„Cosi fan tutte“: Mozarts Beitrag zur sexuellen Befreiung

Die Bayerische Staatsoper in München am Abend (Foto von Sebastian Flegl auf Pixabay)

In einer Aufführung der Bayerischen Staatsoper habe ich im Juli 2025 W. A.  Mozarts (1756 – 1792) „Cosi fan tutte“ gesehen. Wenn man das Schauspiel und die Musik nicht nur als harmlose Verwechslungs- und Verkleidungskomödie im Rokokostil sieht, sondern darin eine weithin gültige Metapher erkennt, gewinnen der Inhalt und seine Musik eine geradezu frappierende Aktualität, der in der Münchner Inszenierung voll Rechnung getragen wurde: eine der Szenen war z.B. eine Garage, in der ein leibhaftiger SUV (der Sponsor-Marke BMW!) zum Mittelpunkt der Handlung wurde, die übrigens schnell erzählt ist:

1. Akt: Ferrando und Guilelmo preisen die Schönheit und die Treue ihrer Geliebten, den Schwestern Dorabella und Fiordiligi. Don Alfonso ist bezüglich der Treue skeptisch und schlägt seinen beiden Freunden eine Wette vor: Innerhalb eines Tages soll die Treue der Frauen auf die Probe gestellt werden und dazu versprechen die beiden Offiziere Ferrando und Guilelmo den Anweisungen Alfonsos bedingungslos zu folgen. Bleiben ihre Partnerinnen standhaft, so sind die jungen Männer die Gewinner. Dorabella und Fiordiligi erwarten ihre Geliebten, da erscheint Alfonso mit der Nachricht, dass die beiden müssten umgehend in den Krieg ziehen. Mit größten Schmerzbekundungen nehmen die Paare voneinander Abschied. Despina, die Bedienstete der beiden Schwestern, soll Ferrando und Guilelmo, die sich als reiche Albaner verkleiden werden, bei den Frauen einführen. Despina sagt den beiden Frauen, dass sie die Trennung nicht so ernst nehmen und sich dafür der Liebe hingeben sollten. Die „Albaner“ bedrängen die beiden Schwestern, werden aber standhaft zurückgewiesen. Die Freunde wollen bereits die gewonnene Wette feiern, jedoch erinnert sie Alfonso daran, dass die Frist der Verabredung noch nicht abgelaufen sei. So gehen die verkleideten Männer zum Angriff über und täuschen einen Selbstmordversuch aus verschmähter Liebe vor. Die als Arzt verkleidete Despina erweckt die Halbtoten wieder und diese bestürmen die Schwestern erneut.

2.Akt: Unterstützt von Alfonso wirbt Despina bei ihren Damen für die fremden Liebhaber. Dorabella und Fiordiligi entschließen sich, zum Spaß auf einen Flirt einzugehen. Dorabella erliegt als erste dem Werben Guilelmos. Fiordiligi hingegen kämpft verzweifelt mit ihren Gefühlen. Als Ferrando erfährt, dass seine Geliebte die Probe nicht bestanden hat wird er wütend auf seinen Freund. Um einem Treuebruch zuvorzukommen entscheidet sich Fiordiligi ihrem Verlobten ins Feld nachzureisen. Der falsche Ferrando tritt ihr plötzlich nochmals entgegen, und sein tief empfundener Schmerz rührt an ihr Innerstes: Sie widersteht seinen Liebesschwüren nicht länger. Den enttäuschten Freunden hält der Sieger Don Alfonso seine zynische Lebensphilosophie entgegen: Così fan tutte – so machen es alle. Als die Hochzeit der beiden neuen Paare vorbereitet wird – Despina tritt dabei als Notar auf – erscheinen die zurückverwandelten Ferrando und Guilelmo. Es gibt Enttäuschung und Vorwürfe gegen die Frauen, die mit starken Schuldgefühlen reagieren. Alfonso klärt alle Anwesenden über das von ihm angezettelte Spiel auf und ermahnt die Liebenden, sich mit der Lage zufriedenzugeben, was auch entsprechend geschieht und damit das Drama beendet.

Das Bühnenbild einer anderen Szene stellt so etwas wie die weiße Wand einer öffentlichen Bedürfnisanstalt dar, auf der unzählige sexuell anzügliche und explizite Graffiti gekritzelt sind. Jetzt weiß es der Zuschauer: Es geht bei dem, was die beiden Paare Liebe nennen, ausschließlich um Sex! „Cosi fan tutte“ als Sinnbild für die freie Liebe? Man könnte es so sehen, die beiden Mädchen Dorabella und Fiordiligi fühlen sich, vermutlich als Konzession an den Zeitgeist, noch schuldig, ob ihrer Untreue, während die Männer in ihren neuen Verbindungen Spaß gehabt zu haben scheinen und nichts bereuen müssen. Zweieinhalb Jahrhunderte nach Mozart sehen wir freie Liebe nicht mehr unbedingt als Widerspruch zur gesellschaftlich geforderten Monogamie an, sondern erkennen in ihr die Möglichkeit zu selbstbestimmter Freiheit, in der nicht Untreue und Beliebigkeit zelebriert wird, sondern die traditionellen Beziehungsmodelle sozial-psychologisch neu gedacht werden. Grundlage dieser gesellschaftlichen Trends ist vermutlich die abnehmende Zahl der Eheschließungen und die ständig steigenden Scheidungsraten in den westlichen Industrieländern. Es ist offensichtlich, dass die Ehe als gesellschaftliche Institution heute auf dem Prüfstand steht. Selbstverständlich gibt es daneben auch weiterhin funktionierende Ehen im „klassischen“ Sinn, die – von echter Liebe getragen – ein Leben lang halten. Wir reden von Promiskuität, wenn es das erklärte Ziel ist, sexuelle Kontakte mit mehreren Personen ohne tiefe emotionale Beziehung oder Bindung zu haben. Ein derartiges Verhalten ist im Zweifel auch heute nicht akzeptabel, da wegen des fehlenden Kinderwunsches der Fortbestand der gesamten Gesellschaft infrage gestellt wäre. So weit ist Mozart natürlich nicht gegangen, sein Stück bleibt in einem auch heute noch gültigen sozio-kulturellen Rahmen.

Mozart und sein genialer Librettist Lorenzo Da Ponte (1749 -1838) haben uns mit „Cosi fan tutte“ ein großartiges Lehrstück geschenkt, in welchem wir eine Ahnung davon bekommen, dass Begehren und Liebe zwei unterschiedliche Aspekte einer zwischenmenschlichen Beziehung sein können. Mozarts hintergründige und geistreiche Musik schwankt zwischen überbordenden Gefühlen, feiner Satire und immenser Lebensfreude, sie hat sich damit einen permanenten Spitzenplatz im internationalen Opernrepertoire erobert.

Bleiben Sie stets neugierig …und genussvoll durstig!

 

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