Temperaturschwankungen und die Qualität des Weins

Einst war die Weinkultur beschränkt auf die Gegenden in denen Rebstöcke wuchsen und Wein erzeugt wurde. Aber dann gab es immer mehr andere, weniger privilegierte Menschen, die den Wein ebenso geniessen wollten und die gezwungen waren sich ihn über geographische und politische Grenzen hinweg zu besorgen. Damit begann ein klassischer Delokalisationsprozess, der die Geschichte aller Konsumgüter vom Altertum bis in die Neuzeit immer begleitet hat. Häufig musste der Wein verändert, etwa mit zusätzlichem Alkohol „aufgespritet“ werden, um eine längere Reise unbeschadet zu überstehen und am Ziel noch genießbar zu sein (der Sherry ist dafür ein hervorragendes Beispiel). In den vergangenen drei Jahrzehnten begann schliesslich die „Globalisierung“ des Weins, die seinen ungehemmten Konsum in jedem beliebigen Teil der Welt forderte. Dies stellte nicht nur erhebliche Anforderungen an die Transportlogistik, sondern auch an die transportbedingte Haltbarkeit des weltweiten Objekts der Begierde. Dieser letzte Punkt ist bis heute allerdings immer noch nicht vollständig untersucht worden.

Jetzt haben John J. Bartholdi, III und Alejandro Mac Cawley vom „Supply Chain and Logistics Institute“ am amerikanischen Georgia Institute of Technology eine Studie vorgelegt, die auf der web site von Robert Parker (eRobertParker.com) zitiert wurde und die einige interessante, weil unerwartete, Fakten zum Thema Haltbarkeit des Weins aufdeckte (siehe auch den Beitrag „regionaler Wein will nicht reisen“). In der Untersuchung konzentriert sich alles um das Thema der Temperaturschwankungen während des Transports. Um die extremst möglichen Bedingungen zu untersuchen, unter denen Qualitätschwankungen ggf. erfassbar werden, hat man sich auf Weine der südlichen Hämisphere konzentriert, die nach den USA, also auf die nördliche Halbkugel, exportiert werden. Sorgfältige Temperaturmessungen während der verschiedenen Phasen des Ladens, des Transports über den Äquator und des Entladens im Zielhafen haben tatsächlich erhebliche Schwankungen ergeben: diese konnten zwischen -5 °C und +60°C liegen. 47 % aller transportierten Weine wurden Temperaturen von über 30 °C ausgesetzt und insgesamt 51 % aller Flaschen haben Temperaturen unterhalb und/oder oberhalb von 10-20 °C, des als optimal definierten Bereichs, erfahren. Da die über den gesamten Transportzeitraum gemessenen Temperaturen und deren zeitlicher Ablauf aufgezeichnet wurden, konnten diese Werte später jederzeit exakt reproduziert und nachgestellt werden. Damit ergab sich die Möglichkeit „transportierte“ Weine in Bezug auf die Umgebungstemperaturen zu erzeugen und mit solchen unter optimal gehaltenen Temperaturbedingungen zu vergleichen.

Ein Panel von ausgewählten Experten probierte die jeweiligen Weine in einer Art „Doppelbildstudie“, und so sahen die Ergebnisse aus: Lediglich bei den preisgünstigen Weißweinen waren die Beurteilungen eindeutig. Die Juroren bevorzugten mit konstanter Regelmässigkeit die „transportierten“ Weine. Bei den Rotweinen gab es kein besonderes Muster, die die Studie beratenden Statistiker sagten nach der Analyse, daß die Ergebnisse eine zufällige Verteilung hatten, wie sie auch durch bloßes Erraten möglicher Qualitätsunterschiede entstanden wäre.

Was sagen diese Resultate aus? Erstens ist es so, dass eine gewisse forcierte Reife durch kurzzeitige Temperaturerhöhung den meisten einfachen Weißweinen offensichtlich gut tut, während gleiche Temperaturschwankungen keinen signifikanten Einfluss auf alle übrigen Weine hatten. Ob es allerdings später zu einer Veränderung der Flaschenreifezeit dieser Weine kommt lässt sich aus den vorliegenden Daten nicht ablesen. Dennoch bleibt eine positive Aussage, denn es scheint als wäre das von allen Sommeliers dieser Welt vertretene Dogma der Temperaturkonstanz bei der Weinlagerung nicht absolut gültig. Das sind, weiss Gott, gute Nachrichten für den Konsumenten, denn selbst wenn eine Flasche mal versehentlich neben der Heizung stehend vergessen wurde bedeutet das nicht unbedingt, daß sie nicht mehr geniessbar ist.

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