Gedanken zum Zeitbegriff (III)

Die Zeit und ihr subjektives Erleben („Egozeit“) ist sehr eng mit der Freiheit verknüpft. Ohne das eine kann das andere nicht gedeihen. Wenn Gerichte in unserer Gesellschaft jemanden bestrafen möchten, nehmen sie der betreffenden Person die Freiheit. Der Betroffene wird im Gefängnis weggesperrt, ihm wird seine Freiheit genommen. Dies geschieht offensichtlich in dem Bewusstsein, dass der Verlust von Freiheit eine der ärgsten Strafen für den Menschen ist. Verbunden damit ist auch der Gedanke, dass die Zeit im Knast verlorene Zeit ist, über die der Bestrafte nicht mehr frei verfügen kann. Er verliert die Zeit, weil er nicht mehr Herr über sie ist und sie nicht mehr nach seinen Vorstellungen gestalten kann. Vielleicht lohnt es sich diesen Gedanken zu Zeit und Freiheit etwas nachzugehen um zu einem besseren Verständnis der Zeit und ihrer vielschichtigen Wirklichkeit zu kommen.

Hinter dem Freiheitsbegriff verbergen sich sehr komplexe Inhalte. Die Philosophen unterscheiden gelegentlich zwischen der negativen und der positiven, besser wäre eigentlich passiven und aktiven, Freiheit. Die passive Freiheit ist die Freiheit von etwas während die aktive die Freiheit zu etwas bedeutet. Die Freiheit von äußeren Zwängen steht der Freiheit des Willens gegenüber. Man erkennt auf den ersten Blick, dass sich beides überschneiden muss und dass diese Unterscheidung eigentlich keine wirkliche Erkenntnis über das Wesen der Freiheit bringt. Gedanken- und Willensfreiheit sind die Grundpfeiler unserer Ethik, denn nur wenn es Freiheit gibt kann es gut und böse sowie Schuld und Verantwortung geben.

Psychologen haben sich den Begriff der „Freiheitsfähigkeit“ geschaffen. Damit meinen sie die Balance zwischen dem Freiheitsrahmen des Individuums, der sich aus seiner psychischen und physischen Konstitution ergibt und der sozio-kulturellen Einflüsse auf die Person, die sich aus der sie umgebenden Gesellschaft ableiten. Der Inhalt der Freiheitsfähigkeit ist aber begrifflich noch ausdehnbar: Freiheit haben ist eine Sache, Freiheit erleben ist eine andere. Das bedeutet, dass wir Menschen unsere Freiheit in eine sinnvolle Beziehung zur verfügbaren Zeit setzen, d.h. fähig zur Freiheit werden. Wir müssen lernen unsere Sinnesorgane zu nutzen und das Gesehene, Gehörte und Erfühlte zu interpretieren. Dazu benötigen wir ein Koordinatensystem, in das unsere Eindrücke hineinpassen und objektivierbar werden. Das müssen wir uns im Laufe eines Lebens erarbeiten. Wir sind für unsere Weiterbildung und mit ihr auch für die Erstellung unseres individuellen Koordinatensystems, dank unserer persönlichen Freiheit, ganz alleine verantwortlich.

Für den Wein mögen auch die Begriffe der passiven und der aktiven Freiheit zutreffen. Wein muss frei sein von allerhand Schad-, Trub- und unangenehmen Geschmacksstoffen. Seine aktive Freiheit besteht aus dem ihm zugebilligten Recht auf Reifung und Entwicklung. Die Freiheit Zeit zu haben ist auch das höchste Gut für einen großen Wein. „Es lebe die Freiheit! Es lebe der Wein!“, dieser Ausruf wird Goethe zugeschrieben, der mal wieder mit seiner außerordentlichen Hellsichtigkeit intuitiv zwei eng zusammengehörende Begriffe intellektuell in einem Gedanken vereint hat.

Zum Thema Freiheit und Wein gehört ein verwandtes Thema was ich das „Schubladendenken der Wein-Gesellschaft“ nennen möchte und über das ich an dieser Stelle schon geschrieben habe. Tatsächlich gibt es außer dem Wein kein anderes Genussmittel bei dem der Zwang der Hersteller und der Konsumenten derart groß ist es zu kategorisieren und in eine intellektuelle Schublade zu stecken. Die Liste der Schubladen in denen Weine verstaut und ihrer Freiheit beraubt werden können, scheint schier unendlich lang zu sein.

 

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