Einst war der Sherry das Aushängeschild der spanischen Weinkultur. Heute versuchen die großen Kellereien im Sherry-Land zusammen mit ihren Dachverbänden, verlorenes Terrain durch neue Marketingstrategien wiederzugewinnen. Das Image, lange Zeit von billiger – und trotzdem meist nicht schlechter – Supermarktware geprägt, wird langsam wieder zurechtgerückt. Um zu zeigen, was die Sherrykultur in ihrer Vollendung zu bieten hat, haben einige Kellereien damit begonnen ihre „Sakristeien“, d.h. das Allerheiligste der Bodega, zu öffnen um aus uralten Fässern Amontillados und Olorosos abzufüllen und in kleinster Auflage auf den Markt zu bringen. Diese Raritäten, häufig als „rare old soleras“ apostrophiert, erzielen mittlerweile Höchstpreise auf Auktionen und sind selbst im Fachhandel kaum zu finden.
Was früher nur hohem Besuch gelegentlich angeboten wurde, ist heute für Weinfreunde in aller Welt, zumindest theoretisch, zugänglich. Die Kontrollbehörde in Jerez de la Frontera vergibt seit einiger Zeit auch zwei offizielle Prädikate für diese Raritäten. Die „garantierten Altersbezeichnungen“ für Sherry, die auf einer Banderole auf der Flasche zertifiziert werden, sind: VOS = Very Old Sherry für ein Durchschnittsalter von über 20 Jahren und VORS = Very Old Rare Sherry für ein Durchschnittsalter von über 30 Jahren. Damit auch kommerzieller Erfolg nicht zum Versiegen des Nachschubs aus der Solera führt, dürfen jedes Jahr nur ein Liter pro 20 Liter (beim VOS) bzw pro 30 Liter (beim VORS) des verfügbaren Sherry auf Flaschen gefüllt werden. Die jeweilige Qualitätskontrolle erfolgt durch eine unabhängige Verkostergruppe, unter Hinzuziehung von chemischen Analysen und Keller-Dokumenten.
Historisch gesehen ist der Sherry das vorläufige Ende einer Entwicklung, die vor über zweitausend Jahren begann. In einer noch nicht so lange entdeckten phönizischen Siedlung, vier Kilometer südlich von Jerez de la Frontera, dem Zentrum der Sherryproduktion, fand man die Reste eines gemauerten Gärbehälters aus dem 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Zu Zeiten der Römer kam es zu einem ersten Höhepunkt der Weinkultur in der Provinz „Baetica“, dem heutigen Andalusien. Selbst die Araber liessen den Weinbau um „Sheris“, wie Jerez in jenen Tagen hieß, nicht verkommen. Die Wurzel des Wortes „Sherry“ erkennen wir natürlich sofort in diesem arabischen Städtenamen. Die jüngere Geschichte des Sherry weist nach England. Die Liebe der Briten zum „sack“, der zu Zeiten von Francis Drake noch ein Jahrgangswein und dem Charakter des heutigen „Oloroso“ ähnlich war, liess bald die ersten Händler und Investoren aus dem Vereinigten Königreich im Sherryland auftauchen. Bis weit ins 20. Jahrhundert beherrschten sie den Sherry-Handel.
Das Gebiet mit den offiziellen Herkunftsbezeichnungen „Jerez-Xérès-Sherry und Manzanilla-Sanlúcar de Barrameda“ liegt in und um das Städte-Dreieck von Jerez de la Frontera, El Puerto de Santa María und Sanlúcar de Barrameda, die beiden letztgenannten sind Hafenstädte am Atlantik. Die Gegend innerhalb des Dreiecks ist das sogenannte „Jerez Superior“, hier stehen die besten Rebstöcke auf den berühmten schneeweißen Böden, die deshalb auch „albarizas“ (alba = weiß) genannt werden. Sie sind sehr reich an Kalziumkarbonat und können das Wasser der regenreichen Wintermonate bis spät in den trockenen Sommer speichern. Die Rebsorte des Sherry ist der weiße Palomino fino und zu einem ganz kleinen Teil auch der weiße Pedro Ximenz. Beide gehören nicht zu den großen Charakteren und dies ist auch gut so, denn Sherry ist zum überwiegenden Anteil das Ergebnis eines langen und komplexen Reifungsprozesses und nicht so sehr das Produkt edler Trauben.
