Musik im Opium-Rausch: die „Symphonie fantastique“

Sclafmohn-Blüte (Bild von Esteban Rodriguez auf Pixabay)

Das “City of Birmingham Symphony Orchestra” unter der Leitung seines jungen Chef-Dirigenten, des Japaners Kazuki Yamada gab im Frühjahr 2024 ein atemberaubendes Konzert in Frankfurts Alter Oper. Auf dem Programm stand u.a. die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz (komponiert 1829). Dieses richtungsweisende Paradestück romantischer Programmmusik trägt den Titel „Épisode de la vie d’un artiste“ (Episode aus dem Leben eines Künstlers) und ist in 5 Sätze aufgeteilt mit je einem thematischen Schwerpunkt: (1) Rêveries – Passions (Träumereien – Leidenschaften), (2) Un bal (Ein Ball), (3) Scène aux champs (Szene auf dem Lande) (4) Marche au supplice (Der Gang zum Richtplatz) und (5) Songe d’une nuit du sabbat (Traum vom nächtlichen Hexensabbat). Die Geschichte dreht sich um eine leidenschaftlich Liebe aber schließlich steigen im liebestrunkenen Künstler Zweifel auf, ob seine Geliebte ihm auch treu sei. Im vierten Satz kommt es schließlich zum Showdown: In der Gewissheit, dass seine Liebe verschmäht wird versetzt sich der junge Liebhaber in einen Opium-Rausch. Er halluziniert, dass er die Angebetete ermordet habe und nun selbst auf den Richtplatz geführt wird, damit das Todesurteil vollstreckt werde. Die schaurigen Gedanken des Deliquenten spiegeln sich in düsteren Klängen wieder denen das Rauschhafte des Zustandes in der Musik entgegensteht. In wilder Steigerung geht es vorwärts und dann bricht es plötzlich ab, begleitet von einem Fortissimoschlag des Orchesters fällt die Guillotine.

Der letzte, fünfte, Satz der Fantastischen Symphonie stellt den Traum des Komponisten vom nächtlichen Hexensabbat dar, offensichtlich auch emotional potenziert durch konsumiertes Opium. Eine Schar von Dämonen und anderen magischen Wesen versammelt sich um die Sabbatnacht zu feiern. Es handelt sich um eine bis dato noch nie gehörte Orgie aus merkwürdigsten Klängen, gellendem Lachen, fernem Geschrei und dem Seufzen der gepeinigten Kreatur. Dumpfe Totenglocken ertönen, Fagotte und Tuben spielen einen düsteren Choral. Schließlich wird der Klang des Orchesters vollständig entfesselt und in wilder, fortissimo-Steigerung strebt die Musik ihrem Höhepunkt entgegen, bei dem  geradezu satanische Töne erklingen. hier werden tatsächlich Türen zu anderen Bewusstseinswelten weit aufgestoßen.

Das aus Schlafmohn gewonnene Opium war noch im 19. Jahrhundert eines der stärksten Betäubungsmittel in der Medizin und gleichzeitig das meist verkaufte Schmerzmittel in Europas Apotheken.  Die, damals noch rezeptfreie, verdünnte Opiumtinktur namens „Laudanum“ war außerordentlich populär und wurde auch als  – letztlich suchterzeugendes – Beruhigungs- und Rauschmittel eingenommen. Später wurde Opium zur Bewusstseinsveränderung in einer Mischung mit Tabak geraucht. In China entstanden die berüchtigten Opiumhöhlen, die sich überall im Riesenreich verbreiteten und langsam aber sicher zu einem medizinisch-gesellschaftlichen Problem wurden. Der Opiumhandel war sehr lukrativ und wurde fast ausnahmslos von den Engländern beherrscht, die das in Indien produzierte Rauschmittel gegen Tee und Seide zum Verkauf in Europa tauschten. Die Zahl der Opiumabhängigen in China wuchs in geradezu astronomische Höhen, was die chinesische Regierung bewog den Import und den Gebrauch zu unterbinden. Dadurch kam es zu einem handelspolitischen Konflikt zwischen Großbritannien und China, der zu den sog. „Opiumkriegen“ führte. Das Kaiserreich China zog schließlich den Kürzeren und musste sich den Forderungen der Sieger beugen, Hongkong abtreten – und weiter Opium zu sich nehmen.

Alles deutet darauf hin, dass im 19. Jahrhundert die Erfahrung als Patient mit Opium eine praktische Selbstverständlichkeit war. Die Indikationen waren so vielfältig und der Umgang mit der Droge so frei und unbeschränkt wie ein Jahrhundert später mit der Acetylsalicylsäure, dem Aspirin. Wir wissen z. B. auch von Berlioz´ Vater Louis-Joseph, der ein angesehener Arzt war, dass er regelmäßig Opium in Form des erwähnten Laudanum zu sich nahm. Es besteht kein Zweifel, dass sein Sohn Hector in den Jahren 1829 und 1830 ebenfalls Opium einnahm. In dieser Zeit litt der 25-Jährige unter nervösen Zuständen, zeitweise begleitet von Depressionen  und Schlaflosigkeit. Was lag näher als dem Ratschlag des Vaters zu folgen und die Therapie mit Laudanum zu versuchen? Der junge Berlioz beschrieb seinem Vater die rauschhaften Zustände, in die er geriet und in denen er von absonderlichen musikalischen Vorstellungen heimgesucht wurde. Dem Komponisten eröffnete sich eine imaginäre Tonwelt, die das Fundament der Symphonie fantastique  wurde. Kann man sich etwas emotional Authentischeres in einem Konzertsaal vorstellen? Vom Opium hat er offenbar zeitlebens nicht mehr gelassen. In einem späten Brief verrät Berlioz, dass ihm im Bedarfsfall 10 Tropfen Laudanum bei nervösem Leiden sehr gut halfen.

Rauschdrogen und Musik sind schon vielfach eine Verbindung miteinander eingegangen. Die psychodelische Musik von Pink Floyd, der sich Cannabis-Konsumenten gelegentlich hingaben, ist eines von vielen Beispielen. Die Sehnsucht des Menschen nach Ekstase und Rausch zieht sich wie ein roter Faden durch die Jahrhunderte unserer Kultur. Friedrich Nietzsche hat mit dem dionysischen Zauber der Musik die ekstatische Gewalt des musikalischen Rausches beschworen und dieser wurde tatsächlich immer wieder in Opern, geistlicher Musik, symphonischen Werken und auch im Tanz realisiert. Selbstverständlich kann die Kunst auch ohne pharmakologische Unterstützung selbst zur Droge werden und farbenprächtige Ekstase in der Innenwelt des Betrachters oder Zuhörers erschaffen. Derartige Erkenntnisse blieben noch lange in meiner Gedankenwelt gegenwärtig nachdem die letzte Töne der Symphonie fantastique verklungen waren .

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