Engelbert Humperdinck (1854 – 1921) war von 1890–1897 Professor am Hoch´schen Konservatorium in Frankfurt, der heutigen Musikakademie. In dieser Zeit komponierte er einen Welthit, nämlich die Oper „Hänsel und Gretel“. Diese Oper ist eine der erfolgreichsten Opern aller Zeiten geworden. Humperdinck war ein in Siegburg geborener Rheinländer aus Passion und ausgewiesener Liebhaber guter Weine. Diese Leidenschaften schimmern in seinen Kompositionen gelegentlich durch. Der große Wurf, der ihm mit seinem, international verbreiteten, musikalischen Märchenstück gelang, brachte so üppige Tantiemen, dass Humperdinck entschied sich dem Stress der Frankfurter Lehrtätigkeit zu entziehen und im romantischen, von Weinbergen umgebenen, Städtchen Boppard am Mittelrhein niederzulassen. Dort schrieb er im Sommer 1898 seine Maurische Rhapsodie nieder, in welcher er sich an die Eindrücke seiner Reise vor 15 Jahren nach Südspanien und Marokko musikalisch erinnert. Humperdinck war stark von Richard Wagner beeinflusst, dessen Sohn Siegfried von ihm seine musikalische Ausbildung erhielt. Noch in Frankfurt pflegte er auch Kontakt zum Clara Schumann, die, wie er, zum Lehrkörper der Akademie gehörte. Die Liste mit Humperdincks Schülern liest sich wie das musikalische Who-is-Who der vorletzten Jahrhundertwende: Carl Schuricht, Leo Blech, Robert Stolz, Friedrich Hollaender, Kurt Weill u.v.a. sind die illustren Namen, die drei Jahrzehnte später aus dem Kulturschaffen unseres Landes aufgrund ihrer jüdischen Abstammung unrechtmäßig eliminiert wurden.
Humperdincks Ruhm gründet sich ausschließlich auf „Hänsel und Gretel“ obwohl er noch etliche andere, musikalisch interessante Opern komponiert hat (Die sieben Geislein, Königskinder, Dornröschen, Die Heirat wider Willen, Die Marketenderin und Gaudeamus). Die Erwartungshaltung des Publikums war nach seinem großen Erfolg riesig und er konnte sie nicht erfüllen, auch nicht mit seinen zahlreichen Orchesterwerken. Deshalb wurde er mit Gunstentzug abgestraft, da half auch die Unterstützung von Richard Wagner und von Richard Strauss nur sehr wenig. Ein Komponist der Spätromantik, der weder die geballte Wucht und emotionale Tiefe eines Johannes Brahms hatte noch die Nervosität, den Esprit und die geistigen Visionen eines Gustav Mahler von sich geben konnte, hatte es offensichtlich sehr schwer in jenen Tagen.
Die Anregung die maurische Rhapdsodie zu schreiben kam 1898 durch eine Einladung aus Leeds, beim dortigen „Music Festival“. im Herbst ein eigenes Werk vorzustellen. Die Uraufführung fand dann unter der Leitung des Komponisten am 7. Oktober 1898 statt und wurde sehr wohlwollend aufgenommen. Kurz darauf wurde die Maurische Rhapsodie auch in Wien unter Humperdincks Leitung gespielt. Trotz ihrer feinen Qualitäten hat sie sich im internationalen Konzertleben nicht durchgesetzt. Mit dem Chef der Berliner Philharmoniker und des Leipziger Gewandhausorchesters Artur Nickisch (1855 – 1922) kam ein Fürsprecher von Humperdincks Musik auf den Dirigentenpult und setzte kurzerhand 1910 die ersten beiden Sätze „Tarifa“ und „Tanger“ aus der „Maurischen Rhapsodie“ erstmals auf das Konzertprogramm. Darüber schrieben die „Leipziger Neuesten Nachrichten“: „Nach zwölf Jahren fand der beste Teil dieses liebenswürdigen und meisterlich gearbeiteten Werkchens seinen Weg ins Gewandhaus; wie der respektvolle Achtungsbeifall verriet, vielleicht doch schon ein wenig zu spät?“ Vermutlich ahnte der Rezensent bereits, dass wesentlich mehr in diesem „Werkchen“ steckt als „Liebenswürdigkeit“.
Die Maurische Rhapsodie für Orchester besteht aus den Sätzen I. Tarifa (Elegie bei Sonnenuntergang). Langsam – Belebter, II. Tanger (Eine Nacht im Mohrencafé). Lebhaft, und III. Tetuan (Ritt in die Wüste). Mäßig schnell – Viel langsamer. Obwohl dem Musikstück kein Programm unterlegt ist, versetzt mich der langsame Anfang mit der hohen Geigenmelodie an den Strand an der Strasse von Gibraltar mir gegenüber erhebt sich jenseits des Wassers die gewaltige Silhouette des Rif-Gebirges nach einiger Zeit übernimmt das Englischhorn und lenkt die Gedanken zurück in die Zeit als hier noch maurisches Leben herrschte. Die unbeschreibliche Melancholie des Augenblicks wird von den Blechbläsern übernommen und die ausdrucksstarke Musik steigert sich bis zum Forte um dann zurückzufallen in die Träumerei von der Architektur Córdobas Medina Azahara oder Granadas Alhambra. Im zweiten Teil bereitet sich das Leben im Hafen und in den engen Gassen auf die Nachruhe vor. Die zarte Geige mit der dieses Bild endet, erinnert mich wehmütig daran, dass ich nur von einem Verlust geträumt habe. Die Nacht in einem maurischen Caféhaus, wie der zweite Satz betitelt ist, erinnert mehr an ein Scherzo eines Tongemäldes aus Deutschland in dem sich eine Eugenspiegelei versteckt. Der Humor in diesem Musikstück ist umwerfend ohne wirklich konkret zu werden. Im letzten Satz erleben wir einen Ritt durch die Wüste. Bei drückender Hitze werden wir Opfer einer Fata Morgana, die uns schattenspendende Palmen vorgaukelt. Dies alles sind meine persönlichen Interpretationen; vom Komponisten wurden die drei Sätze der maurischen Rhapsodie nicht als programmatische Schilderung einer exotischen Welt gesehen sondern eher als symphonische Tondichtungen vergleichbar mit denen von Franz Liszt und Richard Strauss. Es lohnt sich manchmal eben doch in der musikalischen Mottenkiste etwas zu stöbern!
Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!