Die schweigsame Musik des Erik Satie und Federico Mompou

korybantischer Tanz, ein Tanz, der wahrscheinlich auf Gymnopaedien getanzt wurde

Wieder ist es ein ziemlich verwirrender Begriff, der ein Musikgenre bezeichnen und verständlich machen soll: „neue Einfachheit“. Was kann man sich darunter vorstellen? Verzicht auf komplexe musikalische Formen? Leicht verständliche, musikalische Inhalte? Rückgriff auf ältere Perioden der Musikgeschichte? Vielleicht von allem ein bisschen! In einem Aufsatz über das Thema habe ich auch den Begriff „Neoromantik“ als Definition der neuen Einfachheit gelesen. Wird die alte Einfachheit der Romantik wieder zum Leben erweckt und was wäre daran dann „neu“? Ich glaube, dass wir uns über den Begriff und seine möglichen Definitionen nicht den Kopf zerbrechen müssen, sondern die Angelegenheit direkt im Zusammenhang mit der Musik betrachten sollten, und dies mit einem möglichst breiten Gesichtswinkel. An dieser Stelle beziehe ich mich ausschließlich auf die neue Einfachheit in der klassischen Musik, wohl wissend, dass es mit der „minimal music“ eine ähnliche Entwicklung in der sog. Pop-Musik gab und noch gibt.Die Quelle meiner Vorstellungen über die neue Einfachheit, so wie ich sie hier darstelle, liegt in der Musik des französischen Komponisten Erik Satie (1866 – 1925) und seiner drei kurzen Klavierstücke „Gymnopédies“ aus dem Jahr 1888. Völlig nebulös ist die Namensgebung dieser Musik. Die Gymnopaedie war ein Fest im antiken Sparta, auf dem nackte, junge Männer ihre Körper darstellten. Dazu dienten Tänze sowie militärische und sportliche Übungen. Etymologisch stehen die griechischen Worte „gymnos“ (nackt) und „pais“ (Junge) dahinter. Es mag die versteckte Erotik in dem Begriff gewesen sein, die Satie zur Komposition seiner drei „minimalistischen“ Stücke inspiriert hat. Es mag aber auch nur kompletter Nonsense dahinterstecken, den liebte Satie nämlich ganz besonders, denn er war ein veritabler Kauz, der intellektuell bereits dem Dadaismus der Zukunft sehr nahestand. Die von den großen Virtuosen des Pianofortes wegen ihrer musikalischen Einfachheit häufig belächelten „Gymnopédies“ gehören zu den in allen Konzertsälen dieser Welt gespielten Werken. Im ersten Stück werden ständig wiederholte Akkorde von einer zarten und gelassen dahinfließenden Melodie umwoben. Die Töne verbreiten Entspannung und meditative Ruhe. Alle drei Gymnopédies zeigen den gleichen Charakter von Melancholie und Ernsthaftigkeit. Man kann durchaus eine emotionale Verbindung zur sog. „New-Age-Musik“ im Bereich der Pop-Musik herstellen.  Dies gilt auch für die „Gnossiennes“ betitelte Klaviermusik, ein Begriff, den es überhaupt nicht gab und den Satie für seine sechs kleinen Stücke mit tänzerischem Charakter erfunden hat. Ob die Wortschöpfung etwas mit der Gnosis zu tun hat, also der Erkenntnis mystisch-esoterischer Zusammenhänge, bleibt Saties Geheimnis. Immerhin könnte diese etymologische Interpretation einen Hinweis auf eine spirituelle Seite der Musik des Komponisten sein. Man hat diese auch „minimalistisch“ genannt, was sich nur auf die Noten beziehen kann, denn die Inhalte erscheinen mir alles andere als asketisch. Sie gehen tief in die Seele und faszinieren mit ihrer stillen Direktheit und die Harmonie der Natur scheint dabei das Herz sanft zu berühren. Diese Musik ist leicht verständlich und bedarf keiner Metaphern! Kein Wunder, dass sie Musiker wie Ravel , Debussy und John Cage zu eigenen Kreationen inspiriert hat. Eric Satie war Avantgarde!

Einige Jahrzehnte nach Satie betrat ein katalanischer Musiker – ebenfalls ein Avantgardist – die Szene, dessen Werk eine Vervollkommnung der Einfachheit angestrebt hat: Federico Mompou (1893 – 1987). Schon der Titel seines Schlüsselwerkes „música callada“ (schweigsame Musik) ist Programm. Wie Satie war Mompou ein ausgesprochener Sonderling. Seine extreme Schüchternheit verhinderte, trotz seines überragenden technischen Könnens, eine Karriere als Pianist, da er nicht vor Publikum auftreten wollte. Was sich bei Satie nur andeutungsweise ausmachen ließ, war bei Mompou deutlich ausgeprägt: die Nähe zum Spiritualismus. San Juan de la Cruz, der große spanische Mystiker, hat eines seiner Gedichte der „música callada“ und der „soledad sonora“, also der schweigsamen Musik und der tönenden Einsamkeit, gewidmet. „Schweigsame Musik“ nannte Mompou seinen Klavierzyklus. Was das eigentlich sein soll definierte der Komponist nicht mit Worten sondern nur in seiner Musik. Die Musik scheint tatsächlich zu schweigen, in ihr gibt es keine lauten, aggressiven Töne, sie ist leise, friedlich und harmonisch. Ihre versteckte Botschaft liegt in der metaphysischen Stille, die man zwischen den Tönen hören kann. Über den Noten von Mompous Musik liegt ein Zauber dem ich mich nur schwer entziehen kann. Irgendwie spürt der Zuhörer immer den Hinweis auf die Poesie von San Juan de la Cruz, der das Göttliche mit dem Profanen und insbesondere mit dem Erotischen, so einzigartig zu verbinden wusste. Zur Beschreibung des Inhaltes von Mompous Musik bin ich versucht auf ein altes Klischee zurückzugreifen: „die Leichtigkeit des Seins“ bewegt die Sinne

Der Einfluss der beiden genialen Musiksimplifizierer Satie und Mompou auf ihre Zeitgenossen und  Nachfa9hren war groß, Komponisten wie  Peter Michael Hamel, Hans-Jürgen von Bose und teilweise auch Wolfgang Rihm zeigen dies. Sehr nahe Verwandte der beiden Avantgardisten sind Arvo Pärt und Ludovico Einaudi, zwei meiner Lieblingskünstler. Die Magie der „neuen Einfachheit“ hat nicht nur mein Herz, sondern auch die Herzen unendlich vieler Musikliebhaber erobert.

Bleiben Sie neugierig …und genussvoll durstig!

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