Der Wein und die Frauen

Der nachfolgende Beitrag ist etwas lang geraten, ich hoffe aber, daß sein Thema interessant genug ist um nicht die Motivation zu verlieren sich durch den Text „durchzukämpfen“.

In der langen Geschichte des Weins geht von Anfang an ein tiefer Riss durch die Gemeinschaft der Trinker: Frauen waren in vielen Gesellschaften vom Weingenuß ausgeschlossen. Eine Legende aus der Zeit der Sumerer, den Gründern von Babylonien, gibt eine poetische Erklärung des Grundes dafür. Die große Korngöttin Ashnan hatte, zusammen mit ihrer Freundin Lahar, die Aufgabe die anderen Götter mit Essen und Trinken zu versorgen. Leider sprachen die beiden dem Wein allzusehr zu und betranken sich regelmässig. Dies führte schliesslich zu einer groben Vernachlässigung ihrer Pflichten. Daraufhin wurde die Menschheit erschaffen, um die Rolle der Göttinnen zu übernehmen. Die Menschen aber grollten den beiden göttlichen Freundinnen seither und verfügten, daß sich ihre Geschlechtsgenossinnen auf Erden fürderhin der Abstinenz verschreiben müssten. Dies war vielleicht im 3. Jahrtausend vor Christi der Beginn der Diskriminierung der Frau beim Weingenuß. Aber es gab auch Sagen in denen der Wein den Frauen ausgesprochen gut tat. Die drastischste ist vermutlich die Geschichte der löwenköpfigen Kriegsgöttin Sachmet („die Mächtige“) im alten Ägypten, die durch Wein gezähmt wurde. Eines Tages war sie von der Menschheit so furchtbar angewidert, daß sie begann die gesamte Rasse zu töten und ihr Blut zu trinken. Da kam Re, der große Sonnen- und Schöpfergott und wollte den Rest der Menschen vor der blutdürstigen Göttin retten. Er vermischte 7000 Fässer Wein mit Granatapfelsaft und stellt sie in den Weg der mörderischen Sachmet, in der Hoffnung, daß diese den Inhalt für Menschenblut hielt, nach dem sie gierte. So geschah es auch, bald hatte sie sich bis zur Bewußlosigkeit betrunken und als sie aufwachte, war ihre Wut auf die Menschen für alle Zeiten vergangen. Welch wunderschöne Paraphrase: Der Wein hatte die Menschheit gerettet!

Die Diskriminierung der Frauen beim Weingenuß

In der Tradition des jüdischen Glaubens spielte, wie übrigens in allen altorientalischen Religionen, die Verehrung weiblicher Gottheiten eine bedeutende Rolle. In der Babylonischen Gefangenschaft mögen die Juden auch vom Schicksal der Göttin Ashnan gehört haben. Aber erst als sich das Judentum zu einem einzigen Gott, nämlich dem alten Sonnengott Jahwe, bekannte, verloren die weiblichen Gottheiten ihre Bedeutung und die Männergesellschaft übernahm die Macht mit den bekannten Konsequenzen der Diskriminierung der Frauen. Man übernahm auch die Einstellung der Babylonier zum Wein und so kam es schliesslich zum Ausschluss der Frau von den Genüssen des Weines, der sich dann im Christentum fortsetzte. Das Hohelied Salomos, jene großartige alttestamentarische Dichtung, in der zwar nicht dem Wein aber der sexuellen Lust beider Geschlechter intensiv gehuldigt wird, ist möglicherweise noch ein Rest der jüdischen Religiosität aus den frühen Tagen ihrer orientalischen Geschichte. „Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born. Du bist gewachsen wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Weihrauchsträuchern, Myrrhe und Aloe, mit allen feinen Gewürzen. Ein Gartenbrunnen bist du, ein Born lebendigen Wassers, das vom Libanon fließt.“ schwärmt der Jüngling und „Mein Freund ist mir ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten hängt“; träumt das Mädchen. Zu all den Düften und sinnlichen Worten hätte der Wein, der den Juden dieser Zeit ja sehr gut bekannt war, ebenfalls gut gepasst. Aber gleichberechtigten Weingenuß gab es nicht. Noch im Jahre 1911 beschrieb Julius Preuss in seinem imposanten Werk „Biblisch-Talmudische Medizin – Beiträge zur Geschichte der Heilkunde und der Kultur“ sehr eindringlich die Gründe dafür. Sie hatten etwas mit der enthemmenden Wirkungen des Weins zu tun. Preuss schreibt am Ende des entsprechenden Kapitels: „Besonders gefährlich ist in dieser Beziehung der Wein für die Frau. Ein Glas Wein ist schön für die Frau, zwei eine Herabwürdigung, bei dreien fordert sie mit Worten (den Koitus), bei vieren fordert sie sogar einen Esel dazu auf, ohne sich zu schämen. Darum soll ein Mann, der nicht mit seiner Frau zusammen lebt, ihr zwar Naturalien aller Art, aber keinen Wein aussetzen. Großen Zorn erregt ein trunkenes Weib, ihre Schande kann sie nicht verhüllen, und nur ausnahmsweise wird eine schon berauschte Frau des Weines, den man ihr weiter einschenkt, sich enthalten.“ Das klingt wenig freundlich und man spürt sehr deutlich, daß hier mit ziemlich groben Worten versucht wird ein gesellschaftliches Phänomen, nämlich den traditionellen Ausschluß der Frau vom Weingenuß, in einen soziologisch begründbaren moralischen Zusammenhang zu bringen. In der gesamten abendländischen Gesellschaft unterdrückt das kollektive Männerdenken die Lustgefühle der Frauen, denn so bleiben sie – in der Vorstellung des Patriachats – für die Männer beherrschbar. Auf die gesellschaftliche Bedeutung der Interaktion von Wein und Sexualität werde ich später in einem eigenen Kapitel zu sprechen kommen.

