Es mag ein Dutzend Jahre her sein, dass ich im „El Bulli“ im katalanischen Fischerdorf Rosas gegessen habe. Schon damals war Ferrán Adriá, der Koch des Bulli, eine lebende Legende. Ich hatte von Japanern gehört, die sechs Monate auf einen Tisch warten mussten und europäischen Gästen ging es nicht besser: Wer die „Molekularküche“ des Meisters kosten wollte musste unendliche Geduld haben. Aber mit Beziehungen konnte man die Hürden zum Drei-Sterne-Restaurant im Norden Spaniens umschiffen und musste sich nicht in die Warteschlange einreihen. Dass das ging habe ich, wie gesagt, selbst erfahren, aber wie das möglich war blieb mir bis zum heutigen Tage verborgen.
Das Gourmet-Happening im El Bulli mit seinen beinahe dreissig Gängen ist vielfach beschrieben worden und als ein Highlight in der damals als sehr triste dargestellten Sterne-Szene eigestuft worden. Meine eigene Beurteilung reihte sich nahtlos in die Hymnen der Gastrokritiker in der ganzen Welt ein. Noch nie hatte ich eine so perfekt aufeinander abgestimmte Sequenz von Geschmäckern und Texturen an meinem Gaumen gespürt. Ich war begeistert und glaubte fest daran eine wahrhaftige Revolution habe in der Gastronomie stattgefunden. Noch lange erzählte ich Bekannten und Freunden von „El Bulli“. Irgentwann hatte es keinen Neuheitswert mehr, denn in jeder Publikation, die vom Essen handelte tauchte das Lokal mit seinem charismatischen Koch auf und wurde beschrieben. In Deutschland und Spanien begannen Epigonen die Küche von Ferrá zu kopieren und zu ergänzen. Juan Amador im Frankfurt nahgelegenen Langen, dessen phantasievolle Küche ich auch geliebt habe, war einer davon. Jetzt ist er pleite!
Es schien als wäre die Molekularküche nicht mehr aufzuhalten und viel Geld wurde in neue Restaurants und Kochschulen investiert. Alles schien bestens zu laufen und wirtschaftlichen Erfolg zu garantieren. Bis vor kurzem Jörg Zippricks Buch „In Teufels Küche“ erschien. Da das zweite, plakative, Thema des Buches („Ein Restaurantkritiker packt aus“) meine Neugier ansprach, kaufte und las ich es.
Der Mut des Autors ist bewunderswert. Er setzt seinen Journalistenberuf auf´s Spiel um die Wahrheit über die „Molekularküche“ zu sagen. Vieles was die großen Köche, einschliesslich Ferrán Adriá, über die Zutaten ihrer Küche behaupten ist, nach Meinung des Autors, schlichtweg erlogen. Eine riesige Industrie erzeugt Aromen und Zusatzstoffe, die den Geschmack und die Textur der Gerichte in der Molekularküche verändern, und namhafte Köche sind zu lupenreinen PR-Instrumenten der Industrie geworden. Deklariert werden die unzähligen Additive nicht, im Gegenteil deren „natürliche Herkunft“ wird suggeriert. Nach der Lektüre des Buches ist mir der Appetit regelrecht vergangen und ich kann nur den Titel einer weiteren, auf französisch erschienenen, Publikation von Zipprick zitieren: „Ich will nicht mehr ins Restaurant“. Man muß dieses Buch selbst lesen und seine eigenen Schlußfolgerungen daraus ziehen. Der Autor ist ein glaubwürdiger Geniesser und versteht etwas vom gutem Essen, deshalb hat er in fast allen Gourmetzeitschriften und -spalten verschiedener Tageszeitungen geschrieben. Weil er Kompetenz hat, glaube ich ihm auch seine Kritik und werde mir ab jetzt mit etwas anderen Augen die geliebte Sterne-Küche ansehen.