An einem Frühjahrstag des Jahres 1894 lief im nordspanischen Hafenstädtchen Gijon das Frachtschiff „Plata“ ein. Die argentinische Flagge verriet seine Herkunft und als der Laufgang angelegt war stieg ein elegant gekleideter junger Mann an Land. Wie der Empfang durch die vielen Menschen, die sich eingefunden hatten, vermuten liess, war Francisco Lalanne kein Unbekannter. Er war ein Nachfahre von Felix Lalanne, einem Weinmacher aus Bordeaux, der zum Begründer der modernen Weinkultur im aragonesischen Somontano wurde. Als die Reblaus ihre Rebgärten an der Gironde unbrauchbar machte, zogen die Lalannes über die Pyrenäen in die Nähe von Barbastro und schon bald war das Geschäft mit den Cabernet-Sauvignon- und Merlot-haltigen Weinen so bedeutsam, daß sie faßweise auf die „Plata“ verladen wurden um in der Neuen Welt die Weinfreunde zu begeistern. Aber nicht nur nach Übersee oder Frankreich wurden großen Mengen Weins exportiert, sie erlangten auch bald enormes Prestige in Spanien. König Alfons XIII, der Großvater des heutigen Königs Juan Carlos, machte die Bodegas Lalanne zu seinem Hoflieferanten.
Der Erfolg Lalannes brachte viele Epigonen nach Somontano. Nach vorsichtigen Schätzungen waren gegen Ende des vorletzten Jahrhunderts etwa 100.000 Hektar Rebland bepflanzt, über dreissig mal soviel wie heute. Der Traum vom weiteren Wachstum endete jäh als die Reblaus schliesslich auch nach Somontano kam. Dem Aufschwung folgte eine lange Periode der Tatenlosigkeit, Somontano geriet in Vergessenheit. Erst die Verfügbarkeit moderner Technologien und Vinifikationsmethoden hat eine neue Epoche eingeläutet. Seit über einem Jahrzehnt werden in Somontano wieder Weinqualitäten produziert, die die Fachwelt und den Geniesser, auch ausserhalb Spaniens, in ungläubiges Erstaunen versetzt haben. Heute sind die Weine Somontanos fester Bestandteil des oberen Teils der Ranglisten spanischer Weine.
Wie kam es zu dieser rasanten Entwicklung? Vorreiterin war die 1963 gegründete Genossenschaftskellerei „Bodega Cooperativa Comarcal Somontano de Sobrarbe“. Im Jahre 1993 haben einzelne Winzer der Genossenschaft, Banken, die Regierung von Aragón und andere Investoren dann nocheinmal erheblich in die Kellerei investiert. Seither nennt sie sich „Bodegas Pirineos“ und zeichnet für einige gute Tropfen verantwortlich. Der „Marboré“, eine gelungene Coupage aus Tempranillo, Cabernet Sauvignon, Merlot, Moristel und Parraleta, ist der köstliche Vorzeigewein der Kellerei.
Schräg gegenüber von den „Bodegas Pirineos“, auf der anderen Straßenseite, liegt Somontanos Musterbetrieb „Viñas del Vero“. Die Überzeugung, daß sich bei den vielfältigen Böden und unterschiedlichen Kleinklimazonen der Region geeignete Voraussetzungen für sehr viele Rebsorten finden lassen müssten, hat das Unternehmen in die Praxis umgesetzt. Das Spektrum der Sorten in den Rebgärten von „Viñas del Vero“ umfasst so gut wie alle in der „Denominación de origen“ zugelassenen Rebsorten. Einer der schönsten Weine, der „Viñas del Vero Gran Vos“, ist eine Coupage aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Pinot Noir. Im Jahre 2000 wurde von der Kellerei ein neues Projekt eingeweiht: die um eine Benediktiner-Klausur aus dem 11. Jahrhundert gebaute Kellerei „Blecua“. Hier wird ein einziger Wein vinifiziert, dessen Rebstöcke und Trauben aus den Beständen von „Viñas del Vero“ rigoros ausgewählt wurden. Die Weine reifen in französischen Barriques verschiedener Küfer und werden vor der Coupage nocheinmal selektioniert. Das Ergebnis kann sich sehen, riechen und schmecken lassen, allerdings muß man einiges für die Flasche hinblättern..
Eine Klasse für sich sind die „Viñedos y Crianzas del Alto Aragón“, meist schlicht nach ihrer Marke „Enate“ genannt. An der Strasse von Barbastro nach Naval, außerhalb der Ortschaft Salas Bajas, steht umgeben von Rebgärten, ein futuristisch anmutendes Backsteingebäude. So perfekt wie die Architektur des Architekten Jesús Manzanares aus Alicante ist die technische Ausrüstung der Kellerei. Die 400 Hektar großen Rebgärten sind im wahrsten Sinne des Wortes „Gärten“, gepflegt, umhegt und mit unendlich vielen Rosensträuchern verschönert. Seit ihrer Gründung hat „Enate“ seine hohe Qualität ständig verbessert und heute gehören einige Weine, wie z.B. die reinsortigen „Merlot-Merlot“ und „Syrah“, zu den aufregendsten Weinen Spaniens.