Auch die Frauen in der römischen Antike unterlagen zeitweise einem strengen Verbot Wein zu trinken. So jedenfalls berichteten zahlreiche Schriftsteller aus dieser Zeit. Interessanterweise stand dies im Gegensatz zu den griechischen und den etruskischen Gepflogenheiten, zwei Hochkulturen, die ja bekanntlich beide von der römischen assimiliert wurden. Sowohl bei den Griechen als auch bei den Etruskern nahmen Frauen nicht selten gemeinsam mit Männern an Banketten teil und waren häufig als „gute Trinkerinnen“ bekannt. Frauen erschienen in griechischen Komödien nicht selten als Liebhaberinnen des Weins und Trunksucht galt als typisch weibliches Laster. War dies vielleicht der Grund warum sie von den Symposien ausgeschlossen waren? In der „Lysistrata“ des Aristophanes erfahren wir:

„Ein mächt´gen, schwarzen Humpen drehn wir um
Schlachten ein Faß voll Thasierwein und schwören:
Nie komm`ein Tropfen Wasser in den Humpen.“

Damit besiegeln Lysistrata und ihre Genossinen den weiblichen Bund der Verweigerung gegenüber ihren Männern.

„Nie soll ein Buhler noch ein Ehemann
Mir nah`n mit steifer Rute
Zu Hause will ich sitzen unberührt
Im gelben Schal, geschminkt und schön geputzt
Will meinen Mann in helle Flammen setzen
Und nie, so viel an mir, mich ihm ergeben.“

So schwören die jungen Damen und bekräftigen ihren Pakt gegen die Männer mit ergötzlichen Schlucken des „Weihtrunks“ aus dem schwarzen Humpen. (Wein von der Insel Thasos vor Thrakien, der in Amphoren nach ganz Griechenland verschifft wurde, war übrigens ein sehr geschätzter, vermutlich leichterer, Wein mit einem ganz typischen Apfelduft). Völlig im Gegensatz zu Aristophanes brachten andere Autoren im alten Griechenland immer wieder zum Ausdruck, daß ,,betrunkene Frauen alle moralischen Hemmungen verlieren“ – ein Vorurteil, das sich sowohl in unserer als auch in der jüdischen Kultur Jahrtausende lang hartnäckig hielt. Es waren besonders die Frauen, die der Weingott Dionysos immer wieder in seinen Bann zog. Einen interessanten Hinweis auf einen quantitativ tatsächlichen unterschiedlichen Weinkonsum der Geschlechter im alten Griechenland gibt ein Friedhof in Athen aus dem 8. vorchristlichen Jahrhundert. Die Gräber von Männern und Frauen wurden durch die auf den Grabsteinen befindlichen Keramikgefässe unterschieden: die Gräber von Männern sind mit dem typischen Mischkessel für Wein mit Wasser, die Gräber der Frauen dagegen mit einem großen Gefäss für die Aufbewahrung von Lebensmitteln geschmückt. Trotz aller Vorurteile gegenüber dem Weintrinken der Frauen in der antiken griechischen Gesellschaft, hat man es nie verboten oder die Frauen sonst irgentwie daran gehindert, wenn sie es denn tun wollten.

Demgegenüber griffen die Römer manchmal zu sehr drastischen Maßnahmen um das Weinverbot für Frauen durchzusetzen. Der römischen Frau unterstanden im allgemeinen zwar die gesamten Hausangestellten aber niemals der Kellermeister, er war ausschliesllich dem Hausherrn gegenüber verantwortlich. Es ist überliefert, daß jung verheiratete Frauen auch von ihren Eltern auf die Einhaltung des Abstinenzgebotes kontrolliert wurden. Beim Zusammentreffen von Vater oder Mutter mit der Tochter wurde diese von ihnen auf den Mund geküsst. Nicht immer etwa aus zärtlicher Liebe, sondern aus Gründen der Geruchskontrolle, bei der insbesondere auf den typischen Geruch von Wein geachtet wurde . Dieses Vorgehen war noch ein Überrest einer Gruppen-Gerichtsbarkeit, bei der die Eltern die Einhaltung religiöser oder sozialer Bräuche ihrer Kinder, insbesondere ihrer Töchter, auch nach deren Fortgang aus dem Elternhaus zu überwachen hatten und für ein eventuelles Fehlverhalten verantwortlich gemacht werden konnten, z.B. auch vom Ehemann ihrer Tochter. Aus den frühen Jahren der römischen Geschichte sind Berichte überliefert von Frauen, die, weil sie Wein aus dem Faß getrunken hatten, von ihren Ehemännern totgeschlagen oder von ihrer Familie gezwungen wurden, den Hungertod zu sterben. Noch im Jahre 194 v. Chr. wurde eine Frau in Rom von einem Richter wegen Trunkenheit verurteilt. Im Laufe der historischen Entwicklung hat sich das Weinverbot für Frauen dann auch im alten Rom immer mehr gelockert. Zunächst sprach man dem mäßigen Weingenuß auch für Frauen gesundheitsfördernde Wirkungen zu. Später, in der Kaiserzeit, muß es unter den römischen Damen sogar zu regelrechten Wein-Exzessen gekommen sein, die die Gesellschaft dann allerdings widerspruchslos tolerierte.

