Jahrzehnte hat sie sich selbst als spanische Musterregion gefeiert, und heute wird immer mehr Kritik innerhalb der Mitglieder der garantierten Herkunftsbezeichnung laut. Der Präsident von einer der prestigeträchtigsten Kellereien der Region, Bodegas y Viñedos Artadi in Laguardia, Herr Juan Carlos López de Lacalle, hat kürzlich den Austritt seines Unternehmens aus den Kontrollrat (Consejo Regulador) der D.O. Ca. Rioja erklärt. In seiner Begründung für diesen Schritt führte er an, dass es nicht mehr angehe nur über ein einziges Gütesiegel zu verfügen, welches sowohl an junge Billigweine als auch an sehr teure Lagenweine vergeben wird. Sein Argument basiert auf der Tatsache, dass die riesige Fläche der D.O.Ca. von über 60.000 Hektar eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Terroirs hervorbringt, die sich auf dem Etikett nicht differenzieren lassen. Das einzige Unterscheidungsmerkmal sei die Dauer des Ausbaus der Weine (Joven, Crianza, Reserva und Gran Reserva), dagegen werden die ebenso wichtigen Kriterien wie geographische Lage, Bodenbeschaffenheit und Mikroklima komplett vernachlässigt. Die große Vielfalt, die sich in den verschiedenen Weinen ausdrückt, wird regulatorisch völlig ignoriert.
Kritiker des Schrittes von Artadi sind der Meinung, dass es sich bei der Aktion von Herrn López de Lacalle um einen politischen Schachzug zugunsten des baskischen Regionalismus handelt. Schon seit einiger Zeit tritt die Rioja Alavesa, also der baskische Teil der Weinregion D.O.Ca. Rioja, in dem sich auch Artadi befindet, auf Messen und bei Weinveranstaltungen als eigenständige Region auf. Unterstützt werden diese Aktivitäten von der baskischen Regierung in Victoria-Gasteiz und nicht vom Kontrollrat der D.O.Ca.Rioja. Dabei sind diese „regionbezogenen“ Aktionen eine große Mogelpackung: Eine Kellerei in der Rioja Alavesa – und nur die Lage der Kellereigebäude zählt in diesem Fall – kann ohne weiteres Trauben aus der Rioja Alta und der Rioja Baja für ihre Weine nutzen. Dies geschieht fast immer, denn viele Unternehmen haben ihre Rebgärten tatsächlich über das gesamte D.O.-Gebiet verteilt. Theoretisch könnte ein Rioja Alavesa-Wein keinen einzigen Tropfen aus der Rioja Alavesa enthalten.
López de Lacalle ist nicht alleine, andere Weinmacher-Promis wie z. B. Telmo Rodriguez von Remelluri oder Álvaro Palacios, Großmeister aus dem Priorat und Chef der Rioja-Kellerei Palacios-Remondo, haben schon seit langem ähnliche Vorbehalte gegen die fehlende Differenzierung der Weinqualitäten. Gerade exportorientierte Kellereien beklagen das schlechte Image der Rioja im Ausland, weil der Großteil der ausgeführten Ware junge Weine sind, die die Regale der Supermarktketten überschwemmen und identische Herkunftsbanderolen tragen wie die großen Qualitäten, die über den Fachhandel angeboten werden. Wegen der großen Menge der billigen Jungweine prägt sich der Konsument die niedrigere Qualität als Identifikation der Region Rioja ein.
Anätze für Problemlösungen in der Rioja werden mal wieder in Frankreich gesucht. Das sog. „Château-Konzept“ nach bordelaiser Vorbild wurde ja in Kellereien wie Contino, Remelluri und Finca Valpiedra längst verwirklicht, ist aber „offiziell“ nicht anerkannt. Im Gegensatz zu anderen Regionen wie Castilla-La Mancha oder Navarra gibt es in der Rioja vom Gesetz her keine „vinos de pago“ (Lagenweine). Die Einführung von „Village“-Weinen („vinos de pueblo“) als lokale Appellation würde eine geographische Charakterisierung innerhalb der Makroregion Rioja ermöglichen. Im Priorat ist die Planung einer ähnlichen Kategorie bereits weit fortgeschritten („vins de la vila“ auf katalanisch). Ich bin sehr gespannt zu sehen wohin der Stein rollt, den der Präsident von Artadi losgetreten hat.