Um die „rare old soleras“ wirklich schätzen und geniessen zu können muß man sich das Prinzip der Reifung des Sherry vor Augen führen. Während die Vinifikation, d.h. die Herstellung der jungen Weine, im Sherryland kaum anders verläuft als in den meisten großen Weinbaugebieten, liegt im späteren Ausbau jene Besonderheit, die aus dem bis dahin noch recht nichtssagenden Wein, eine der charaktervollsten Kreszenzen dieser Welt macht. Der Ausbau aller Sherries erfolgt im sogenannten „Criadera-Solera“-System. Diese im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts erstmals angewandte Reifungsmethode basiert auf der langsamen Vermischung der Jahrgangsweine mit immer älteren Weinen. Das bis heute unverändert gebliebene Prinzip beinhaltet, daß kleine Anteile des Weins in übereinandergestapelten Faßreihen, der „criadera“, von oben nach unten bewegt werden. Aus der untersten Faßreihe, der „solera“ (span. suelo = Fußboden), wird der Wein auf Flaschen gefüllt. Durch diese Vorgehensweise wird eine allmähliche Anpassung des Jungweins an den jeweiligen Stil der „solera“ erreicht. Anders als bei den meisten Weinen erfolgt die Reifung des Sherry grundsätzlich unter Sauerstoff. Die Fässer werden nicht spundvoll mit Most gefüllt, sondern es bleibt ein Luftraum darüber bestehen, der bei dem typischen 516 Liter-Fass, der s.g. „bota“, etwa 35 bis 50 Liter beträgt. Unter diesem Luftraum entstehen im Faß die beiden Grundtypen des Sherry, der Fino und der Oloroso.
Wenn sich auf der Weinoberfläche innerhalb des Fasses, nach Abschluss der alkoholischen Gärung, die „Blume“ (span. = „flor“) bildet, wird der Sherry ein Fino. Diese Flor besteht aus Oberflächenhefen, die als „Kahmschicht“ von den Inhaltsstoffen des Weins lebt und den unter ihr befindlichen Wein vor dem Kontakt mit Sauerstoff schützt. Dieser Wein reift dann unter Ausschluß von Sauerstoff, mann nennt dies einen „reduktiven Ausbau“. Der entstehende Wein ist ganz hell- bis strohgelb und ist der Fino oder seine Variante, die Manzanilla. Im Gegensatz dazu bildet der spätere Oloroso (span. = der Wohlriechende) im Faß keine „Blume“ und ist aus diesem Grunde bereits von Anbeginn seiner Reifung dem Kontakt mit Sauerstoff ausgesetzt, d.h. er wird „oxydativ ausgebaut“. Die florlosen Jungweine werden mit reinem Weinalkohol auf 17,5 bis 20 Vol.-% aufgespritet. Dies ist notwendig um eine weitere Gärung und, vor allem, ein mögliches Florwachstum definitiv zu unterbinden. Der Amontillado ist ein Fino, dessen „Blume“ durch Aufspritung abgetötet und der dann wie ein Oloroso weiter ausgebaut wird. In dieser Kategorie findet man die komplexesten aller Sherries. Der Palo Cortado ist ein sehr seltener Wein, denn nach 1894, als die Reblaus im Sherryland wütete, sind die ganz besonderen Traubenklone, die seine Grundlage bildeten, weitgehend verschwunden. Schliesslich sei noch der Pedro Ximenez, aus der gleichnamigen Rebsorte, erwähnt, dessen Lesegut erst für 48 Stunden oder sogar noch etwas länger auf Strohmatten in der Sonne angetrocknet wird. Er wird nur ausnahmsweise als Original abgefüllt, meist dient er zum Süßen der Olorosos. So, dies war nun leider alles ein bischen sehr technisch. Die große Schwierigkeit des Sherry besteht tatsächlich in der Vermittlung seiner Entstehung. Selbst wenn nicht alles detailgenau zum Leser herüberkekommen sein sollte, eines ist aber hoffentlich deutlich geworden: die Sherryherstellung ist ein komplexer Vorgang.