Göttinnen des Weins

Ein im kulturhistorischen Zusammenhang nur schwer interpretierbares Phänomen war die Tatsache, daß viele der geschichtlichen, mit Wein verbundenen Gottheiten weiblichen Geschlechts waren. Gestin oder Gestinanna war die „Weinrebe des Himmels“ bei den Sumerern. Einer der ersten, namentlich bekannte Weinmacher neben Noah, war eine Frau, nämlich Siduri aus dem Gilgamesch-Epos. Die ägyptische Göttin Renenutet war nicht nur für den Weinbau zuständig sondern für die gesamte Landwirtschaft. Ganymeda war eine griechische Göttin, die bei den olympischen Festen Ambrosia und Nektar, die Götterspeise und den Göttertrank, servierte; sie war die Mundschenkin der Unsterblichen und damit wohl die erste Sommelière. Die Römer verehrten in Potina eine merkwürdige Zwitter-Konstellation, nämlich die Göttin der Weberei und des Trinkens. Im Christentum haben dann verschiedene heilige Frauen diese Rollen übernommen. Allen voran Maria, die Gottesmutter. Darstellungen der Maria als „Traubenmadonna“ oder als „Muttergottes in der Weinlaube“ zeugen von der innigen Verehrung, die sie in manchen Gegenden als Schutzpatronin der Weinbauern und Winzer genoß. Man könnte dieses Thema mit vielen weiteren Beispielen untermauern. Die engen Beziehungen weiblicher Gottheiten und Heiliger zum Wein weisen daraufhin, daß die Geschlechtertrennung beim Weinkonsum in keiner Kultur absolut, ja vermutlich noch nichteinmal so streng, wie es manche Historiker sehen, war. Vielleicht steckt das schlechte Gewissen der Männergesellschaft wegen der Diskriminierung der Frauen beim Weingenuß dahinter und, gleichsam als moralische Wiedergutmachung, hat man deshalb weibliche Weingottheiten angebetet.

Die Klöster spielten beim Wiederaufbau der Rebkultur nach der Völkerwanderungszeit eine große Rolle. Den allgemeinen sozialen Bedingungen entsprechend, waren es fast ausschliesslich männliche Orden, die sich des Weinbaus annahmen. Wenn man einmal von Hildegard von Bingen absieht, die sich als schreibende Ärztin viel mit dem Wein und seinen Wirkungen beschäftigt hat, gibt es nur sehr wenige Ordensfrauen, deren Namen mit Wein in Verbindung gebracht werden können. Zwei der Ausnahmen sind die Heilige Ottilia, Stifterin der Klöster Odilienberg und Niedermünster bei Straßburg, und die Heilige Huna aus Hunaweiler im Oberelsaß. Beide haben in ihrer caritativen Tätigkeit die Armen ihrer Gemeinden mit Wein versorgt. Ob sie selber Wein getrunken und genossen haben ist allerdings nicht überliefert.

Weibliche Trunkenheit – das heimliche Vergnügen

Einer der objektiven Hintergründe der in unserer Kultur praktizierten Diskriminierung der Frauen beim Wein- und Alkoholgenuß kann möglicherweise die schon seit alters in medizinischen Abhandlungen beschriebene empfängnisverhütende und abtreibende Wirkung des Weines sein. Unter diesem Aspekt ist das Verbot für Frauen Wein zu genießen als Ausdruck der patriachalischen Gesellschaft zu deuten, in der die soziale Hauptaufgabe der Frau das Muttersein ist. In seinem hedonistisch-philosophischen Werk „Die genießerische Vernunft“ geht Michel Onfray mit der Erklärung dieses Phänomens noch weiter: „Daß die Frauen frei über sich selbst verfügen können, daß sie nach Vergnügen und Wollust streben, war den Männern nie ganz geheuer. Noch weniger den Institutionen, die sie eingerichtet haben, um ihre Herrschaft über die Frauen zu sichern. Die katholisch-apostolisch-römische Kirche hat natürlich in diesem Bereich kräftig reglementiert – wie in allen Bereichen, die dem Dasein etwas Würze zu geben vermögen: Ernährung, Sexualität oder, um es mit Foucault zu sagen, Gebrauch des Körpers und Sorge um sich.“ Ich bin geneigt, diese Gedanken weiterzuspinnen. Die ganzen Trinkrituale unserer Gesellschaft, vom studentischen Wettsaufen bis hin zum Stammtisch in der Vorstadtkneipe, sind Ausdruck der Vereinnahmung der „Trinkkultur“ durch die Macho-Gesellschaft. Nirgends wird dieses soziologische Phänomen besser karikriert als in der wein- oder bierseligen Wirklichkeit deutscher Gasthäuser: das Privileg des Rausches ist noch immer weitgehend den Männern vorbehalten und in unendlich vielen Liedern, die unter Alkoholeinfluß laut und dissonant gegröhlt werden, wird seit Jahrhunderten – und bis auf den heutigen Tag – der Männersuff verherrlicht. Die Party endet in der Karikatur meist mit der hinter der Türe versteckten Teigrolle in der Hand der (vermutlich frustrierten) Ehefrau.

