Ein Blick auf die Kulturgeschichte des Weins
Wein ist eines der grandiosesten Genußmittel. Er regt die Sinne an, läd zur Diskussion über ihn ein und berauscht am Ende seine Liebhaber und macht sie so friedfertig, daß sie vom Streit über des Weines gute Eigenschaften schnell wieder ablassen. Welcher Weinliebhaber kennt nicht das beglückende Gefühl nach einem guten Tropfen mit sich und der Welt in völliger Harmonie zu sein? Nirwana, das Erlöschen jeden Leidens, ist dann nicht mehr weit. Diese seligen Erfahrungen sind, bei Bedarf und Lust, jederzeit wiederholbar, d.h. es gibt keinen Zustand der Sättigung. Das macht einen nicht geringen Teil des Reizes beim Weingeniessen aus. Wer sich, wie ich, noch beruflich mit dem irdischen Manna beschäftigt hat, nämlich als Händler und Journalist, wird im Laufe der Zeit viele der einschlägigen Bücher und Zeitschriften zur Weinkultur gelesen haben. Während dieser Lektüre in den vergangenen beiden Jahrzehnten ist mir deutlich geworden, daß es keinen Bereich der Weinkunde gibt, über den nicht schon irgentwann einmal ausführlich geschrieben wurde. Dennoch lassen sich immer wieder Menschen motivieren zur Feder zu greifen um genau das so offensichtilich Redundante zu tun, nämlich wieder einmal über Wein zu schreiben. So sind im Laufe der Zeit unendlich viele Fakten, aber auch viel Philosophisches und Emotionales über das Thema Wein in Schriftform zusammengetragen worden. Ich erkläre mir die Plethora der Buchstaben und Wörter, die sich zu diesem Thema bereits durch die Lektorate der Verlage gezwängt haben, dadurch, daß kaum ein anderes, alltägliches Ding die Phantasie und die Schaffenskraft im gleichen Maße anregt wie ein paar Gläser eines guten Weines.
Die Erkenntnisse, die ein Weintrinker in der Zwiesprache mit seinem im Glase funkelnden Liebling gewinnt, sind meist – wer würde dies bestreiten? – grossartig und wert mitgeteilt zu werden. Da aber nicht alle Weinfreunde die Muße haben zu schreiben, oder aber – trotz des Weines – unter Wort- und Satzfindungsstörungen leiden, hat eine deutliche Rollendifferenzierung stattgefunden. Die Gemeinde der Weintrinker teilt sich auf in solche, die schreiben, und solche die nicht schreiben. Letztere sind die potentielle Leserschaft der ersten. Der lesende Weinfreund ist auch bei dieser Beschäftigung im allgemeinen ein friedfertiger, geduldiger und gutmütiger Geselle. Er freut sich wenn er von anderen etwas bestätigt bekommt, was er schon gewusst, oder geahnt hat. Wie wäre es sonst zu erklären, daß all die vielen Publikationen, die im Zweifel nichts wesentlich Neues vermitteln, mit so viel Erfolg in den Buchläden und Zeitschriftenhandlungen verkauft werden? Sicher habe ich in der Vergangenheit auch schon oft von dieser Ungereimtheit profitert. Mir erscheint es reizvoll einmal eine Darstellung der gesellschaftlichen Hintergründe unserer Liebe zum Wein in Geschichte und Gegenwart zu versuchen, und damit einen eher selten behandelten Aspekt unserer Weinkultur, nämlich eine Art „Soziologie der Weintrinker“, in den Vordergrund zu rücken. In den nächsten Wochen werde ich an dieser Stelle ein paar Beiträge zu diesem Thema präsentieren.