Ortega y Gasset und das Göttliche im Wein

Rebstock
„Die Beeren der Traube sind wie kleine Lichtgeschwülste“

Darüber, dass der Wein etwas Göttliches sei habe ich kürzlich im Zusammenhang mit Nicolaus Cusanus an dieser Stelle geschrieben. Diese grundsätzliche Einsicht zieht sich wie ein roter Faden sowohl  durch das Alte als auch durch das Neue Testament. So schreibt z.B. der Prediger Salomo (9/7 in Luthers Übertragung) „So geh hin und iß dein Brot mit Freuden, trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dies dein Tun hat Gott schon längst gefallen“. Ein großer Bewunderer der Weine seines Landes war auch der spanische Philosoph und Schriftsteller José Ortega y Gasset. Er lebte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und verfasste das soziologische Buch „Der Aufstand der Massen“. In ihm spiegelt sich eine Vorahnung dessen was später im Faschismus zum Ausdruck kam: die gewaltige gesellschaftliche Macht der Massen.

In seinem stilistisch glänzenden Essay „Der Wein als Gott“ schreibt Ortega: „Der Wein ist ein kosmisches Problem. Man wird vielleicht darüber lächeln, daß ich es so nenne. Das ist keineswegs verwunderlich; denn gerade das Lächeln beweist, daß ich recht habe. Das Problem des Weines ist ein so ernstes, ein wahrhaft kosmisches Problem, daß auch unsere Zeit nicht an ihm vorübergehen konnte, ohne ihm Beachtung zu schenken und es in ihrer Weise zu lösen. Ja, auch unsere Zeit hat dem Problem des Weins gegenüber einen Standpunkt bezogen, den Standpunkt des Hygienikers. Vereine, Verordnungen, Steuern, Laboratoriumsarbeit.“ Ortega war ein Visionär und in den wenigen Worten erkennen wir eigentlich ganz scharf gezeichnet unsere von der Wissenschaft verbrämte Auffassung vom Wein (und vom Alkohol). Das Göttliche am Wein ist in unserem prosaischen Zeitalter verschwunden. In früheren Zeiten, als die Welt noch nicht zweigeteilt war und nicht zwischen Stofflichem und Geistigem unterschied, war der Wein eine Gottheit. Ortega schreibt: „man sah im Wein eine elementare Macht. Die Beeren der Traube sind wie kleine Lichtgeschwülste: in ihnen hat sich eine ganz eigentümliche Kraft zusammengezogen, die sich der Menschen bemächtigt und sie zu einem besseren Dasein führt. Der Wein gibt der Landschaft Glanz, erhebt die Herzen, entflammt die Pupillen und lehrt die Füße tanzen. Der Wein ist ein weiser, fruchtbarer Tänzergott. Dionysos, Bacchus … Das ist ein ewiger Festlärm, der wie ein warmer Hauch die tiefen Wälder des Lebens durchweht.“ Aus diesen poetischen Zeilen spricht die Erfahrung eines romantischen Geistes, der sich dem Wein hingegeben hat und der zu seinem Vergnügen steht.

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