Wie Frauen auch in der Vergangenheit trotzdem gelegentlich genossen haben schildert Alwin Schulz in seinem 1903 erschienenen Buch „Das häusliche Leben der europäischen Kulturvölker“: „Auch Frauen tun sich, ganz besonders bei den Hochzeitsmahlen etwas an“, schrieb er. Die Rede ist vom 16. und beginnenden 17. Jahrhundert. „Heimlich essen sie die leckersten Speisen, und den Männern setzen sie Kraut und Suppe vor“ denn diese dürfen von den Veranstaltungen der „Fraß- und Saufschwestern“ natürlich nichts erfahren. Bei diesen bürgerlichen s.g. „Krantz-Mahlen“ oder auch „Krantz-Fressereyen“ der Frauen wurde gut und viel getrunken. Übrigens waren diese Treffen, wie der Name bereits vermuten lässt, die Vorläufer der späteren „Kaffee-Kränzchen“. Hierin war die Antwort der Frauen auf die Einrichtung der „Trinkstuben“ in den Zunfthäusern oder der städtischen „Wirtshäuser“ zu sehen, die ja auschliesslich den Männern vorbehalten waren. Auch „Weiberzechen“ gab es, dies waren Stiftungen, aus deren Mittel die Frauen ihre Trinkfeste finanzieren konnten. Wie die Männer, tranken die Frauen in jener Zeit in Deutschland und im gesamten nördlichen Europa im wesentlichen Bier. Charakteristisch für die Zeit war die strikt eingehaltene Geschlechtertrennung beim Trinken. Gelage an denen Männer und Frauen teilnahmen, waren praktisch unbekannt. Kinder tranken übrigens ebenfalls, allerdings nur leichtes, Bier.

Michel de Montaigne war ein großer Kenner der menschlichen Psyche. Er lebte in der Mitte des 16. Jahrhunderts und sein berühmtestes literarisches Werk sind die „Essais“, eine Textsammlung zu Fragen des Lebens, aus der eine enorme Lebenserfahrung und noch heute eine unverändert große Aktualität spricht. Darin hat er sich sehr ausführlich über die Trunksucht ausgelassen, aber auch in diesen Ausführungen geht es praktisch nur um den männlichen Aspekt. Immerhin beschreibt er ein Ereignis, daß einen Hinweis darauf gibt, daß auch Frauen in dieser Zeit gelegentlich dem Alkohol sehr zugesprochen haben. Die Tatsache, daß seine Darstellung das Zitat der Aussage einer dritten Person ist, lässt vermuten, daß es sich bei der weiblichen Trunkenheit, zumindest in den Kreisen Montaignes, um eine seltene Begebenheit handelte, die man eigentlich nur vom Hörensagen kannte. Es ist eine so witzige Episode, daß ich sie hier in voller Länge wiedergeben möchte: „Ebensowenig hätte ich dem Glauben geschenkt, was mir eine Dame berichtete, wenn ich sie nicht als besonders vertrauenswürdig schätzte und verehrte: Nahe Bordeaux, gegen Castres hin (wo ihr Haus steht), gab es eine verwitwete Bauersfrau im Ruf der Keuschheit, die eines Tages, als sie die ersten Anzeichen einer Schwangerschaft bei sich entdeckte, zu ihren Nachbarinnen sagte, wenn sie noch einen Mann hätte, würde sie meinen, in anderen Umständen zu sein. Da nun aber der Anlaß für ihren Verdacht von Tag zu Tag größer wurde und schließlich bis zur Gewißheit heranwuchs, entschloß sie sich kurzerhand, von der Kanzel ihrer Kirche herunter bekanntgeben zu lassen, sie verspreche dem, der die Urheberschaft gestehe, zu verzeihn und ihn, wenn er es wünsche, zu heiraten. Durch diese Ankündigung ermutigt, meldete sich nun einer ihrer jungen Ackerknechte und erklärte, an einem Festtag habe er sie, nachdem sie überreichlich dem Wein zugesprochen, vor ihrem Herd derart tief in Schlaf versunken und in einer derart unzüchtigen Stellung gefunden, daß er sich ihrer sogleich und ohne sie aufzuwecken bedienen konnte. Noch heute leben sie ehelich zusammen.“ Auch diese Geschichte hat, wie so häufig bei weiblicher Trunkenheit, einen sexuellen Hintergrund und ich werde später, in dem entsprechenden Kapitel, nocheinmal auf sie zurückkommen.

Die von Montaigne mitgeteilte, amüsante Geschichte eröffnet uns einen Schlüssel zum Verständnis der gesellschaftlichen Diskriminierung der Frauen beim Alkoholgenuß. Die Vorstellung von der vermeintlichen sexuellen Verwundbarkeit der Frau unter Alkoholeinfluß, wie sie in der Geschichte dargestellt wurde, entspricht der typischen Denke patriarchalischer Gesellschaften. Der Mann ist der naturgegebene Herrscher über Frau und Kind und als solcher selbstverständlich auch der verantwortliche Beschützer der beiden. Sein Dominanzanspruch gegenüber der Frau wird allerdings in einer wichtigen Angelegenheit deutlich geschmälert und das ist bei einer Schwangerschaft seiner Frau die naturgegebene Unsicherheit seiner Vaterschaft. Die Mutter weiß stets, welches ihr Kind ist, sie hat es schliesslich zur Welt gebracht und als erste betrachtet. Beim Vater ist das nicht der Fall, das Kind seiner Frau könnte immer auch das Kind eines anderen sein. Daraus folgt, daß der Vater glaubt, um seine soziale Vormachtsstellung zu legitimieren, Kontrolle über das Sexualverhalten seiner Frau haben zu müssen. Wie wir aus den berufenen Mündern unserer Literaten und Künstler vernommen haben, können der Wein, und andere Alkoholika wirksame Stimulantien der sexuellen Appetenz, s.g. Aphrodisiaka, sein und als solche die Frau unter Umständen ausserhalb die Kontrolle ihres Herrn und Gebieters bringen. Das muß aber unter allen Umständen vermieden werden und daher hat die Männergesellschaft jenes Trinkverbot für Frauen, von dem im vorangegangenen Kapitel die Rede war, geschaffen. Wir befinden uns gegenwärtig in einer geschichtlichen Situation, in der das Patriarchat in Auflösung begriffen ist und diesem Umstand ist vielleicht der heutzutage deutlich freiere Umgang der Frauen mit Alkohol zu verdanken.

