Meine Sicht auf Russland und die Ukraine

Der Präsident der Ukraine: Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj (Screenshot der Tagesschau vom 19. März 2022)

Wie viele Bürger unseres Landes sehe auch ich mit Wut und Empörung auf die russischen Invasoren der Ukraine. Welche menschlichen Dramen sich in diesem Krieg direkt vor unserer Haustüre abspielen, hätte ich mir vor Kurzem noch nicht vorstellen können. Die Bilder von zerbombten Städten sind so bedrohlich, wie sie vor acht Jahrzehnten nach Adolf Hitlers Krieg hier bei uns waren und ich sie als Kind hautnah miterleben musste. Wieder ist es ein Gewaltherrscher, Wladimir Putin, dessen Machtgelüste Leid und Elend über Menschen bringen. Die Politiker der Ukraine rufen verzweifelt nach militärischer Unterstützung in dieser Auseinandersetzung mit einem übermächtigen Feind von Demokratie und Freiheit. Das westliche Verteidigungsbündnis will diese Hilfe nicht gewähren mit dem Argument, dass dies einen neuen Weltkrieg heraufbeschwören könnte. Diese Logik erinnert mich an die französische Haltung von 1939 „Mourir pour Danzig?“ wo gefragt wurde ob man für die Verteidigung einer fernen Stadt tatsächlich in einem Krieg sterben müsse. Damals hatte sich die Frage durch die folgenden Ereignisse erübrigt. Wie wird die Frage „Mourir pour l’Ukraine“ beantwortet werden? Wir können nur hoffen, dass die von uns gewählten Volksvertreter über kompetente Berater verfügen und die für Deutschland richtigen Entscheidungen treffen.

Wenn militärische Optionen als Maßnahmen gegen den russischen Angriffskrieg nicht in Frage kommen, bleiben nur handels- oder gesellschaftspolitische Interventionen übrig um den Aggressor zum Umdenken zu bewegen. Dies ist weltweit geschehen und es bleibt abzuwarten, ob die gewünschten Ergebnisse damit erreicht werden. Viele Gruppen in der globalen Gemeinschaft scheinen jetzt das Bedürfnis zu haben ganz Russland mit einer Art von Kollektivschuld für das Kriegselend in der Ukraine belegen zu müssen. Russische Sportler werden von Wettkämpfen ausgeschlossen und Dirigenten sowie andere Künstler aus Russland werden von ihren Veranstaltern ausgeladen und dürfen nicht mehr öffentlich tätig werden. Sogar russische Musik wird mancherorts mit einem Bann belegt. Das alles geht viel zu weit! Dass man die Person eines russischen Despoten missbilligt und aus den eigenen Gedanken eliminieren möchte, ist völlig in Ordnung, Dass man aber deswegen die russische Kultur geringschätzt, zeugt von einer wenig differenzierten Betrachtungsweise. Mir scheint es fast wie eine Beleidigung russischer Kulturschaffenden, darauf hinweisen zu müssen, dass ihr Land überragende Leistungen in Literatur, Philosophie, klassischer Musik, Kino, Ballett und Wissenschaften vollbracht hat, die unsere europäische Kultur wesentlich mitgeprägt haben. Wir Deutsche wissen doch aus eigener Erfahrung, dass es gewaltige Unterschiede zwischen einem verabscheuungswürdigen Diktator und seinen Untertanen gibt. Dass Wilhelm Furtwängler in vielen Ländern nicht dirigieren und die Musik von Richard Strauss nicht ertönen durfte hat Hitler nicht in die Knie gezwungen, die Menschen aber um Einiges ärmer gemacht. Soll das Gleiche im Schatten Putins wieder geschehen? Mein Plädoyer ist ein klares Nein! Auch Künstler-Freundschaften mit Diktatoren können sehr persönliche Hintergründe haben, über die sich weder die Politik noch die Presse ein Urteil erlauben sollten.

Die gewaltige Resonanz, die der brutale Angriff des russischen Bären auf die Ukraine in der gesamten freien Welt erzeugt hat, ist ganz entscheidend von einem weiteren Teilnehmer in diesem Drama geprägt worden: dem Präsidenten Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj. Dieser Mann mit seiner zarten Stimme und den sanften Augen, ist der absolute Gegenentwurf seines größten Feindes, Wladimir Putin. Im Kampf gegen diesen gibt er das Bild eines Davids gegen Goliath ab. Es ist absehbar, dass er der militärische Verlierer in diesem Konflikt sein wird, aber moralisch und emotional ist er der große Held der Herzen. Wir verstehen es gut, dass er uns an seiner Seite haben möchte um ihn und sein tapferes Volk im anachronistischen Krieg gegen den Neokolonialismus eines Ewig-Gestrigen zu unterstützen. Es scheint gelegentlich als rüttele Selenskyj mit seinen Video-Botschaften und Tweeds in den sozialen Netzwerken an den Grundfesten der pazifistischen Überzeugung in der Bundesrepublik Deutschland. Nach den äußerst traumatischen Erfahrungen von Millionen Großeltern und Eltern im Zweiten Weltkrieg, war für deren Enkel und Kinder Krieg kein denkbares Mittel der Konfliktlösung mehr und verschwand daher aus unserer Vorstellungswelt.  Jetzt ist er wieder aus seiner Gedanken-Gruft erstanden und wir müssen uns allen Ernstes fragen „Mourir pour l’Ukraine?“.

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