Gastrosnobs nennen sie überheblich die Auster der Armen. Gemeint ist die Miesmuschel oder auch Pfahlmuschel genannt, jene weiche und fleischige Meeresfrucht, die sich – tatsächlich austernähnlich – hinter zwei spiegelbildlich über einander liegenden, schwärzlich und perlmuttartig glänzenden Kalkschalen versteckt. In einem belgischen Restaurant habe ich auch gesehen, dass rohe Miesmuscheln in ihrer einen Schalenhälfte, dekorativ auf gestoßenem Eis und mit einer Zitronenhälfte drapiert, wie Austern serviert und konsumiert wurden („moules parquées“). Die entlang den europäischen Meeresküsten an Steinen und Pfählen haftenden Mollusken (Weichtiere) in Schale galten bei den Meeresanrainern schon immer als Volksnahrungsmittel. Miesmuscheln sind in der Tat sehr reich an Eiweiß, Mineralstoffen, Spurenelementen und Vitaminen (insbesondere B-Vitamine). An den Küsten werden sie das ganze Jahr über verzehrt, im Landesinneren gilt die Faustregel, dass sie nur in den Monaten mit r genießbar sind. Grund dafür waren die langen Transportwege, die in den Sommerzeiten ohne Kühlmöglichkeiten zum raschen Verderben der Muscheln führte.
Genau genommen waren es nicht die Muscheln, die schnell verdarben, es war vielmehr eine giftige Meeresalge namens Dinophysis, die sich in den Sommermonaten stark verbreiten und beim Konsumenten zu erheblichen Magen- und Darmbeschwerden führen kann. Mittlerweile haben Forscher herausgefunden, dass es sich tatsächlich um kleinste Lebenwesen handelt, die auf diesen Algen leben und die toxischen Chlorosulfolipide freisetzen. Seit in manchen Ländern auch Miesmuscheln in sog. geschlossenen Aquakulturen für den Verzehr gezüchtet werden hat sich das Problem erledigt (die außerordentliche Schmackhaftigkeit der kleinen Mollusken aber leider auch!). Es gibt noch einen anderen Grund für das Gebot des kleinen r beim Muschelverzehr: die Tierchen hinter der schwarzen Schale laichen im Sommer und schmecken dann nicht so gut wie zu anderen Jahreszeiten.
Die Muscheln, die in Deutschland z.B. auf „rheinische Art“ serviert werden gehören zu der Gruppe namens Mytilus edulis. die gemeine Miesmuschel. Sie ist deutlich kleiner und blasser als die Mytilus galloprovincialis, oder die Mittelmeer-Miesmuschel. Trotz des Herkunftshinweises „Mittelmeer“ findet sich diese Muschel auch am Atlantik, wo sie insbesondere im Westen Spaniens, der Küstenregion Galiciens, in Aquakulturen in den „Rias“, einer Art Fjorde, an Holzplattformen wachsen – und das schon seit einem Jahrhundert. Nur noch ein verschwindend kleiner Anteil der verkauften Miesmuscheln stammt heutzutage aus echtem „Wildfang“. Die riesigen, quadratischen Holzplattformen (auf galicisch: „bateas“), deren Maße ungefähr 40 x 40 Meter betragen, dienen als Befestigung für die ins Meer gelassenen Seile. An diesen hängen die Muscheln im Wasser und bei ausreichendem Gewicht werden sie geerntet (pro Plattform sind es zwischen 70 und 90 Tausend Kilogramm Muscheln im Jahr!). Beinahe 300.000 Tonnen Muscheln werden aus galicischer Produktion jährlich in den Rest Spaniens und in die ganze Welt exportiert. Damit gehört Galicien zusammen mit China zu den größten Muschelproduzenten der Welt und die Muscheln sind zum wichtigsten Wirtschaftsgut der gesamten Region geworden. Man kann sich vorstellen welch katastrophale ökonomische Konsequenzen das Importverbot für galicische Miesmuscheln in den Jahren 2013 und 2014 hatte, als in Frankreich eine Welle von Brechdurchfall mit dem Verzehr dieser Mollusken in Verbindung gebracht wurde.
Der feine, filigrane Geschmack mit dem Jod-Aroma des Meeres machen die „mexillon de Galicia“ (galizische Muschel) zu einer großen und in Europa ziemlich einzigartigen Delikatesse. Kein Wunder, dass die Miesmuscheln aus Galicien, als erstes Meeresprodukt überhaupt, seit 2007 eine geschützte Herkunftsbezeichnung nach den EU-Regularien mit dem entsprechenden Gütesiegel tragen darf. Voraussetzung dafür war die Einführung und Erfüllung rigoroser Qualititätstandards, die, entsprechend einer D.O. (Denominación de origen) beim Wein, von einem „Regulierungsrat“ (Consejo Regulador) überwacht werden. Insbesondere die Wasserqualität und das Algenwachstum werden regelmäßig kontrolliert um eine Überwucherung mit der gefürchteten Dinophysis-Alge zu vermeiden. Für die (galicisch:) „Mexillón de Galicia“ (spanisch: Mejillón de Galicia) befindet sich das Kontrollorgan im Hafenstädtchen Vilagarcía de Arousa an der Bucht (ria) von Arousa.
Eine geschmackvolle Art die galicischen Miesmuscheln zu konservieren ist, sie in Metalldosen zusammen mit einer pikanten Sauce luftdicht zu verschliessen. In Spanien sind insbesondere die „Mejillones en Escabeche“ beliebt. Escabeche ist eine, auf ein maurisches Rezept zurückgehende, Würzsauce mit Essig, Öl, Lorbeer, Pfeffer, Wacholder, Zwiebeln, Knoblauch und Salz. Auch die „Salsa gallega“ wird vielfach mit Muscheln in die Dose gefüllt. Sie besteht aus Tomaten, scharfem und süßem Paprika, Lorbeer, Knoblauch und anderen Gewürzen. Der Purist, der den Orginalgeschmack möglichst unverfälscht am Gaumen spüren möchte, wird sich die Miesmuscheln „al vapor“ (im Dampf gegart) servieren lassen. Üblicherweise werden sie zwar auch durch Dampf gegart aber die Flüssigkeit ist kein Wasser sondern eine Sauce entweder aus Gemüsen, oder Tomaten bzw. Weißwein oder Sahne, die dann wie eine Suppe gelöffelt werden kann. Dazu passen, wie man in der Brüssler „Rue de Bouchers“ herausgefunden hat, großartig knusprige Fritten und ein duftiger Sauvignon Blanc.