Vertragen Frauen wirklich weniger Wein?

Nach landläufiger Meinung findet eine offensichtliche Benachteiligung der Frauen beim Weinkonsum in unseren westlichen Zivilisationen heute nicht mehr statt. Endlich Gleichberechtigung auch auf diesem Lebenssektor? Bei genauerem Hinsehen entdecken wir, daß es doch noch subtile Unterschiede gibt. Frauen sollten auf jeden Fall weniger als Männer trinken, so lautet eine gesicherte medizinische Erkenntnis. Frauen vertragen einfach weniger, und dies ist jetzt sogar wissenschaftlich erwiesen! Heute, im Zeitalter der Molekularbiologie, wird der Unterschied zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die Alkoholtoleranz, auf die genetische Ebene verlagert. Die s.g. Alkohol-Dehydrogenase, oder ADH genannt, ist eine Familie von Enzymen im Körper, deren Aufgabe u.a. darin besteht, Alkohl im Blut abzubauen. Alkohole entstehen nämlich ganz natürlich in kleinsten Mengen während einiger Stoffwechselprozesse. Nach Zufuhr von Alkohol ist es einleuchtend, daß derjenige, der viel von diesem Stoff im Blut hat, in der Zeiteinheit mehr Alkohl metabolisiert (abbaut) als derjenige, der nur wenig davon hat. Als Folge davon vertragen diejenigen, die viel von diesem Enzym im Blut haben mehr Alkohol. Forscher haben herausgefunden, daß Frauen im statistischen Mittel deutlich niedrigere ADH-Spiegel als Männer haben. Daraus wurde nun von fast allen nationalen und internationalen Gesundheitsorganisationen abgeleitet, daß für Frauen die maximale und vermutlich gesundheitsunschädliche Dosis von Alkohol um die Hälfte niedriger sei als bei Männern. Wie kontrovers diese Behauptung allerdings selbst von Wissenschaftlern gesehen wird, zeigt sich in der Tatsache, daß viele ernstzunehmende medizinische Publikationen nur von einem Drittel, statt von der Hälfte, weniger Alkohol für Frauen als verträgliche Menge sprechen. Das Erstaunliche dabei ist, daß diese Empfehlungen von unserer Gesellschaft völlig widerspruchslos hingenommen werden. Es gibt ausser den Frauen noch viele andere Bevölkerungsgruppen, z.B. die Japaner, die ebenfalls notorisch niedrige ADH-Werte haben. Dennoch gibt es für diese, beispielsweise von der Weltgesundheitsorganisation, keinerlei besondere gesundheitspolitischen Richtlinien in Bezug auf Alkoholkonsum. Die Vermutung liegt nahe, daß solche von den Betroffenen auch als diskriminierend, wenn nicht gar als „rassistisch“ empfunden würden.

Ich vermute, daß die Geschichte mit der Alkohol-Dehydrogenase Wasser auf die Mühlen des Männerwahns ist. Jetzt ist ein uraltes gesellschaftliches Vorurteil kein Vorurteil mehr, sondern eine „wissenschaftlich bewiesene“ Tatsache. Eine fast universelle Beobachtung, nämlich daß Frauen im Durchschnitt weniger trinken und weibliche Trunkenheit von der Gesellschaft schärfer sanktioniert wird, hat nun endlich eine „unumstössliche“ biologische Grundlage bekommen. So scheint es zumindest. Wissenschaft verkauft heutzutage eben nicht nur Waschmittel für blendend weiße Wäsche, sondern auch gesundheitspolitische Argumente. Ob hinter den gemessenen Tatsachen allerdings nicht doch wieder die bekannten kulturellen Ursachen stehen, ist völlig unbekannt. Wie jedes Enzysystem zu erhöhter Aktivität stimuliert werden kann, wenn das Substrat im Übermaß vorhanden ist, so kann auch das ADH-System bei häufigem Alkoholgenuß „hochgefahren“ werden, was erklären könnte warum Männer höhere Spiegel haben. Ausserdem ist es denkbar, daß das ADH-System bei Frauen im Laufe ihrer biologischen Entwicklung verkümmert ist, gerade weil sie weniger tranken, bzw.trinken durften. Daß sich über viele Generationen die genetische bzw. wahrscheinlich wichtiger, die „epigenetische“ Situation den Lebensumständen der Lebewesen, so auch des Menschen, anpasst, ist ein bekanntes und in der Biologie vielfach nachweisbares Phänomen. Eine identische Argumentation kann man, nebenbei bemerkt, auch für die bereits angedeutete Tatsache anführen, daß manche Bevölkerungsgruppen, wie die Semiten und Indoeuropäer, besonders viel Alkohol vertragen, bzw. ein sehr leistungsfähiges alkoholabbauendes Enzymsystem haben. Diese Völker hatten ja schliesslich die ersten Kulturen hervorgebracht, in denen alkoholische Getränke in großem Stil produziert und getrunken wurden. Dies könnte eine genetische Selektion auf höhere ADH-Spiegel bewirkt haben. Auf der anderen Seite sind die erwähnt niedrigen ADH-Spiegel der Asiaten nicht etwa besonders niedrig, sondern nur deswegen geringer weil unsere einfach unverschämt hoch sind.

