
Das Paar auf Francisco de Goyas (1746 -1828), „El Parasol“ (Ausschnitt; Museo de Prado, Madrid)
Heute kennt ihm kaum noch jemand: Emanuel Geibel (1815–1884). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war er einer der gefeierten Dichter Deutschlands. Er setzte sich aktiv für die deutsche Einigung ein und schrieb den Text zu einem der berühmtesten Volkslieder in deutscher Sprache, nämlich „Der Mai ist gekommen“, welches später von dem Theologen Justus Wilhelm Lyra (1822 v-1882) vertont wurde. Der Zeitgeschmack hat sich verändert und die manchmal etwas gestelzte Lyrik Geibels berührt gegenwärtig nur noch sehr wenige Menschen. Zum Niedergang seiner Akzeptanz führte auch die fatale Zeile „Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen“ aus dem Gedicht „Deutschlands Beruf“, dessen Aussage die Nationalsozialisten zweckentfremdet und fürchterlich missbraucht hatten. Gott sei Dank konnte dies einer der bedeutendsten Verehrer Geibels noch nicht wissen: Robert Schumann (1810 – 1856). Wie Geibel wurde auch er von den geistigen und politischen Strömungen des Vormärz geprägt. Dennoch waren ihm, dem romantischen Melancholiker, revolutionäre Gedanken fremd und er missbilligte jede Art von Gewalt. Sein Wesen und sein Charakter fanden ihren musikalischen Ausdruck u. v. a. in den schlichten Takten seiner „Träumerei“ aus dem Klavierzyklus Kinderszenen, die allzu oft zum Klassikkitsch verfremdet wurde.
In seiner 1834 gegründeten „Neue Zeitschrift für Musik“ setzte er sich mit vielen großen Musikern und Komponisten der Spätromantik auseinander und sein musikalisches Urteil wurde allgemein geschätzt. Zusammen mit seiner Frau Clara, geb. Wieck, die eine der großen Pianistinnen des Jahrhunderts war, durchlebte er intensive Schaffensperioden als Komponist. Es entstanden u.a. vier Symphonien und andere Orchesterwerke, das Klavierkonzert a-Moll, andere Klavierstücke, Kammermusik. Oratorien, Bühnenmusik, Chormusik, eine Oper und, last but not least, ca. 150 Lieder. Seine Musik beeinflusste viele Zeitgenossen, exemplarisch seien Johannes Brahms und Edvard Grieg genannt. Friedrich Liszt bewunderte Schumann und suchte seine Nähe. Der komplexen Person Robert Schumanns und ihrem tragischen Ende gerecht zu werden würde sehr viel wissenschaftliche Genauigkeit und emotionales Einfühlungsvermögen benötigen. Da mir beides nicht in ausreichendem Maße gegeben ist, möchte ich mich in meiner Beschäftigung mit Schumann auf seine drei Liederzyklen „Spanische Liebeslieder op. 74, 101 und 138“. beschränken. In diesen hat er u.a. auf von Geibel übersetzte altkastilische Texte aus dem 15. Und 16. Jahrhundert zurückgegriffen.
Neben der klassischen Liedkomposition hat Schumann das sog. „Liederspiel“ entwickelt. Dabei handelt es sich vom Vorbild des französischen Vaudevilles abgeleitete Gesangsdarbietungen. Das Vaudeville war eine Sammlung von leicht verständlichen, und musikalisch einfachen Liedern, man könnte sie in heutiger Begrifflichkeit Schlager nennen, die je nach Regionalität sehr unterschiedlich in ihren Inhalten und ihren entsprechenden Zielgruppen waren. Häufig waren die Texte des Vaudevilles auch allgemein bekannt und nicht selten Reime satirischen oder erotischen Inhalts. Die Liederspiele Schumanns waren alles andere als einfach oder nur unterhaltsam, sie waren eine neue, meist mehrstimmige, Kunstform, die mit den spanischen Liedern, nach von Geibel übersetzten volkstümlichen, spanischen Textvorlagen, einen Höhepunkt erreichte. Als „Volkslieder und Romanzen der Spanier“ wurden sie von Geibel veröffentlicht und eine Auswahl davon von Schumann vertont. Trotz ihrer volksnahen Herkunft und musikalischen Schönheit und Finesse wurden sie kein wirklicher Publikumserfolg. Der Musikfreund von heute kann dies angesichts der Melancholie und Tiefe der Empfindungen der Töne sehr gut nachvollziehen. Die meisten der Lieder sind in Moll komponiert und sprechen von unerfülltem Verlangen, von Sehnsucht und Traurigkeit. Dem Charakter des Vaudeville am nächsten kommt das 10. Lied von Opus 74, die Romanze „Der Contrabandiste“, es ist ein fröhliches und beschwingtes Loblied auf die Freiheit des gesetzlosen Schmugglers. Die erste Folge in Schumanns Sammlung ist „Spanisches Liebesspiel (op.74)“ betitelt und enthält 10 Lieder, die die Gefühle von der ersten Begegnung bis zum Bewusstsein geliebt zu werden musikalisch romantisch verklären. Der nächste Abschnitt (op. 101) heißt „Minnespiel“ und ist mit seinen 8 Liedern eine absolute Ausnahme, denn die Texte stammen von Friedrich Rückert (1788 -1866), einem durch Gustav Mahlers Rückert-Lieder und Kindertotenlieder unsterblich gewordenen Tonsetzer; auch Komponisten wie Brahms, Schubert und Richard Strauss haben zu Texten von Rückert Lieder geschrieben. Die von Schumann getroffene Rückert-Auswahl beschreibt die gegenseitige Zuneigung in der Liebesbeziehung. Der letzte Abschnitt (op.138) sind die 10 eigentlichen „Spanischen Liebeslieder“. Allerdings sucht man, neben dem gelegentlich anklingenden Ton von Gitarrenmusik, recht vergebens nach spanischem Lokalkolorit. Eine Beziehung Schumanns zu Spanien ist auch nicht biographisch nachweisbar. Es sind wunderschöne, innige Liebeslieder der deutschen Romantik. Als ein Beispiel sei ein Duett genannt:
Bedeckt mich mit Blumen
Ich sterbe vor Liebe
Dass die Luft mit leisem Wehen
Nicht den süßen Duft mir entführe
Bedeckt mich!
Von Jasmin und weißen Lilien
Sollt ihr mein Grab bereiten,
Ich sterbe!
Und befragt ihr mich: Woran?
Sag´ich: Unter Süßen Qualen
Der Liebe
Den Körper der Geliebten mit Blumen zu bedecken ist eine urromantische Vorstellung, die u.a. von D. H. Lawrence in seinem Roman vom Liebhaber der „Lady Chatterley“ wieder aufgegriffen und von Schumann in diesem Duett schmerzlich hinreißend in Töne gesetzt wurde.
Bleiben Sie stets neugierig und …genussvoll durstig!