aber eine neue Geliebte schon in seinen Armen hielt, konnte er die beiden freundlichen Abschnitte, die gleichsam den Rahmen des Werkes bilden, mühelos komponieren. Mit den „Sommernächten“ begründete Berlioz das Genre des Orchesterliedes, welches dann, wie ich finde, bei Gustav Mahler und Richard Strauss seine Vollendung erreichte. Eine Gesamtaufführung dieser sechs Lieder hat der Komponist allerdings nicht mehr erlebt. Kein Zweifel, Berlioz hätte sich beim Anhören der hier beschriebenen CD genauso für seine Musik begeistert wie wir heute,  fast zwei Jahrhunderte später. Die Stimme der geadelten Dame Janet Baker beeindruckt durch ihre Tonfülle und die meisterhafte Interpretation der Musik. Auch der großartige, ebenfalls geadelte, Dirigent Sir John Barbirolli trägt seinen Teil zum Gelingen dieser wunderbaren musikalischen Schöpfung bei und so vermittelt diese Aufnahme einen Zauber, der schwer zu überbieten ist.

Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!

 

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