Quo vadis España?

Cava: Genuss statt Frust aus Katalonien.

Meine in diesem blog geäußerte Meinung zum sog. Katalonien-Problem möchte ich im Folgenden noch ein wenig konkretisieren. Als ich zur Jahreswende 2018/19 Spanien besucht und mit „Durchschnittsbürgern“ gesprochen habe, bekam ich auf die immer im Raum stehende Frage „wie geht es mit Katalonien weiter?“ entweder ein Achselzucken oder die schlichte Antwort „Ich weiß es nicht“. Ich liege wohl nicht so falsch, wenn ich dieses Verhalten als völlige Ratlosigkeit bezeichne. Und es scheint in der Tat so, als sei das ganze Volk zu tiefst verunsichert über seine Zukunft als Nation. In Neujahrsansprachen und -botschaften haben der König und seine Politiker viel von „Gemeinsamkeit mit gesellschaftlicher Vielfalt und Verantwortung“ gesprochen, aber diese Worthülsen blieben, wie die verpufften Sylvester-Böller auf den Strassen, in den Köpfen und Gefühlen der Menschen als bedeutungsloser Müll liegen. Ich war in jenen Tagen in der Hauptstadt und in Andalusien, kann mir aber lebhaft vorstellen, dass die Frage nach der Zukunft in Barcelona und seinem Umland völlig anders beantwortet worden wäre. Die Unabhängigkeit Kataloniens hätte Enthusiasmus und Engagement in den Gesichtern jedes zweiten Gesprächspartners ausgedrückt und die erträumte Republik wäre mal wieder mit stereotypen Phrasen verherrlicht worden. Bei diesen Demonstrationen des katalanischen Freiheitswillens fallen immer wieder Worte wie „Frankismus“ und „faschistisches Spanien“. In Wort und Schrift soll der Eindruck verbreitet werden das Königreich Spanien von heute sei ein später Ableger der Militärdiktatur des Caudillos.

Auch der letzte Bauer aus dem kleinsten Dorf der Exremadura weiß mittlerweile ziemlich genau, dass Franco seit 1975 tot und seine Falange-Bewegung mit ihm gestorben ist. Die Überreste des einstigen Diktators liegen im Valle de los Caídos, dem überdimensionierten und von ihm selbst in Aufrag gegebenen Grabmal für Bügerkriegsopfer im Guadarrama-Gebirge, 50 Kilometer westlich der Hauptstadt. Damit wurde die vielleicht sogar gut gemeinte Huldigung an die gefallenen Soldaten und Bürger zweckentfremdet, denn Franco selbst war ja wirklich nicht als Opfer des Bügerkrieges zu betrachten. Bereits 2011 forderte deshalb eine von der damaligen Regierung eingesetzte Kommission die Umbettung des Diktators. Trotz breiten Konsenses über dieses Vorhaben, kam es bis zum heutigen Tage nicht zur Ausführung. Zu viele Gruppeninteressen sabotierten die Aktion: die Familie Franco selbst, die Kirche und die Repräsentanten aller denkbaren Friedhofsalternativen mischten mit und so schlief die bereits totdiskutierte Idee wieder ein bis vor einem halben Jahr der neue sozialistische Ministerpräsident die Initiative neuerlich hervorholte. Wie es scheint wird auch er wieder scheitern. Gutwillig betrachtet, könnte man glauben, die Angelegenheit der Umbettung des Ex-Diktators sei so komplex, dass sie kaum zu lösen ist. Realistischer ist aber vermutlich anzunehmen, dass sie von breiten Teilen der Gesellschaft letztlich überhaupt nicht gewollt ist. Wahrscheinlich liegt dort des Pudels Kern und offenbart eine bittere Wahrheit: die Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit hat in Spanien tatsächlich niemals stattgefunden. Frische Blumen auf der Granitplatte unter der Franco seine vorläufig letzte Ruhestätte gefunden hat, bezeugen dies symbolhaft. Der blutbefleckte General hat sogar die schon überwunden geglaubte  Staatsform des Landes, die Monarchie, revitalisiert, obwohl er selbst die Regierung von der verlorenen Republik übernommen hat, sie also nach seinem Tod rechtmäßig wieder an sie hätte zurückgeben müssen.

Schließt sich hier möglicherweise ein Kreis, der die Katalonien-Frage mit der Nicht-Bewältigung der dunklen Historie im 20. Jahrhundert verbindet? Es ist völlig unbestritten, dass die nationalen Minderheiten wie die Katalanen und die Basken unter dem Franco-Regime besonders gelitten haben. Nach ihrem Sieg 1939 hat die neue faschistische Regierung die katalanische Selbstverwaltung aufgelöst, als offizielle Sprache kastilisch eingeführt und das Katalanische gewaltsam unterdrückt sowie nicht kooperierende Politiker und widerspenstige Intellektuelle verfolgt. Manche haben offen dagegen rebelliert, aber Tausende  sind ins Exil nach Frankreich geflüchtet. Kaum ein Datum verkörpert dieses schwer belastete Verhältnis von Spanien zu seiner Region Katalonien deutlicher als der 11. September, der „Diada Nacional de Catalunya“ (katalanischer Nationalfeiertag). An ihm wird seit 1888 offiziell an die Kapitulation des Landes vor Philip V., der, nach der Niederlage der Habsburger im Spanischen Erbfolgekrieg, als erster bourbonischer König Katalonien besetzte, die bestehende Autonomie aufhob, und das Land als eine Region ins zentralistisch geführte Königreich Spanien integrierte (1714). Selbstverständlich wurde dieser „Nationalfeiertag“ nach der Übernahme der Staatsgeschäfte durch den Generalissimo Francisco Franco 1939 sofort verboten. Erst über 40 Jahre später, 1980, wurde er wieder von der Generalitat (der katalanischen Selbstverwaltung) eingeführt. Im gegenwärtigen Konflikt zwischen der Zentralregierung und der Generalitat spielt dieses Datum eine wichtige Rolle, denn es ist der regelmässige Anlass für gigantische Demonstrationen für den Separatismus in Katalonien – an einem Tag, an dem man tragischerweise eigentlich eine Niederlage feiert.

Eine zufriedenstellende Lösung des Konfliktes um die Unabhängigkeit Kataloniens bedarf, meiner Meinung nach, ein radikales Umdenken auf Seiten der Madrider Zentralregierung.  Die historische Rolle der Unabhängigkeit Kataloniens und ihr Kampf gegen den Faschismus, der ja bekanntlich ebenfalls verloren ging, muss neu überdacht und gewürdigt werden. Spanien sollte stolz auf sein Katalonien sein, in dem der Widerstand gegen die faschistische Diktatur deutlich stärker war als anderswo im Lande. Das setzt aber voraus, dass man sich in ganz Spanien, Katalonien eingeschlossen, überhaupt erst einmal generell mit den Altlasten der franquistischen Vergangenheit auseinandersetzt.

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