In Granada gehe ich gelegentlich zu „Cunini“, ein auf Fisch spezialisiertes Lokal mit Restaurant und einer langen, marmornen Theke. Dort bedient mich meistens, wenn an seinem Ende noch ein Platz frei ist, Manolo. Er ist schon seit Urzeiten da und scheint jeden seiner Gäste zu kennen. Auch ich werde mit Handschlag begrüsst. Wenn ich lange nicht da war fragt er mich „como siempre?“ (wie immer?) und an meinem zustimmnenden Kopfnicken erkennt er seinen Auftrag. Er verschwindet und kommt kurz darauf mit einem kleinen, gefüllten Eiskübel zurück, holt dann eine 0,375 l Flasche Manzanilla sowie ein Sherryglas aus dem Kühlschrank und stellt alles vor mir ab. Mit einer Drehung ist die Flasche geöffnet und aus dem Glas duftet es kurz darauf nach Feuerstein und Atlantik. Auf diesen Augenblick habe ich mich schon lange vor Reiseantritt gefreut und der erste Schluck heisst mich jetzt sinnlich willkommen in Andalusien. Die Harmonie ist perfekt, wenn Manolo mit den „Gambas al pil-pil“ kommt. Sie knistern noch im heißen Olivenöl wenn er den Deckel abnimmt und ich muß für Minuten meine Gier zügeln um mir nicht die Zunge zu verbrennen.
Die Süsse der kleinen frischen Garneelen, zusammen mit dem nussigen Geschmack des gebratenen Knoblauchs und der wachrüttelnden Schärfe der getrockneten Chilischoten passen wie für einander bestimmt zu der herben, salzigen Geschmacksnote der Manzanilla. In diesen Momenten scheint es nicht nachvollziehbar warum dieser großartige Wein in der Welt nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommt, die ihm doch so offensichtlich zustehen könnte. Am Alkohol kann es kaum liegen. Heutzutage sind Werte von 15 Vol.-% selbst bei Weinen aus Deutschland keine Seltenheit und mehr bringen die strohblonden Andalusier auch nicht in die Flasche. Liegt es vielleicht doch am Geschmack? Es mag ja sein, dass die etwas exotische und dabei völlig trockene Note in einer Zeit, in der süssliche Barriquetöne die Gaumen begeistern, nicht mehr ganz zeitgemäß ist.
Wäre ich etwas musikalischer könnte ich aus tiefer persönlicher Zuneigung unendliche Loblieder anstimmen über die Manzanilla oder den Fino, jene hellen, aromatischen und herben Weine aus dem s.g. Sherry-Dreieck zwischen Sanlúcar de Barrameda, Jerez de la Frontera und El Puerto de Santa Maria, im Südwesten Spaniens. Niemand wird ihre Rebsorte, die Palomino fino für die besonderen Geschmackseigenschaften der Weine verantwortlich machen, im Gegenteil, sie hat selbst eigentlich wenig Charakter, wirkt aber wie ein Schwamm, der die Einflüsse der Reifung in sich aufsaugt und das macht diese Weine so völlig anders. In ihnen findet sich die Nähe zum Meer ebenso wie der Geschmack der Hefen und der Fässer und der Zeit, die sie zur Reifung brauchen – um dann als Erwachsene mit jugendlicher Frische ihre Liebhaber zu begeistern! Und trotzdem gibt es so etwas wie „terroir“: jeder der oben genannten Orte erzeugt seine eigenen Manzanillas (Sanlúcar) bzw. Finos (El Puerto und Jerez), die sich deutlich von einander unterscheiden. Das ist doch wirklich einmalig in unserer europäischen Weinkultur!