Weibliche und männliche Geschmacksvorlieben beim Wein

Die französische Psychoanalytikerin Gisèle Harrus-Révidi beklagt in ihrem Buch „Die Kunst des Genießens – Eßkultur und Lebenslust“ die Situation der Frau in Geschmacksfragen ganz treffend: „Die großen, international bekannten Köche sind Männer; erst seit kurzem haben die Frauen in Frankreich begonnen, unter der Bezeichnung „Mères“ (Mütter) das Kochpodium in der Öffentlichkeit zu erobern. Doch die gastronomische Kritik legt die Frau wieder auf die gleiche Position wie eh und je fest: Sie repräsentiert charmant und kostet naschhaft, doch die Beurteilung ist nach wie vor Sache des Mannes, das Aroma, die Beschaffenheit eines Bordeaux, die Würzen der Speisen fallen nicht in ihre Zuständigkeit.“ Dabei ist auch schon längst „wissenschaftlich erwiesen“, daß Frauen deutlich sensibler gegenüber Düften und Geschmäckern reagieren. Ob auch diese Unterschiede zwischen den Geschlechtern auch genetisch bedingt sind? Immer wieder hört man, daß Frauen Weißweine gegenüber Rotweinen bevorzugen würden. Bei Männern sei dies gerade umgekehrt. Statistiken, die so ein Verhalten belegen könnten, gibt es dazu, meines Wissens, allerdings nicht.

Trotzdem lassen zumindest die Konventionen unter den Weintrinkern vermuten, daß es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt, man denke z.B. an die angebliche Vorliebe der Frauen für süße Weine, die ja dann auch häufig Weißweine sind. In vielen Gesellschaftsschichten wird es als selbstverständlich angesehen, daß Frauen süßere, oder etwas schmeichelnder ausgedrückt, liebliche Weine bevorzugen. Aus der Sicht des Liebhabers trockener Weine könnte man in dieser Feststellung problemlos wieder eine Diskriminierung der Frau erkennen. Die Geschmacksphysiologen haben längst erkannt, daß die Lust auf Süßes eine angeborene Eigenschaft des Menschen ist. Bereits das Neugeborene reagiert positiv auf etwas Süßes, wie man am Gesichtsausdruck eindeutig ablesen kann. Bitter oder sauer verursacht beim Säugling Abwehrreaktionen. Im Laufe des Lebens muß der Mensch lernen seinen Geschmack auszubilden und so kommt es, daß er eines Tages neben Kaffee oder Tabak auch Wein geniessen kann. Wenn dem weiblichen Geschmack süßer Wein zugeordnet wird, kann dies in der Macho-Welt mancher Weingenießer unterschwellig bedeuten, daß die Frau sowieso nicht in der Lage ist die Komplexität eines Weines zu schätzen. Er muß also süß sein, damit wenigstens jener gering differenzierte Urgeschmack befriedigt wird. Ist die Liebe der Frauen zu süsseren Kreszenzen nichts anderes als ein Vorurteil, welches die Männerwelt sorgsam aufgebaut und in die Lebensumstände ganzer Gesellschaftsschichten integriert hat? Man kann dieses Thema ruhig in einem breiteren soziokulturellem Umfeld betrachten. Süsse war bis zur Entdeckung des Rohr- und später des Rübenzuckers, eine große geschmackliche Rarität, die nur den sozialen Eliten vorbehalten war. Honig war limitiert verfügbar und Trockenfrüchte als Träger von Süße konnte man in den nördlichen Ländern Europas mit ihrem vielen Regen und ihrer geringen Sonneneinstrahlung, nur sehr schwer herstellen. Folglich war alles Süsse sehr teuer. Süssen Wein hingegen erhielt man durch spätere Lese der Trauben oder durch ihren Befall mit Edelfäule (Botrytis) relativ einfach. Ab dem 16. Jahrhundert, als reiner Alkohol herstellbar wurde, konnte man die Gärung auch durch Aufspritung unterbrechen und so einen hohen Restzuckergehalt des Weines gewährleisten. Diese verschiedenen Techniken wurden ausgiebig genutzt und bis ins späte 19. Jahrhundert waren süße Weine von Männern und Frauen gleichermassen bevorzugt. Dennoch: geschlechtsspezifische Aspekte beim Konsum von Süßigkeiten wurden schon lange vermutet. Angeblich besteht eine, vielleicht sogar genetisch bedingte, weibliche Vorliebe für Zucker. Da Frauen seit Jahrhunderten für den Haushalt ihrer Familien zuständig waren, und somit unbewußt den Geschmack der ganzen Gesellschaft beeinflußt haben, ist es denkbar, daß über diese Schiene das Süße schliesslich auch Einzug in das bürgerliche und bäuerliche Leben hielt. Wie bereits angedeutet ist es eine historische Tatsache, daß am Beginn der Neuzeit süßer Wein der bevorzugte Essensbegleiter war – je höher der soziale Status, desto süßer war der Wein.

