Im Musikleben der Stadt Frankfurt am Main gibt es einen absoluten Geheimtipp für Liebhaber der Kammermusik: die Festeburg-Konzerte (www.festeburgkonzerte.de). Unter der künstlerischen Leitung von Angelika Merkle finden sie in der 1969 erbauten Festeburg Kirche im Stadtteil Preungesheim statt. Dieser Ort wurde ursprünglich auch als Kirchenmusikschule geplant und verfügt tatsächlich über eine ganz phantastische Akustik, ist also prädestiniert für musikalische Darbietungen von Solisten und kleinere Ensembles. Das Bauwerk wurde, wegen seiner zeittypischen Architektur 2013 unter Denkmalschutz gestellt. Am 3. November 2024 war der jüdisch-russische Pianist und Komponist Alexey Kurbatov als Interpret eigener Werke dort zu Gast.
Kurbatov ist ein sympathischer, sportlich und jung wirkender Mann mit einem gelegentlich ironisch gefärbten Lächeln um den Mund. Er hat schon als Kind mit dem Komponieren begonnen und am Konservatorium in Moskau das Klavierspielen gelernt. Seither hat er es zur Perfektion gebracht und zählt heute zu den Großen dieser Branche. Eine Wende in seinem Leben kam mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine. Er und seine ukrainische Frau, ebenfalls eine Musikerin, spürten, dass in diesem Russland kein Platz für sie und ihre Kunst mehr war. Wie viele andere Künstler und Intellektuelle verließen sie 2022 das Land und siedelten sich im kleinen Balkanstaat Montenegro an. Dort organisiert er sein eigenes Sommerfestival und begibt sich regelmäßig auf Konzerttourneen durch die verschiedensten europäischen Länder. Kurbatovs Schicksal erinnert sehr an das seines musikalischen Vorbildes Sergei Rachmaninow, der kurz nach der bolschewistischen Oktoberrevolution 1917 aus ganz ähnlichen Gründen sein Heimatland verließ und als Flüchtling rastlos von Auftritt zu Auftritt durch die Welt reiste. Auch äußerlich lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem eleganten und eher zierlichen Rachmaninow und der Erscheinung von Kurbatov festmachen. Außerdem vereinen beide das Genie des Komponisten mit dem des Virtuosen am Klavier.
Bei Kurbatovs kürzlichen Besuch in Frankfurt wurde er vom „Ensemble Verseau“ (Verseau = Wassermann) musikalisch unterstützt. Dazu gehörten die Japanerin Izumi Vogt-Shinjo, Pianistin und Dirigentin sowie die Gründerin der Gruppe. Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Yumiko Noda, ebenfalls Japanerin und Geigerin sowie Bratschistin, der Lette Maksim-Fedcenko Pietsch als vielfach ausgezeichneter Cellist und die Spanierin Marina Moro-Saura, die mit ihrer Flöte als Solostimme bereits mit verschiedenen deutschen Orchestern zusammengearbeitet hat. Gespielt wurden ausschließlich Kompositionen von Kurbatov: „Elegia“ für Flöte und Klavier, das „Pianotrio Op. 31“ für Viola, Violoncello und Klavier, Drei Variationen nach Themen von Freddie Mercury, Gustav Mahler und Lalo Shifrin, sowie das „Pianoquartett Op. 32“ für Flöte, Violine, Violoncello und Klavier. Die expressionistisch anmutende Musik, die unter dem Übertitel „Exodus“ stand, erinnerte mich streckenweise an Strawinsky und den jungen Schönberg wobei ich das Gefühl, dass der Komponist tatsächlich ein in die Emigration Getriebener war, nicht loswurde. Seine Töne gingen unter die Haut und der wellenförmige Wechsel vom Fortissimo zum Piano, der sich in fast allen Stücken fand, schien den unbändigen Willen nach Freiheit mit sehnsuchtsvoller Melancholie kontrastreich verbinden zu wollen.
In dem, nach Angaben des Komponisten, erst vier Wochen alten Stück für Solo-Piano, welches Kurbatov als Zugabe spielte, war die deutliche musikalische Nähe zu Rachmaninow zu spüren. Das virtuose Spiel seiner Hände erzeugte Klänge zwischen enormer Spannkraft sowie Konzentration und beinahe romantisch klingender Zartheit. An manchen Stellen kam die russische Seele voll zur Geltung, es wäre aber sicher nicht richtig deswegen Kurbatov als einen Spätromantiker zu bezeichnen. In manchen Passagen wurde ich auch an das grandiose Jazz-Piano von Keith Jarrett erinnert. Auch Ansätze von Minimalismus à la Erik Satie oder Federico Mompou waren zu hören. Kurzum es wurde sehr deutlich, dass Kurbatov einen ganz eigenen Kompositionsstil verfolgt, der seiner Musik einen besonderen Charakter und eine ganz eigene Persönlichkeit verleiht.
Musikfreunde wissen, dass in unserem Lande eine der vielseitigsten und intensivsten Musiklandschaften Europas existiert. Opernhäuser, Orchester, Chöre, Musikfestspiele, Universitäten und Musikschulen sorgen für ein immenses Fortbildungspotential für junge Tonkünstler und Musikliebhaber. Wie das Beispiel des „Freundeskreises für geistliche Musik Preungesheim e.V.“, der als Träger hinter den „Festeburg-Konzerten“ zusammen mit der künstlerischen Leiterin und ihrem Team steht, zeigt, kann auch Privatinitiative zu allerhöchstem Kunstgenuss beitragen, der sich, weiß Gott, nicht hinter dem öffentlichen Engagement verstecken muss. Es bleibt zu hoffen, dass auch die nächste Generation der Musikliebhaber innerhalb der evangelischen Festeburg-Gemeinde aktiv für den Fortbestand dieser großartigen Institution, namens Festeburg-Konzerte, sorgen und dabei tatkräftig unterstützt wird.
Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!