Ein alter Amontillado oder Oloroso ist flüssige Zeit, sein Charakter wird ausschliesslich von dem langen Reifungsprozess und den vielen damit verbundenen physiko-chemischen Vorgängen bestimmt. Der Grundwein spielt dabei eine untergeordnete Rolle, er saugt gleichsam wie ein Schwamm alle Einflüsse auf, sammelt und verarbeitet sie und tritt selbst in den Hintergrund. Dieses passive Verhalten erlaubt den sonst eher zweitrangigen Weinen der Palomino fino-Traube in Form des Amontillado oder Oloroso einsame Höhen zu erklimmen. Entsprechend seines komplexeren Reifungsprozess – zuerst unter Florhefen und danach oxydativ ausgebaut – ist die Duft- und Geschmackscharakteristik des Amontillado meist etwas vielfältiger. Die meisten der klassischen und fast immer staubtrockenen Olorosos und Amontillados sind ein Verschnitt aus verschiedenen, solera-gereiften Weinen. Es gibt über 100 Jahre alte, tiefschwarze Tropfen, die für sich genommen völlig ungeniessbar sind, jedoch in homöopathischen Dosen zugesetzt, jüngeren Weinen eine ungeahnte Fülle geben können. Ebenso können solera-gereifte Weine aus der sonnengetrockneten Pedro-Ximenez-Traube einem Oloroso edle Süsse und eine zusätzliche Geschmacksnuance verleihen.
Die VOS und VORS Klassifikation des Sherryalters habe ich bereits erwähnt. Zwar ist eine genaue Altersangabe wegen der systembedingten Jahrgangsmischung nicht möglich, jedoch kann man das Durchschnittsalter ganz gut bestimmen. Einige der mittlerweile bis zu 200 Jahre alten Kellereien im Sherry-Land haben in ihren Gemäuern noch kleine Soleras aus der Mitte des 19. Jahrhunderts oder etwas später. Meist waren diese Weine für die besonderen Gelegenheiten im Leben der Eigentümerfamilien reserviert. Es sind immer Amontillados, Olorosos, einschließlich des Palo Cortado, oder Pedro Ximenez-Süßweine, die da in den Fässern schlummern. Die Duft- und Geschmacksfülle dieser bernsteinfarbenen bis fast schwarzen Sherries ist nicht mehr zu übertreffen und jeder Weinfreund, der in das Wesen dieser wundervollen Tropfen eingedrungen ist, wird sie nicht mehr missen wollen. Sie zu beschreiben ist nicht einfach denn die übliche „Weinsprache“ hat die Begriffe nicht, die den Duft und Geschmack dieser Raritäten adäquat beschreiben würden. Der Vergleich mit Nüssen wird oft angeführt. Er duftet und schmeckt nach Hasel- oder Walnüssen. „Ein nussiges Aroma“ wird dem Oloroso oft bescheinigt, feine „Mandeltöne“ schmeckt man nicht nur bei manchen Finos und Manzanillas, sie umranken auch häufig das Gaumenerlebnis beim Amontillado und Oloroso. Trockenfrüchte – insbesondere Rosinen beim Pedro Ximenez – sind ebenso häufig und gelegentlich recht ausgeprägt. Getrocknete Orangenschale mit ihren vielschichtigen Aromen ist oft zu spüren. Selbst pfeffrige Noten kann man gelegentlich entdecken. Überhaupt, Gewürze spürt man häufig auf der Zunge, sei es Koriander, Kümmel, Thymian oder sonstiges. Die Suche nach Geschmacksanalogien ist keinen Grenzen unterworfen und ich habe schon gelesen das Aroma eines bestimmten Sherry ähnelte dem des „Ginsters und der Kurkuma“. Es fällt sicher nicht nur mir schwer sich diese Düfte vorzustellen.
Das schönste Glas für einen bukettreichen „rare old solera“-Sherry ist das klassische Probierglas („catavino“) aus Jerez: eine auf einem Stiel stehende Tulpe von cirka 50 bis 100 Milliliter Fassungsvermögen. Man füllt es maximal zu einem Viertel um dem Wein jene Bewegungsfreiheit zu geben, die die volle Duftentfaltung beim Schwenken ermöglicht. Die Frage nach der richtigen Trinktemperatur der Vetranen läßt sich nicht eindeutig beantworten. Zimmertemperatur ist gewiss niemals falsch (wenn man von den neuzeitlich überhitzten Wohnzimmern im Winter einmal absieht). Ein trockener Amontillado oder Oloroso als Aperitif kann, ebenso wie ein süßer Pedro Ximenez zum Nachtisch, etwas Kühlung (Kellertemperatur) vertragen. Eiskalt sollte er niemals sein, denn dann verliert er eine seiner schönsten Eigenschaften – den Duft. Alter Sherry ist eine sinnliche Erfahrung die Auge, Nase und Gaumen gleichermaßen fordert.