Leiden Weinfreunde unter Dekantomanie?

Wertvolle Glaskaraffen (Dekanter) aus dem 19. Jahrhundert für wertvolle Weine im 21. Jahrhundert

Wertvolle Glaskaraffen (Dekanter) aus dem 19. Jahrhundert für wertvolle Weine im 21. Jahrhundert

Ein immer wieder kontrovers diskutiertes Thema im Umgang mit Wein ist die Frage des Dekantierens. Das Zeremoniell scheint für viele ein kultischer Akt zu sein, dessen Utensilien auch beliebte Geschenke an Weinfreunde sind. Neben aufwendig geschliffenen Glaskaraffen und komplexen Dekantiergeräten aus Holz und Messing (sog. Dekantierwiegen), bei denen die langsame Flaschenneigung durch einen Drehmechanismus zustande kommt, werden eine Vielzahl von Trichtern aus edlen Materialien mit Sieben und Filtern in einschlägigen Geschäften angeboten. Ja, für´s Dekantieren kann man viel Geld ausgeben! Aber muss das eigentlich sein? Die Antwort ist doppelzüngig: Geld ausgeben nein, Dekantieren häufig ja, aber….

Was bezweckt das Dekantieren? Von der Etymologie des Wortes her (französisch: „décanter“ = abgießen) soll der Wein vom Bodensatz in der Flasche in ein neues Gefäß (Dekanter) getrennt werden. Das  klare Dekantat wird dann genossen. Ein weiterer Zweck des Prozesses ist die Zuführung von Luft zum Wein vor seinem Genuss. Die Sache mit dem Bodensatz (Depot) erklärt sich eigentlich von selbst; sie kann natürlich durch die beinahe waagrechte Lagerung des Weins in einem Dekantierkorb und vorsichtiges Einschenken ersetzt werden. Ob mit oder ohne Korb, in jedem Fall sollte die Flasche 24 Stunden vor dem Dekantieren in die entsprechende Position gebracht werden, damit sich das Depot richtig absetzen kann. Wenn´s dann daneben geht ist es gut einen Kaffee-Filter oder ein engmaschiges Sieb(alternativ auch einen Nylon-Damen-Strumpf) zur Hand zu haben.

Deutlich komplizierter ist die Sache mit dem Sauerstoff, denn dieser bewirkt bekanntlich die Oxydation des Weins. „Oxydierten“ Wein will niemand. Es kommt auf die kontrolliert dosierte Menge Sauerstoff an, die notwendig für die Reifung des Weins erforderlich ist, d.h. die ihn weich und rund erscheinen lässt. Da heute die Tendenz vorherrscht Weine jünger, d.h. unreifer, zu trinken hat das Dekantieren (eigentlich sollte man in diesem Fall von „karaffieren“ reden)  bei Weinfreunden beinahe epidemische Dimensionen angenommen („Dekantomanie“). Wer versteht, dass ältere Weine von sich aus schon auf einer höheren Stufe der Oxydation stehen, wird sich hüten sie durch Dekantieren kaputt zu machen. Ganz junge Weine, die gar nicht zum Lagern gedacht sind, profitieren häufig auch nicht unbedingt von Sauerstoff. Zwischen diesen beiden Extremen spielt sich das geschmackliche Spiel der Oxydation ab. Warum sollte man nicht alle Dekantiertechnik vergessen und einfach in einem schönen dickbauchigen Glas die Veränderung des Wein während gelegentlichen Schwenkens selbst erschmecken? Nur so lernt man auch etwas über den Effekt des Sauerstoffkontaktes – genussvolle Fortbildung nennt man das!

Man kann noch unendlich lange über das Dekantieren dozieren. Zwei Grundregeln lösen das Problem pragmatisch: (1) Wenn möglich, vorzugsweise gereiftere Weine trinken und (2) diese sich im Glas entwickeln lassen. Beides zusammen verspricht himmlische Genüsse! Und bitte nicht vergessen: Weißweine profitieren häufig noch mehr als Rotweine von der Sauerstoffzufuhr. Fast jeder kennt das Phänomen, dass das zweite oder dritte Glas  besser als das erste schmeckt. (Siehe auch Blog: Gedanken zur Lagerfähigkeit von Weinen zuhause)

 

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