Dreissig Kellereien sind gegenwärtig beim Consejo Regulador, dem staatlichen Kontrollorgan in Barbastro, als Flaschenabfüller registriert. Faßweine werden überhaupt nicht mehr hergestellt, ebensowenig werden Trauben gelesen oder Weine vinifiziert, die nicht das D.O-Prädikat tragen. Neben den bereits erwähnten drei „großen“ gibt es noch die traditionsreichen „Bodegas Lalanne“, deren etwas altertümliche Weine unter der gegenwärtigen 7. Generation der Gründerfamilie – den drei Schwestern Laura, Lucrecia und Leonor – eine Qualitätsrenaissance erleben. Hinzu kommen die „Bodega Otto Bestué“ im Ort Enate, die „Bodegas Monclus“ in der Nähe von Alquezar, die „Bodega Dalcamp“ in Monesma de San Juan mit einem vorzüglichen Cabernet Sauvignon, die „Bodegas Fábregas“, die „Bodega Valdovinos“ in Antillón, die „Bodegas y Viñedos Olvena“ in Barbastro, die „Bodegas Sierra de Guara“ in Lascellas.
Die Bischofs- und Provinzhauptstadt Huesca war schon in den Zeiten der alten Iberer, die ihr den Namen gaben (Osca), eine bedeutende Marktstadt. Hier wurden die vielfältigen landwirtschaftlichen Produkte Aragóns umgeschlagen und dazu gehörte auch schon immer der Wein. Östlich von Huesca erstreckt sich das Weingbaugebiet mit der garantierten Herkunftsbezeichnung („Denominacion de origen“ = D.O.) „Somontano“. Die Kontrollbehörde hat ihren Sitz im kleinen Provinzstädtchen Barbastro. Im „Logo“ der D.O. erkennt man, daß das „m“ von Somontano Berge („montaña“) darstellt und darunter eine Traube zu sehen ist (die Vorsilbe „so-“ bedeutet im spanischen „unter“ bzw. „unterhalb“). Dies erklärt die Bezeichnung der Weinregion: „Reben unterhalb der Berge“. Tatsächlich spielen die Berge für den Charakter der Weine von Somontano eine überragende Rolle. Der hügelige Weinbaubezirk liegt am Südrand der Pyrenäen in Höhen zwischen 350 und 650 Metern über dem Meeresspiegel. Die eindrucksvolle Bergkette der Pyrenäen, deren Gipfel bis in den frühen Sommer schneebedeckt am Horizont aufleuchten, bildet eine Art Schutzwall gegen die eisigen Nordwinde und dennoch sind die Temperaturunterschiede zwischen den kalten Wintern und den heißen Sommern sehr groß. Mit knapp 550 mm jährlichem Niederschlag ist Somontano für spanische Verhältnisse schon regenreich. Wasser gibt es in der Tat ausreichend in dieser Gegend denn zum reichlichen Regen kommen noch die vielen Bäche und Flüsse, die während der Schneeschmelze in den Pyrenäen erhebliche Mengen Wassers in die Täler von Somontano bringen.
In den Gründerjahren der D.O. (1985) kamen die offiziell registrierten Rebgärten zusammengenommen auf eine Fläche von gerade einmal 1.300 Hektar; heute sind es bereits 4.600 Hektar mit einer Produktion beinahe 14 Mio Liter. 15 % davon sind Weißwein, der Rest Rot- bzw. ein kleiner Teil Roséwein.
Die vom Consejo Regulador zugelassenen Rebsorten in der D.O. Somontano sind die roten Moristel, Tempranillo, Garnacha, Parraleta, Cabernet Sauvignon, Merlot, Pinot Noir und Syrah, sowie die weißen Macabeo, Garnacha Blanca, Alcañon, Chardonnay und Gewürztraminer. Der Moristel ist Somontanos ureigenste rote Rebsorte. Er hat nichts mit dem Monastrell aus der Levante oder gar dem französischen Morrastel zu tun. Reinsortiger Moristel ist säurereich, hat viel Körper dafür aber weniger Farbstoffe und ist ansonsten eher rau und kratzbürstig. Aus diesen Gründen wird er, wenn überhaupt, nur mit 20 bis maximal 30 % in Coupagen verwendet. Mariano Beroz erläutert, daß gegenwärtig versucht wird durch klonale Auswahl Sorten des Moristel zu bekommen, die seine Persönlichkeit noch ausgeprägter zeigen. Aber auch er ist der Ansicht, daß die Sorte nur geeignet ist, den Weinen etwas Lokalkolorit zu geben. Von der einst sehr beliebten und charaktervoll aromatischen roten Parraleta gibt es in ganz Somontano gerade noch 50 Hektar Rebland, sie ist im Aussterben begriffen. Etwas ähnliches gilt für den weißen Alcañon, allerdings weint ihm niemand eine Träne nach, denn es war eine recht charakterlose Rebsorte.
Somontano ist nicht nur Wein, Somontano ist auch eine bezaubernde Landschaft. Eingebettet in sanfte Hügel, liebliche Flußtäler, und satte, grüne Wiesen liegen uralte Dörfer mit großen Kirchen und Burgen. Hier scheint es manchmal als habe die Zeit stillgestanden. In dieser Gegend schlägt leise und innig das Herz von „Alto Aragón“, einer Kulturlandschaft in der sich schon die Iberer, Phönizier, Römer, Westgoten und Araber heimisch gefühlt haben. Das „aragonesische Toledo“ namens „Alquezar“, ein Dorf am Oberlauf des RioVero, legt mit seiner Burg und Stiftskirche beredtes Zeugnis von der großen Vergangenheit dieses Landes ab. Zusammen mit Kastilien hat Aragón den Charakter Spaniens über Jahrhunderte tief geprägt und noch heute kann der Besucher Somontanos, abseits der großen Touristenwege, den Geist dieses ursprünglichen Spanien atmen.