Da Marktforscher herausgefunden haben, daß in den heutigen Familien den Frauen eine wichtige Rolle bei der Kaufentscheidung von Wein zukommt, hat man sich auch speziell mit der Käuferschicht Frauen und deren geschmacklichen Vorlieben beschäftigt. In Frankreich trinken mittlerweile 59 % der Frauen Wein, bei Männern liegt der Anteil noch etwas höher, nämlich bei 77 %. Die Statistiker sehen allerdings voraus, daß der Frauen-Markt weiter wächst, während der Konsum bei den Männern rückläufig ist. In Ländern wie Deutschland, Holland, Schweden und England, wo der gesamte Weinmarkt wächst, legen die Frauen überproportional zu, ja in England gibt es unter den Weinkonsumenten mittlerweile sogar mehr Frauen als Männer. Daß dies eine ganz logische Entwicklung ist, entlarvt mal wieder die Wissenschaft. Es gibt nämlich tatsächlich geschlechtsspezifische Unterschiede, insbesondere im Geruchsempfinden, die Frauen zum Weingenuss und folglich auch zur Entscheidung beim Weinkauf, geradezu prädestinieren. Wie eine groß angelegte Studie nachweisen konnte, reagierten weibliche Versuchspersonen mit deutlich höheren Empfindungsintensitäten auf bestimmte Geruchsreize als die männliche Vergleichsgruppe. Im Klartext bedeutet dies, daß Frauen im statistischen Durchschnitt den besseren Geruchssinn haben. Da der Geruchs- und der Geschmackssinn ganz eng miteinander verbunden sind, kann man die Empfindlichkeit gegenüber beiden miteinander gleichsetzen. Dies ist, natürlich schon länger bekannt, obwohl die Männergesellschaft ungerne darüber spricht: Frauen sind beim Benennen und Erkennen von Gerüchen und Geschmäckern den Männern weit überlegen und haben somit einen natürlichen Vorteil bei der Beurteilung von Weinqualitäten. Seit langem weiß man, daß Frauen, im Gegensatz zu Männern ausgesprochene Nasenmenschen sind. Sie können sich z.B. mit dem Geruch von Kleidungsstücken ihres Partners während dessen Abesenheit „trösten“. Ähnliche Geruchsfähigkeiten haben Männer so gut wie nicht. Natürlich gibt es auch einen entwicklungsgeschichtlichen Grund dafür: da Frauen in den allermeisten Kulturen für die frühe Nahrung ihrer Kinder verantwortlich sind, sollen sie über den Geruchssinn besser erkennen können ob die Nahrung für ihr Kind frisch oder verdorben ist.

Die Sinnesphysiologie lehrt aber auch, daß ein und der gleiche Geruch bei Männern und Frauen unterschiedliche Empfindungen auslösen kann. Dies gilt nicht nur für die s.g. Sexualdüfte, wo es so sein muß, sondern auch für andere. Klassisches Beispiel hierfür ist der Moschusduft, der in einer Studie von einer Mehrzahl der Männer als angenehm empfunden wurde, von Frauen dagegen eher nicht. In der Parfümindustrie weiß man schon lange, daß Frauen und Männer unterschiedliche Geruchsempfindungen haben. Die Zahl von geschlechtsspezifischen Duftwässern, die entweder Männern oder Frauen verkauft werden, ist kaum zu zählen. Da die Sinnlichkeit dieser Düfte ja nicht unbedingt für den jeweiligen Träger oder die Trägerin bestimmt sind, sondern meist auf die gegengeschlechtliche Gesellschaft abzielt, wird im Lichte des gerade ausgeführten deutlich, warum weibliche Parfüms schwer, süßlich und intensiv sind und männliche herb und schwächer duftend. Bei Frauen-Parfüms sind die Duftadressaten die Männer mit ihrer geringer ausgebildeten olfaktorischen Potenz; sie benötigen stärkere Düfte um eine Emotion hervorzubringen. Bei Männer-Parfüms verhält es sich genau umgegekehrt. Frauen reagieren nämlich meist schon auf zarte, trockene Aromen von geringer Intensität und so sind die klassisch herben, männlichen Düfte entstanden.

Obwohl man wenig Verlässliches weiß, ist es nach dem bisher gesagten durchaus denkbar, daß es geschlechtsspezifische Duft- und Geschmacksvorlieben auch beim Wein gibt. Meine Erfahrung als langjähriger Weinhändler lehrt mich, daß Frauen deutlich häufiger nach filigranen, zartgliedrigen Weinen fragen als der männliche Weinkonsument. Für diesen kann es schon „eckiger und kantiger“ sein, was seinen geringer ausgebildeten Geschackssinn sicher wesentlich weniger irritiert als dies vielleicht bei Frauen der Fall wäre. In der Beurteilung der Sensorik von Wein durch Männer und Frauen entzündet sich eine Diskussion häufig an der Frage des Barriqueausbaus. Frauen lieben, wenn überhaupt, eher zarte Holztöne, während Männer deftige Noten bevorzugen.

