Zwar ist dem Kenner spanischer Weinkultur das Wort „bodega“ ein geläufiger Begriff, aber die Vielfalt seiner Bedeutung ahnt er meist nicht. Für den einen ist es vielleicht die kastilische Bezeichnung für eine Kellerei, für den anderen der magische Klang einer spanischen Institution, die man im Deutschen am ehesten mit „Weinschänke“ übersetzen würde. Beides ist natürlich ganz eng miteinander verbunden, denn die Kellereien waren ja früher fast immer auch Treffpunkte von Menschen, deren Gaumen dem Wein andächtig huldigten. In der „guten Stube“, dem Empfangsraum, vieler alter Kellereien hängen oft noch vergilbte Photos von Berühmtheiten aus Politik und Kultur, wie sie zwischen den Faßreihen stehen und ihre „copita“ (Weinglas) zärtlich in der Hand wiegen. Man ist stolz auf den König, den Präsidenten und seine Minister, Stars und Sternchen vom Film oder Theater, bekannte bzw. weniger bekannte Maler, Bildhauer sowie Schriftsteller, und natürlich auf die großen „matadores“, die Stierkämpfer, die der Bodega einen Besuch abgestattet und damit für willkommene Werbung im Lande gesorgt haben. Nicht alle hatten allerdings das zweifelhafte Glück der Bodegas Federico Paternina in der Rioja, wo sich über ein Vierteljahrhundert lang regelmäßig Ernest Hemingway einfand und den Betrieb für den Tag seines Besuches lahmlegte.
Wer mangels eigener Prominenz keinen permanenten Zutritt zu den großen bodegas hatte mußte auf die Lokale zurückgreifen, die das Ambiente der Kellereien auf ein paar Quadratmetern nachstellten. So kam es, daß bereits im 18. Jahrhundert die Fässer in die Kneipen kamen und der Begriff „bodega“ auch für die Weinschänken mit der, selbst wenn sie überirdisch lagen, typischen Kelleratmosphäre, geboren wurde.
Das spanische Wort „bodega“ hat eine sehr vielfältige Bedeutung. Neben der erwähnten Kellerei bzw. der davon abgeleiteten Schänke kann es einen Laderaum, eine Vorratskammer, eine Scheune, einen Güterschuppen oder sogar einen Schiffsraum bezeichnen. Diese breite Anwendung erklärt sich mühelos aus der Herkunft des Wortes. Die Römer brachten es auf die Iberische Halbinsel. Das lateinische „apotheca“ bedeutete nämlich ganz allegemein „Speicher“ und ist damit u.a. auch die Wurzel des deutschen Begriffs „Apotheke“ (Speicher von Arzneistoffen). Aber bereits in der Antike wurde dieses Wort auch für ein Weinlager benutzt. In den Wohnhäusern der Römer, wo sie häufig auch den Wein für den eigenen Bedarf machten, lag die „apotheca“ im oberen Teil des Gebäudes, direkt über dem „fumarium“, der Feuerstätte. Dorthin brachte man den Wein aus der „cella vinaria“, dem Gärraum im untern, kühleren Teil des Hauses. Die „apotheca“ war eine Art Räucherkammer, in ihr standen die weingefüllten Tongefässe. Der Rauch sollte ihren Inhalt klären und ihn weich und trinkbar machen. „Bodegón“, das von „bodega“ abgeleitete kastilische Wort für „Garküche“, bedeutet auf spanisch in der Malerei auch „Stilleben“, vermutlich weil auf den einschlägigen Ölgemälden meist Objekte aus dem Vorratsspeicher -Früchte, Gemüse, Wild, Weinkaraffen etc.- dargestellt wurden.
Neben dem Raum der „apotheca“ gibt es auch heute noch einige römische Utensilien zur Weinbereitung: z.B. die alten Tonamphoren („tinajas“). Das Räuchern des fertigen Produktes über dem fumarium gehört jedoch seit über tausend Jahren der Vergangenheit an. Wirklich? In den verrauchten Schänken („bodegas“) Andalusiens lagen gelegentlich volle Weinfässer aus deren kleinem, zierlichen Hahn der bernsteinfarbene oder dunkelbraune Wein ins Probierglas gefüllt wird. Bis vor kurzem konnte die Zunge ab und an den Rauch der „cigarillos“ (Zigaretten) und „puros“ (Zigarren) von Jahrzehnten durchzechter Nächte im Glas spüren. Heute ist Rauchen auch in diesen Lokalen strikt verboten
Das Zentrum der „bodegas“, d.h. der alten Weinkneipen, ist meist der lange Tresen, hinter dem die Fässer mit den geheimnisvollen Aufschriften aufgebaut sind. Der lange, überhöhte Tisch ist das Kommunikationsmedium an das sich die Gäste, in wie einstudiert wirkender Lässigkeit, lehnen und während des Gesprächs mit dem Nachbarn an ihren Gläsern nippen. Der Tresen ist auch das Gedächtnis des Wirts: auf seiner blanken Oberfläche wird mit Kreide der Verzehr des Kunden registriert, beim Abschied addiert und nach dem Bezahlen mit dem Handrücken in einer eleganten Bewegung wieder abgewischt. Was der Gast nicht isst, lässt er nicht etwa auf einem Teller liegen sondern wirft es auf den Boden – so jedenfalls wurde es früher in den Bodegas und Tavernen gemacht. Gelegentlich sorgte eine dünne Schicht Sägemehl auf dem Fußboden dafür, daß das Fett aufgesaugt wurde und die Reste am Ende des Abends besser entsorgt werden konnten. Manches Nordlicht wird sich über diese Sitte gewundert und sie einem mangelndem Hygienebewusstsein der Spanier zugeschrieben haben. Aber dem ist nicht so, denn auch hier treffen wir auf einen uralten kulturhistorischen Zusammenhang.
Im Vatikanischen Museum in Rom findet sich das Fragment eines römischen Mosaiks aus dem 2. Jahrhundert nach Christi. Es stammt vom Fußboden einer römischen Villa und stellt Essensreste dar. Bei Ovid und auch noch Plinius kann man nachlesen was das wohl ursprünglich bedeutete. Das Ausfegen von Essensresten hatte eine böse Vorbedeutung. Heute würden wir sagen, dass dies ein Aberglaube war, ähnlich der bösen Vorbedeutung des Schirmaufspannens in geschlossenen Räumen. Die Götter saßen ja nach römischer Auffassung mit am Tisch und wachten darüber, daß die Reste auf dem Fußboden den Toten im Hades als Nahrung dienen konnten. Das genannte, sehr fein ausgearbeitete Mosaik, erinnert auf ganz verblüffende Weise den Fußböden spanischer Kneipen nach einer langen Nacht. Wir finden dort abgenagte Fischreste, Scheren von Krebsen und Langusten, Schnecken und Muscheln, Gemüsereste, Nüsse, Olivenkerne, Hühnerkrallen und vieles mehr. Diese sehr realistischen Darstellungen aus der Antike zeigen uns auch deutlich, daß die mediterrane Diät uralte Wurzeln hat. Heute kennt so gut wie niemand mehr diese Zusammenhänge und es entbehrt nicht der Faszination sich vorzustellen, daß das was auf den ersten Blick nach Faulheit oder Nachlässigkeit aussieht, eine mindestens zweitausendjährige, heidnische Tradition mit tieferer Bedeutung hat.