Genau genommen liegt der Ursprung des Luzern-Musik-Festivals an der ehemaligen Villa Richard Wagners in Tribschen, einem kleinen Ort nahe Luzern am Vierwaldstätter See. Dort dirigierte Arturo Toscanini im Park vor der Villa ein „Concert de Gala“ am 25. August 1938, das als Beginn der renommierten Internationalen Musikfestwochen Luzern (IMF) in die Geschichte einging. Ende des 20. Jahrhunderts erhielt der französische Architekt Jean Nouvel den Auftrag ein Kulturzentrum mit Konzertsaal zu bauen. In seinem „KKL“ (Kultur- und Kongresszentrum Luzern) befindet sich heute einer der modernsten und besten Konzertsäle der Welt mit einer unbeschreiblichen Akustik. Schließlich wurde das IMF in „Lucerne Festival“ umbenannt und Claudio Abbado zum Chefdirigenten des Lucerne Festival Orchestras berufen. Fast 11 Jahre hatte er dessen musikalische Leitung inne, bis er 2014 starb. Die Symphonien von Gustav Mahler waren sein Vermächtnis und bis auf die Achte hatte er sie alle in einem legendären Zyklus dirigiert. So war es eine Huldigung an den verstorbenen Maestro wenn sein Nachfolger Ricardo Chailly dieses Jahr die Festspiele mit genau diesem Musikstück eröffnete.
Als Chailly auf dem Dirigentenpult vor dem berühmten Luzerner Festival-Orchester stand, seinen Dirigentenstab erhob und ihn dann mit fester Bewegung nach unten schlug brach zu den Worten „Veni, creator spiritus!“ ein musikalischer Tsunami im Konzertsaal über die Zuhörer. Mit ungeahnter musikalischer Kraft vereinten sich vier europäische Chöre, das groß besetzte Orchester und acht Gesangssolisten zu einem Klangkörper, der vom Dirigenten zu einer grandiosen Einheit zusammengefügt wurde. Die Symphonie besteht ja nur aus zwei Sätzen: dem Hymnus Veni, creator spiritus, einem mittelalterlichen Pfingsthymnus, und der vertonten Schlussszene aus Goethes Faust Zweiter Teil. Im ersten Teil war die Musik eine gewaltige und sehr eindringliche Huldigung des Geistes, die sich in der Form einem Oratorium oder einer Motette annäherte und im großartigen Konzertsaal klanglich voll zur Geltung kam.
Der folgende Satz dieser „Symphonie der menschlichen Stimme“ (häufig auch gegen Mahlers ausdrücklichen Willen „Symphonie der Tausend“ genannt) war von einer zarten Mystik und Liebe zur Natur durchwoben in der das Zusammenspiel von Chören und Solisten sogar gelegentlich opernhafte Züge annahmen. Die vielen wunderbaren und beglückenden Melodien weisen den Komponisten natürlich als Spätromantiker aus, der aber mit dieser Musik das Tor zur Zukunft bereits einen Spalt weit aufgemacht hat. Im mitreißenden Finale, zu dem alle Chor-, Solisten- und Orchesterteilnehmer leidenschaftlich beitrugen, huldigt der Komponist dem „Ewig-Weiblichen“, was für ihn die Liebe ist (das Thema des Lucerne Festivals war übrigens „Primadonna – die Frauen in der Musik). Mahler selbst hat die Achte als die Krönung seines Schaffens bezeichnet während Theodor Adornos Ablehnung dieses Musikstückes nur zu seiner Beschreibung als „Riesenschwarte“ reichte. Der frenetische und lange andauernde Beifall zeigte, dass die Anwesenden im Luzerner KKL das eigentlich leicht zugängliche Werk sehr gut verstanden und die Ansicht Adornos definitiv nicht geteilt haben.
Am 12. September 1910 wurde die Achte in der Münchner neuen Musik-Festhalle unter der Leitung von Gustav Mahler selbst uraufgeführt. Die Liste der damals Anwesenden liest sich wie ein Who-is-Who der Kulturgeschichte des beginnenden 20. Jahrhunderts. Neben Mahlers Frau Alma Mahler, waren u.a. Stefan Zweig, Thomas Mann, Siegfried Wagner, Max Reinhardt, Richard Strauss, Willem Mengelberg, Hermann Bahr, Arnold Schönberg, Alban Berg, Leopold Stokowsky, Arnold Berliner und Anton Webern anwesend. Denen, die die Klänge von Mahlers Achten zum allerersten Mal hörten, muss das Werk wie die Zusammenfassung des musikalischen 19. Jahrhunderts, in dem sie ja selbst alle noch wurzelten, vorgekommen sein. Ein grandioser Abschied von einer Zeit, die vier Jahre später für immer dem Untergang anheim fiel. So empfinde ich das geniale Werk Mahlers auch heute noch.