Hinter den angedeuteten Unterschieden in den Vorlieben für Wein stecken gelegentlich auch ganz „heiße“ Marketing-Überlegungen. Beispielsweise haben Strategen der deutschen Getränkefirma Racke den Geschmack ihrer Klientel untersucht und dabei festgestellt, daß das „Vorurteil“ von der Vorliebe zur Süße bei Frauen tatsächlich stimmt. Ihr, schon am Etikett erkennbarer, „Frauenwein“ ist der berüchtigte „Amselfelder“, er enthält 30g/l Restzucker (je nach Säuregehalt darf sich ein Wein laut Gesetz bis 4 g/l bzw. bei entsprechender Säure noch bis 9 g/l noch als „trocken“ bezeichnen)! Dies ist vielleicht eine leichte Übertreibung an Süße, andere Hersteller von „Frauenweinen“ halten einen Restzucker zwischen 2,0 und 6,0 Gramm pro Liter (also praktisch noch „trocken“) für adäquat, vorausgesetzt der Wein verfügt über ausreichend Frucht und relativ wenig Säure bzw. Tannine.

Auch die Verpackung des Weins spielt im geschlechtssezifischen Marketing eine offenbar bedeutsame Rolle. Wie uns Fachleute glauben machen wollen, ist der Hintergrund dieser Erkenntnis ein angeblich jeweils typisches Konsumerverhalten von Frauen und Männern. Frauen treffen eine deutlich persönlichere Produktwahl als Männer und sind bei Kaufentscheidungen auch erheblich schneller. Aus diesem Grund wird die Verpackung wichtig, denn sie bereitet die Initiative zum Kauf ganz wesentlich vor. Die blümchenverzierten, in pink gehaltenen Auswüchse, die Flaschen- und Etikett-Designer den weiblichen Kunden gelegentlich zumuten, sprechen Bände über die Klischeevorstellungen von der vermeintlichen Zielgruppe. Vergessen wir bitte nicht, daß wir im vorliegenden Zusammenhang von der großen Gruppe des weiblichen „modernen Mainstream“ geredet haben, und nicht von den wirklichen Weinkennerinnen.

Obwohl es, zumindest in Deutschland, immer noch so ist, daß Frauen weniger Wein trinken als Männer, hat die weibliche Emanzipation dennoch die Weinbranche schon längst erreicht. In den Kellereien, im Weinhandel und in der Gastronomie finden sich heute mehr Frauen in wichtigen Positionen als je zuvor. In Weinzeitschriften sind Winzerinnenportraits der große Publikumserfolg. Sicher wäre es interessant der Frage nachzugehen, ob weibliche Weinmacher auch einen entsprechend anderen Weintypus hervorbringen als ihre männlichen Kollegen. Solchen Feinheiten bei der riesigen Bandbreite des Geschmacks und des Geruchs der Weine nachzuspüren und daraus dann eine Gesetzmässigkeit abzuleiten, würde die Fähigkeiten fast aller Weinkritiker sicher übersteigen. Damit dies schwierige Unterfangen überhaupt gelingen kann, müsste ausserdem wenigstens eine Voraussetzung erfüllt sein, nämlich die Existenz echter Prototypen männlicher und weiblicher Weine. Bislang gibt es diese, bis auf die erwähnten süsslichen „Amselfelder & Co.“ noch nicht. Hier sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt, daß man die landläufigen Bezeichnungen „männlich“ oder „weiblich“ für den Charakter eines Weins nicht mit den genannten Zusammenhängen verbinden sollte. Diese Eigenschaftswörter grenzen nämlich nur herbe und kantige Weine von solchen mit samtig-seidiger Struktur und feiner Milde ab und haben mit einer geschlechtsspezifischen Sensorik nichts zu tun..

Frauen als Weinmacherinnen sind offenbar auch ein effizientes Marketinginstrument. So habe ich in Südafrika eine Coupage von Cabernet Sauvignon, Merlot und Pinotage aus Stellenbosch namens „The Three Cape Ladies“ getrunken auf deren Rückenetikett folgendes vermerkt war: „Eine würzige, körperreiche Mischung mit dem Charme der roten Beeren aus der alten Welt, mit der die Rolle der Frauen in der lebendigen Weinindustie der Kap-Region geehrt wird“. In vielen Weinbauländern, so auch in Deutschland und in Österreich, haben sich Winzerinnen zu losen Vereinigungen zusammengeschlossen, um auf diese Weise ihrer Macht im Markt Nachdruck verleihen zu können. Noch sind in der übrigen Industrie Frauen in leitenden Positionen eher eine Seltenheit, in der Weinbranche hat sich dies schon längst geändert – sehr zum Wohle des Produktes!

Auch im Bereich der Fortbildung machen sich die Frauen unabhängig. Volker Elstner, ein unterrichtender Weinprofi, hat eine interessante Erfahrung gemacht: „Bei Weinkursen hat sich durch entsprechende Befragung der Teilnehmerinnen herausgestellt, daß Männer häufig als zu laut und zu dominant empfunden werden, sie konzentrieren sich nicht ausreichend auf die tatsächlich vorgestellten Weine sondern fangen schnell an von den großartigen Weinen zu reden, an die sie die im Glas efindlichen erinnern.“ Dies war der Hintergrund seiner Idee: Weinkurse für Frauen. Mittlerweile veranstalten vielerorts Volkshochschulen und Weinhändler solche Seminare, in denen Frauen unter sich sind und Weine nach ihrem Gusto probieren und diskutieren können. Die Veranstalter versichern, daß dies fast immer sehr erfolgreiche Veranstaltungen sind.

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